Berlin Bundesministerin Manuela Schwesig bei der Trägerkonferenz "Das Müttergenesungswerk. Immer einen Schritt voraus"

Es gilt das gesprochene Wort

Liebe Dagmar Ziegler,
sehr geehrter Herr Tidow,
sehr geehrte Mitglieder des Kuratoriums,
sehr geehrte Frau Professorin Kaczmarczyk,
sehr geehrte Damen und Herren,

wenn man auf Rügen in die Seebäder fährt, gibt es meist eine Straße, die vom Bahnhof in gerader Linie zum Strand führt. Das ist die Flaniermeile, das Schmuckstück dieser Orte. Da sind die Geschäfte, die Restaurants, die alten Villen mit ihrer berühmten Bäderarchitektur. In Baabe findet man an genau dieser Straße die Mutter-Kind-Klinik der AWO SANO. Man merkt es auch, wenn man sich eine Weile in Baabe aufhält. Da zieht eine Kindergruppe mit einer Erzieherin durch den Ort. Oder im Café unterhalten sich Mütter über ihre Kur.

Ich finde es gut, dass diese Einrichtung des Müttergenesungswerks an ganz zentraler Stelle ihren Platz hat. Dies ist an vielen anderen Orten auch so. Es gibt über 80 Mütter- und Mutter-Kind-Kliniken, und wenn ich Baabe hier herausgreife, dann tue ich dies als Beispiel für die gute Arbeit, die auch in anderen Kliniken anderer Träger geleistet wird. Mütter und Familien gehören ins Zentrum. Auch die Mütter, die sich keinen Wellnessurlaub in einem vornehmen Kurhotel leisten können.

Bedeutung der Müttergenesung: (Aus-) Zeit für Familie

Das Wort "Müttergenesung" kommt uns heute etwas sperrig vor. Aber es bleibt eine Tatsache: Wenn Mütter krank werden, vor allem wenn sie länger und schwerer krank sind, leidet die ganze Familie. An erster Stelle die Kinder. In Klammern: Das gleiche gilt, wenn Väter krank werden, die sich um ihre Kinder kümmern. Oder pflegende Angehörige. Dazu komme ich noch.

Mutter-Kind-Kuren sind heute ebenso notwendig wie 1950, als Elly Heuss-Knapp das Müttergenesungswerk gegründet hat.

Die Verbindung von medizinischen, psychosozialen und pädagogischen Angeboten gibt Eltern und Kindern neue Kraft. Zum Beispiel werden Mütter mit psychosomatischen Erkrankungen, Depressionen und Ängsten behandelt. Aber die Kliniken stellen auch fest, dass mehr Mütter mit Essstörungen kommen. Die brauchen Ernährungsberatung, gesundes Kochen und ein besseres Wissen um Kinderernährung.

Die Mütter, die von einer Mutter-Kind-Kur berichten, betonen,

  • wie wichtig es ist, auszuruhen,
  • wie gut es tut, mal nicht ständig funktionieren zu müssen,
  • und wie sie die Zeit genutzt haben, um ihr Leben zu überdenken und neu in den Griff zu kriegen.

So eine Zeit macht die Mütter wieder stark. Und wenn Mütter stark sind, sind auch die Kinder gesünder.

Einrichtungen des Müttergenesungswerks stehen für Qualität:

  • in der Beratung und Vorbereitung,
  • in der Einrichtung selbst,
  • und insbesondere durch die Nachsorge.

Nachsorge schlägt eine Brücke zwischen der Kur und dem Alltag zu Hause. Dadurch wirkt die Kur weiter.

In meiner Familienpolitik betone ich immer wieder, dass Familien drei Dinge brauchen: Geld, Infrastruktur und Zeit.

Zeit ist der Punkt, der am schwierigsten zu greifen ist. Ich denke über eine Familienarbeitszeit nach, damit mehr vom Tag für die Familie bleibt. Lokale Bündnisse für Familie versuchen, vor Ort Zeitfresser zu beseitigen: zum Beispiel Wartezeiten. Zeit für Familie heißt aber auch: Auszeit. Ruhezeit. Erholungszeit. Wenn nötig: Zeit für Genesung. Zeit für Familie ist das, was ich in den Mütter- und Mutter-Kind-Kliniken des Müttergenesungswerkes sehe und schätze.

Erfolg: Es werden wieder mehr Kuren bewilligt.

Ich finde es deshalb sehr ermutigend, dass die Zahl der Teilnehmerinnen an Mutter-Kind-Kuren seit 2012 wieder steigt. Die Bewilligungsquote lag 2013 bei 87 Prozent, ein Jahr früher noch sechs Prozentpunkte niedriger.

Sie und ich haben dafür gekämpft, dass die Krankenkassen wieder mehr solcher Kuren genehmigen. Diesen Kampf haben wir mit der neuen Richtlinie gewonnen. Ich versichere Ihnen, dass das Bundesfamilienministerium die Entwicklung weiterhin aufmerksam beobachten wird. Wir stehen an Ihrer Seite! Auch bei anderen Herausforderungen.

Vielfalt von Familien als Auftrag zur Veränderung der Müttergenesung

Familienleben ändert sich, und damit ändert sich auch Müttergenesung. Beziehungsweise das, was nötig ist, um Familien zu stärken und zu entlasten. Ich will an einem Punkt anfangen, an dem Sie wirklich stark sind: Alleinerziehende.

Elly Heuss-Knapp hat bei der Gründung des Müttergenesungswerks sicherlich auch an Mütter gedacht, die ihre Kinder allein großziehen. Das war wenige Jahre nach dem Krieg ja gar nicht selten. Aber heute sind die Gründe und Hintergründe andere, und 2010 waren etwa ein Fünftel der Familien mit minderjährigen Kindern in Deutschland alleinerziehend.

An Ihren Kurmaßnahmen nehmen 34 Prozent alleinerziehende Mütter teil. Das zeigt zunächst einmal sicherlich, dass das Familienleben von Alleinerziehenden anfälliger ist. Wenn etwas Unvorhergesehenes oder Schlimmes passiert, können Alleinerziehende das oft nicht so leicht auffangen. Insbesondere dann nicht, wenn das soziale Netz um sie herum dünn ist. Das macht sich gesundheitlich bemerkbar. Viele Mütter, die zu Ihnen kommen, sind einfach erschöpft. Sie können nicht mehr. Der hohe Anteil von Alleinerziehenden zeigt aber auch, dass Sie diese Mütter mit Ihren Maßnahmen tatsächlich erreichen.

Wir müssen uns klarmachen, dass Familienleben heute vielfältiger ist als früher.

  • Verheiratete Paare,
  • unverheiratete Paare,
  • eingetragene Lebensgemeinschaften von Männern mit Männern und Frauen mit Frauen,
  • getrennt lebende Eltern, die sich mehr oder weniger partnerschaftlich um die Kinder kümmern;
  • Alleinerziehende,
    davon wiederum einige nur für eine Phase, andere länger.

Zur Vielfalt der Lebensformen kommt die Vielfalt der Kulturen: In 29 Prozent aller Familien mit minderjährigen Kindern hat mindestens ein Elternteil einen Migrationshintergrund. Im Schnitt nehmen Familien mit Migrationshintergrund gesundheitliche Angebote weniger in Anspruch. Die Einrichtungen des Müttergenesungswerks erreichen diese Zielgruppe dennoch. Zum Beispiel durch Klinikpersonal, das auch russisch und rumänisch spricht.

Eine weitere Veränderung besteht darin, dass Familienleben heute vielfach anders organisiert wird als früher. Und damit bin ich bei den Vätern. Sie sind heute präsenter und aktiver. Paare teilen sich Familie und Beruf zwar längst nicht so partnerschaftlich auf wie sie sich dies wünschen. Es ist ein zentrales Anliegen meiner Familienpolitik, mehr Partnerschaftlichkeit zu ermöglichen. Aber Fakt ist: Mehr Väter als jemals zuvor betreuen ihre Kinder. Es sind zwar fast 90 Prozent der Alleinerziehenden Mütter. Aber die Zahl der Väter in dieser Lebenssituation steigt ebenfalls.

Männer und Frauen sind von bestimmten Krankheiten unterschiedlich stark betroffen, und sie unterscheiden sich oft auch in der Art, wie sie mit Krankheit und Gesundheit umgehen. Aber auch bei Vätern kommt es vor, dass sie eine Auszeit brauchen mit diesem guten Konzept von Beratung, Therapie und Nachsorge, das die Einrichtungen des Müttergenesungswerks auszeichnet.

Schließlich müssen wir uns klarmachen, dass Familie nicht endet, wenn die Kinder groß sind. Zur Vereinbarkeit von Beruf und Kindererziehung kommt häufiger die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege - nacheinander oder sogar gleichzeitig.

Familie ist ein Thema für das ganze Leben. Mehr als zwei Drittel aller Pflegebedürftigen werden zu Hause gepflegt, viele davon ohne jede zusätzliche Hilfe. Die eigenen Eltern zu pflegen ist für viele Menschen, gerade für viele Töchter, eine Selbstverständlichkeit.

Aber Pflege ist auch eine Belastung. Was mit einfachen Hilfen beginnt, kann nach und nach körperlich und seelisch ungemein anstrengend werden. Und man weiß nicht, wie lange ein pflegebedürftiger Mensch Pflege braucht. Man weiß nur: Es wird in aller Regel nicht besser. Fehlen dann die notwendigen Erholungsphasen, macht dies den pflegenden Angehörigen zu schaffen.

Zustiftung Sorgearbeit

Ich finde es deshalb wichtig, dass das Müttergenesungswerk mit der "Zustiftung Sorgearbeit" den Weg freigemacht hat, dass auch Väter und pflegende Angehörige von den Angeboten zunächst einzelner Kliniken profitieren können.

Sie, die Einrichtungsträger, haben die dafür nötigen 100.000 Euro zusammen mit privaten Zustiftern eingebracht. Ich danke Ihnen dafür ganz herzlich. Mit dieser Zustiftung ist ein wichtiger erster Schritt getan, dem bestimmt in Zukunft weitere folgen werden.

Ich begrüße es sehr, dass sowohl Väter als auch Pflegende im Müttergenesungswerk heute so willkommen sind wie die Mütter schon seit über 60 Jahren. Mir ist das ein Anliegen, und ich biete Ihnen dabei gern meine Zusammenarbeit an.

Bauförderung durch Bundesfamilienministerium

Auf einem Gebiet arbeiten wir schon sehr lange zusammen, und das ist der Bau und Umbau von Müttergenesungseinrichtungen. Gut vier Millionen Euro stellt der Bund jedes Jahr dafür zur Verfügung.

Ich bin froh, dass wir mit der Bauförderung die Gelegenheit haben, das Müttergenesungswerk an einer Stelle zu unterstützen, wo Verbesserungen unmittelbar sichtbar sind.

Liebe Vertreterinnen und Vertreter der Einrichtungen und Träger des Müttergenesungswerks, ich finde gut, was Sie machen. Sie stärken Familien: Mütter, Kinder, mehr und mehr auch Väter und pflegende Angehörige. Sie geben Familien Zeit und Kraft. Sie sind, das sagt der Titel dieser Konferenz, immer einen Schritt voraus.

Ich möchte in die gleiche Richtung gehen wie Sie: Mehr Zeit für Familie. Für alle Familien, für Mütter und Väter.

Ich möchte Ihnen Danke sagen für Ihren Einsatz, und ich bitte Sie: Lassen Sie uns zusammenarbeiten!