Berlin Manuela Schwesig bei der 1. Lesung über das Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst

Manuela Schwesig im Deutschen Bundestag, Bildnachweis: Deutscher Bundestag
Manuela Schwesig im Deutschen Bundestag© Bildnachweis: Deutscher Bundestag

Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrter Herr Präsident!
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete!

Männer und Frauen sind gleichberechtigt. So steht es im Grundgesetz, Artikel 3 Absatz 2 Satz 1. Die Lebenswirklichkeit sieht anders aus. Frauen haben im letzten Jahrzehnt den Arbeitsmarkt erobert, aber sie bekommen immer noch weniger Lohn für die gleiche Arbeit. Sie kommen trotz bester Ausbildung weniger in Führungsetagen an. Sie tragen immer noch die Last für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Das muss sich ändern.

Im letzten Jahr haben wir drei Gesetze auf den Weg gebracht, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Männer und Frauen zu verbessern. In diesem Jahr beschäftigen wir uns mit den Themen: Beseitigung von Lohnungerechtigkeit und mehr Frauen in Führungspositionen. Gut die Hälfte der jungen Menschen, die die Schule mit der allgemeinen Hochschulreife abschließen, sind Mädchen. Gut die Hälfte der jungen Menschen, die einen Hochschulabschluss machen, sind Frauen. Im Bildungssystem sind Männer und Frauen auf den ersten Blick gleichberechtigt: dem Ergebnis nach. Aber nicht in der Arbeitswelt. Der Anteil von Frauen in den Aufsichtsräten der 200 größten Unternehmen in Deutschland beträgt 18 Prozent, in den Vorständen nur 5 Prozent. Das sind die aktuellen Zahlen aus dem Managerinnen-Barometer des DIW.

In Artikel 3 unseres Grundgesetzes heißt es weiter: Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

In dieser Verantwortung stehen wir, sehr geehrte Damen und Herren. Wir müssen dafür sorgen, dass die im Grundgesetz formulierte Gleichberechtigung von Frauen und Männern auch tatsächlich in der Lebenswirklichkeit vorhanden ist.

In dieser Verantwortung legen der Bundesjustizminister Heiko Maas und ich Ihnen heute einen Gesetzentwurf für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen vor. Dieser Gesetzentwurf verpflichtet mehr als 100 Unternehmen zu einer festen Geschlechterquote. Über 3000 Unternehmen müssen sich verbindliche Zielvorgaben geben und damit ihre Unternehmenskultur und die Chancen von Frauen in den Mittelpunkt rücken. Darüber hinaus wird dieses Gesetz einen Kulturwandel in der Arbeitswelt einleiten. Wenn es an der Spitze eines Unternehmens oder an der Spitze der öffentlichen Verwaltung keine Gleichberechtigung gibt, wer glaubt dann, dass es im Rest des Unternehmens oder der Verwaltung Gleichberechtigung gibt? Sobald es aber mehr Frauen in Führungspositionen gibt, werden gleiche Chancen in Unternehmen und Verwaltungen selbstverständlicher.

Es war immer so, dass sich Frauen Gleichberechtigung hart erkämpfen mussten. Es ist heute immer noch so. Es ist ein Kampf um Macht, Geld und Einfluss. Das gibt niemand freiwillig ab. Schauen wir auf ein Unternehmen der DAX-Gruppe. Es ist in der Gesundheitswirtschaft tätig und hat im letzten Geschäftsbericht einen Jahresumsatz von 20 Milliarden Euro angegeben. Auf die Anteilseigner entfiel ein Konzernergebnis von gut 1 Milliarde Euro. Erwirtschaftet wurde dieses Ergebnis von 178 000 Beschäftigten weltweit, davon 54 000 in Deutschland. Zwei Drittel davon sind Frauen. Das Unternehmen bekennt sich im Lagebericht zur Förderung der Frauen, aber im Vorstand arbeitet keine einzige Frau; auch im Aufsichtsrat: keine einzige Frau!

Obwohl Frauen dieses brillante Ergebnis erarbeitet, diese Umsätze erwirtschaftet und diese Gewinne erzielt haben, sind sie nicht dort vertreten, wo über Arbeits- und Lohnbedingungen entschieden wird. Das ist ungerecht! Das muss sich ändern!

Ende November hat eine Frau auf Facebook Folgendes gepostet: "Der Denkfehler der Quoten-Gegner besteht darin, dass sie annehmen, ohne Regelung würden sich die Qualifiziertesten durchsetzen. Egal ob Mann oder Frau." Das ist auch das Argument des eben beschriebenen Unternehmens, warum es keine Frauenquote will. Die Frau auf Facebook schreibt weiter: "In der idealen Welt wäre das auch so, aber nachgewiesenermaßen ist das nicht der Fall. Solange die Welt nicht ideal ist, hilft die Quote." Ich finde, die Frau hat recht. Solange Gleichberechtigung nicht verwirklicht ist, brauchen wir Gesetze, die sie voranbringen.

Das Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Männern und Frauen an Führungspositionen ist auch ein Innovationsgesetz. Wer auch heute noch davon spricht, dass wir damit die Wirtschaft belasten, der sollte sich die Studien von Unternehmensberatungen angucken, zum Beispiel die von McKinsey oder dem Karlsruher Institut für Technologie. Beide sind sich einig: Unternehmen mit gemischten Führungsteams sind erfolgreicher. Eine Schweizer Bank hat errechnet, dass sich die Aktienkurse von Unternehmen mit Frauen im Aufsichtsrat zwischen 2005 und 2011 um 26 Prozent besser entwickelt haben. Anders gesagt – hier zitiere ich gerne eine Abgeordnete der CSU, die ihre Zustimmung zur Quote anlässlich der Berliner Erklärung so begründet hat -: "Manchmal muss man die Leute zu ihrem Glück zwingen."

Die Situation in der Privatwirtschaft unterscheidet sich nicht groß vom öffentlichen Dienst. Ja, wir haben im öffentlichen Bereich mehr Frauen in Führungspositionen; das ist angesichts der Zahlen der Wirtschaft aber nicht wirklich schwierig. Deshalb muss sich auch hier etwas ändern. Wir werden die Vorschriften, die für die Wirtschaft gelten, eins zu eins im öffentlichen Bereich umsetzen. Das, was wir der Wirtschaft vorgeben, müssen wir auch selbst einhalten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete, 1982 war ich sechs Jahre alt und dieses Gebäude lag für mich hinter einer scheinbar unüberwindbaren Mauer. Ich wusste damals nichts von meinem Glück,  dass ich ein solches Gesetz einmal durchkämpfen darf. Ich wusste auch nichts von dem Glück, dass ich einen toughen Mann, und zwar unseren Justizminister, an der  Seite haben würde, der mir dabei hilft.

1982 hat die damalige Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit, Antje Huber, in Bonn eine Sachverständigenanhörung zur Situation von Frauen in der Arbeitswelt organisiert. Diskutiert wurde unter anderem, ob eine Quotierung helfen würde. Seitdem ist viel passiert: Die Mauer ist niedergerissen worden. Aber die Teilhabe von Frauen in Führungspositionen hat sich nicht wirklich verbessert. Jetzt kommt Bewegung rein. Allein die Diskussion über den Gesetzentwurf hat dazu geführt, dass sich die Unternehmen darüber Gedanken machen, wo die Hemmnisse in der Arbeitswelt liegen.

Sie fragen sich: Was können wir dafür tun, dass die qualifizierten Frauen, die wir haben, auch tatsächlich in den Führungsetagen ankommen? – Wer Sorge hat, dass wir diese Frauen nicht haben, dem sage ich: Es geht ganz konkret um 174 Führungspositionen in Unternehmen. Wir haben 40 Millionen Frauen in Deutschland, und man darf sich auch international umschauen. Ich glaube, das wird zu schaffen sein.

Der Kulturwandel, den dieses Gesetz befördern wird, geht weit über den Geltungsbereich des Gesetzes hinaus. Das zeigt zum Beispiel der Deutsche Caritasverband, der nicht direkt von diesem Gesetz betroffen ist, der aber für sich selbst feststellt: 80 Prozent der Beschäftigten bei der Caritas sind Frauen – klar, da wird die soziale Arbeit gemacht; von der Kita bis zum Pflegeheim: Wer macht den Job? Die Frauen (!) –, aber nur 20 Prozent sind in den Führungsetagen vertreten. Dort, wo über Arbeits- und Lohnbedingungen entschieden wird, sind wenig Frauen vertreten, obwohl sie die Arbeit machen; genau wie in der Wirtschaft.

Der Präsident des Deutschen Caritasverbandes sagt dazu: Das muss sich ändern; wir brauchen mehr Frauen in Führungspositionen. – Sie sehen also: Dieses Gesetz wirkt, bevor es da ist; dieses Gesetz bewirkt einen Kulturwandel, weit über die Grenzen des Gesetzes hinaus.

Ich möchte mich ganz herzlich bei den Frauen und den Männern bedanken, die über alle Fraktionsgrenzen hinweg in der letzten Legislaturperiode die Berliner Erklärung formuliert haben. Sie haben sich aufeinander zubewegt und gesagt: Wir wollen etwas bewegen für die Frauen. – Der Gesetzentwurf, der Ihnen vorliegt, ist von diesem Geist getragen. Wir haben verschiedene Positionen zusammengebracht, um etwas für die Frauen, für die Gleichberechtigung in unserem Land zu tun. Ich hoffe, dass wir in diesem Geist die parlamentarischen Beratungen durchführen werden. Es wurde viele Jahre darüber diskutiert. Seit 30 Jahren wurde viel gestritten. Jetzt müssen wir uns auf den Weg machen. Ich freue mich auf die parlamentarischen Beratungen. Vielen Dank.