Berlin Manuela Schwesig zum Gesetzentwurf für das ElterngeldPlus im Deutschen Bundestag

Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete!

Wir schlagen heute ein neues Kapitel in der Familienpolitik auf. Einer modernen Familienpolitik, die darauf setzt, Beruf und Familie zu vereinbaren, Schluss damit zu machen, dass es ein gegenseitiges Aufrechnen zwischen Zeit für Familie und Zeit für den Job gibt, sondern beides zu ermöglichen. Das wünschen sich heute die jungen Paare in Deutschland. Das wünschen sich die Mütter; wieder in den Job einsteigen zu können, aber auch Zeit für Familie zu haben. Und das wünschen sich vor allem die Väter. Jeder zweite Vater sagt: Ich will neben meiner Berufstätigkeit natürlich auch Zeit für Familie haben.

Das Familienleben ist in den letzten Jahren bunter geworden. Es gibt die vielen Paare, ob mit Trauschein oder ohne, es gibt die vielen Alleinerziehenden, aber auch Patchworkfamilien, Regenbogenfamilien. All diese Familienformen eint, dass dort Menschen leben, die partnerschaftlich Verantwortung übernehmen: füreinander, für Kinder, aber auch für pflegebedürftige Angehörige. Deshalb muss moderne Familienpolitik darauf setzen, diese Familienformen zu unterstützen. Sie darf den Familien nicht vorschreiben, wie sie zu leben haben, sondern muss sagen: Wenn ihr für Kinder oder für pflegebedürftige Angehörige da seid, dann unterstützen wir euch.

In der Lebenswirklichkeit vieler Familien, gerade bei jungen Paaren, sieht es so aus, dass sie spüren, dass sie sich in einer Rushhour befinden. Die Rushhour des Lebens findet oft in der Zeit zwischen 25 und 45 Jahren statt; das kann variieren. Die jungen Leute müssen und wollen in dieser Zeit im Beruf durchstarten. Sie brauchen eine Existenzgrundlage für die Familie. Sie brauchen auch berufliche Perspektiven. In der gleichen Lebensphase wünscht man sich aber auch Kinder und fragt sich: Wie geht es weiter mit dem Vater, der pflegebedürftig wird? Zudem wollen wir, dass sich alle ehrenamtlich engagieren, zum Beispiel im Sportverein oder im Elternrat. All das kommt in dieser Lebensphase zusammen. Mein Wunsch und das Ziel der Koalition ist, diese Lebensphase zu entzerren.

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist keine Lüge, sondern ein Anspruch, den die Familien haben. Die Politik muss alles dafür tun, dass dieser Anspruch auch realisiert werden kann. Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Es ist eine Frage, die Mütter und Väter betrifft.

Um diese Vereinbarkeit zu schaffen und um die Rushhour des Lebens für junge Familien zu entzerren, brauchen wir eine Zeitpolitik für beide Geschlechter, so wie es der Deutsche Bundestag im März anlässlich des Internationalen Frauentags gefordert hat.

Meine Idee einer Zeitpolitik für Familien ist, dass man sich die Zeit für Job und für Familie partnerschaftlich teilen kann. Wir wollen ein Arbeitszeitmodell für Familien gestalten, das beides ermöglicht: einen guten Job mit gutem Einkommen und guten Perspektiven zu machen aber auch gleichzeitig Zeit für die Familie zu haben. Deshalb habe ich die Debatte über eine Familienarbeitszeit angestoßen.

Neun von zehn Frauen und Männern zwischen 20 und 39 Jahren finden heute, dass Mütter und Väter sich gemeinsam um das Kind kümmern sollen. 81 Prozent sehen beide Partner für das Familieneinkommen in Verantwortung.

Eine partnerschaftliche Aufteilung in der Familie ist das, was sich viele Paare wünschen. Die wenigsten realisieren diesen Wunsch aber, weil sie spüren, dass durch den Druck, unter dem sie in der Arbeitswelt und im Familienleben stehen, beides gleichzeitig nicht so gut gelingt. Die Männer arbeiten 40 Stunden und mehr und wünschen sich eine gewisse Arbeitszeitreduzierung, um mehr Zeit für die Familie zu haben. Die Frauen hängen bei einer Arbeitszeit von durchschnittlich 19 Stunden und würden eigentlich gern mehr arbeiten, um ihre beruflichen Perspektiven zu verbessern. Das anzugleichen, ist die Idee einer Arbeitszeit für Familien.

Mir begegnen immer zwei Vorurteile, die zeigen, dass sich einige mit diesem Thema noch nicht wirklich beschäftigt haben und vielleicht noch nicht in der Lebenswirklichkeit der Familien angekommen sind:

Das erste Vorurteil ist: Wir können das den Familien doch nicht vorschreiben.  Natürlich nicht. Das will auch gar keiner. Die Familien wünschen sich aber eine partnerschaftliche Aufteilung. Wenn sie es sich wünschen, müssen wir es ermöglichen. Es geht um ein Angebot und nicht um eine Vorschrift für Familien.

Das zweite Vorurteil ist: Wir belasten die Wirtschaft. - Hallo? Das Gegenteil ist der Fall. Wenn mehr Frauen Zeit für den Job haben und leichter wieder in den Beruf einsteigen können, dann entspricht das doch dem, was sich die Wirtschaft wünscht: gutes Fachkräftepotenzial zu haben. Das Potenzial für unsere Wirtschaft liegt bei den Frauen, wie die Chefin des Internationalen Währungsfonds Christine Lagarde zu Recht gesagt hat.

Das Modell hilft nicht nur den Familien, sondern ist auch gut auch für die Arbeitswelt und damit für die Wirtschaft. Denn hier kommen zwei Dinge zusammen, die gut passen. Wie viele Stunden im Rahmen der Familienarbeitszeit geleistet werden - 30, 32 oder 35 - ,muss nicht vorgeschrieben werden. Wir müssen nur die Möglichkeit dazu schaffen.

Mit dem neuen Elterngeld Plus machen wir heute den ersten wichtigen Schritt. Das Elterngeld Plus hebt das bisherige Elterngeld auf die Höhe der Zeit. Es hat drei Schwerpunkte:

Erstens. Es erleichtert die Kombination von Elterngeld mit Teilzeitarbeit. Eltern, die in der Elternzeit Teilzeit arbeiten, bekommen länger Elterngeld Plus und haben damit über einen längeren Zeitraum die Möglichkeit, Zeit für die Familie und Zeit für den Job zu haben.

Zweitens. Wenn Mütter und Väter gemeinsam Teilzeit arbeiten, wenn sie es partnerschaftlich tun, dann bekommen sie einen zusätzlichen Bonus, mit dem die Idee der Partnerschaftlichkeit befördert wird.

Mit dem Elterngeld Plus und dem Partnerschaftsbonus setzen wir die Idee der besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie um.

Drittens. Wir wollen aber auch, dass Familien mehr Möglichkeiten haben, entsprechend ihrer Familiensituation Auszeiten zu nehmen. Es wird der Realität nicht gerecht, nur auf die ersten drei Jahre zu schauen. Für viele Eltern stellt sich vielmehr die Frage, ob sie beispielsweise dann mehr Zeit mit dem Kind verbringen können, wenn es in die Schule kommt. Das ist ein Einschnitt für die Familien, eine neue, schöne Herausforderung, eine Zeit, in der man vielleicht noch einmal mehr Zeit für das Kind braucht. Deshalb ist es gut, dass die Koalition gemeinsam beschlossen hat, zukünftig die Elternzeit flexibler zu gestalten: Eltern können zukünftig bis zu 24 Monate Elternzeit zwischen dem dritten und achten Geburtstag des Kindes nehmen. Damit berücksichtigen wir insbesondere die Schulzeit, und das ist wichtig für die Familien.

Ich habe es in dieser Woche wieder selbst erlebt: am Dienstag habe ich den Sohn vom Sportverein abgeholt. Hinterher gab es einen Elternabend im Sportverein; da war mein Mann. Gleichzeitig mussten wir am Abend zum Elternabend in die Schule. Zum Glück war die Oma für den Sohn da. Zwischendurch mussten auch noch die Hausaufgaben gemacht werden. Ich habe Glück; denn ich habe einen Fraktionsvorsitzenden, der sagt: Klar, dass du da nicht bei der Fraktionssitzung dabei sein kannst und zu Hause sein musst. Vielen Dank.

Ich weiß aber, dass das für viele Eltern noch nicht Alltag ist, sondern es wenig Verständnis dafür gibt, wenn einem Zeiten mit der Familie manchmal wichtiger sind. Deswegen brauchen wir eine Arbeitswelt, die familienfreundlicher wird. Nicht die Familien müssen immer arbeitsfreundlicher werden, sondern die Arbeitswelt familienfreundlicher. Das ist dann eine Win-Win-Situation für Arbeitswelt und Familie.

Dazu gehört auch, dass wir die Infrastruktur ausbauen. Diesbezüglich werden wir gleich ein zweites Gesetz miteinander beraten. Wir brauchen mehr Kitaplätze, gute Ganztagsbetreuungsplätze und auch Ganztagsschulen in unserem Land. Damit aus der Kombination, aus dem Dreiklang aus Infrastruktur - also gute Kitas und Ganztagsschulen für Kinder und Familien -, finanzieller Unterstützung - wie das gute Kindergeld, das Armut bekämpft - und Zeit für Familie, moderne Familienpolitik wird, die nicht nur darauf setzt, dass die Mütter für die Kinder da sind, sondern auch darauf setzt, dass Kinder Mütter und Väter haben und beiden die Zeit für Familie gegeben wird.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, die Anhörung hat gezeigt, dass es große Zustimmung zu diesem Gesetz, zum neuen Elterngeld Plus gibt - von den Familienverbänden, von den Gewerkschaften, auch von der Wirtschaft. Auch die Länder haben das Elterngeld Plus im Bundesrat parteiübergreifend begrüßt.

Mir ist wichtig, zu sagen, dass das neue Elterngeld Plus auch eine Unterstützung für Alleinerziehende ist. Auch die Alleinerziehenden können zum Beispiel den Partnerschaftsbonus in Anspruch nehmen. Aus den Ländern gibt es eine Anregung, wie wir die Alleinerziehenden beim Elterngeld Plus noch besser berücksichtigen können. Ich werbe dafür, diesen Ländervorschlag im weiteren parlamentarischen Verfahren zu prüfen. Ich halte ihn für gut.

Insofern freue ich mich auf das parlamentarische Verfahren. Ich bedanke mich bei den Regierungsfraktionen für die Unterstützung bei der Einbringung des Gesetzentwurfes hier ins Parlament. Ich freue mich jetzt auf die Beratungen. Elterngeld Plus und - im Anschluss - das neue Kitagesetz sind wichtige Fortschritte für die Familien im Land, und die wollen wir schnell auf den Weg bringen.

Vielen Dank.