Ursula von der Leyen im Gespräch mit dem SPIEGEL

Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen spricht mit dem SPIEGEL über Gleichberechtigung und ihre Rolle als Bundesministerin.

SPIEGEL: Frau Ministerin, wir sind wegen der Gleichberechtigung da.

Ursula von der Leyen: Zwei Männer, die wegen der Gleichberechtigung kommen. Das find ich schon mal gut.

SPIEGEL: Wir wollten mal wissen, wann die eigentlich erreicht ist?

Ursula vonder Leyen: Man könnte sagen: Wenn durchschnittliche Frauen in Führungspositionen sind.

SPIEGEL: Oder wenn 15 der 30 Dax-Unternehmen von Frauen geführt werden?

Ursula vonder Leyen: Hätt ich auch nichts dagegen!

SPIEGEL: Oder wenn der Generalinspekteur der Bundeswehr eine Frau ist?

Ursula vonder Leyen: In Spanien ist gerade eine Verteidigungsministerin vereidigt worden, die jetzt mit schwangerem Bauch Militärparaden abnimmt. Das lässt auch für Deutschland hoffen.

SPIEGEL: Wären wir gleichberechtigungstechnisch weiter, wenn das Dekolleté einer Bundeskanzlerin keine nationale Debatte mehr auslösen würde?

Ursula vonder Leyen: Top! Ich glaube, Sie haben begriffen, worauf es ankommt.

SPIEGEL: Danke. Noch ein Vorschlag: Müsste der James Bond nicht langsam mal von einer Frau gespielt werden?

Ursula vonder Leyen: Zumindest würde das den Film interessanter machen.

SPIEGEL: Hm ... sicher?

Ursula vonder Leyen: Ein weiblicher James Bond wäre nicht so brutal, sie wäre viel subtiler. Und das fände ich interessant. Zudem wär ich gespannt, wie der Bond-Boy aussieht.

SPIEGEL: Gut, dann hätten wir das mit der Gleichberechtigung ja geklärt.

Ursula vonder Leyen: Überhaupt nicht. Sie haben ja nur Beispiele aus dem Berufsleben und der Filmwelt genannt. Darf ich mal eine Gegenfrage stellen?

SPIEGEL: Sicher. Das gehört doch auch zur Gleichberechtigung.

Ursula vonder Leyen: Haben Sie nicht was Entscheidendes vergessen? Beruf ist wichtig, keine Frage. Aber das Leben besteht aus mehr als dem Job.

SPIEGEL: Nun sagen Sie schon.

Ursula vonder Leyen: Gleichberechtigung ist für mich dann erreicht, wenn Männer nicht mehr als Weicheier beschimpft werden, wenn sie sich um ihr Baby kümmern oder um den gebrechlichen Vater. Männer können mehr sein als der Geldbeschaffer, der jeden Abend bis um acht im Büro sitzt.

SPIEGEL: Vielleicht sind deutsche Männer ja gern bis acht im Büro?

Ursula vonder Leyen: Das glaube ich nicht. Junge Männer wollen nicht mehr auf das Arbeitstier reduziert werden. Zwei Drittel wünschen sich, der Erzieher und nicht nur der Ernährer ihres Kindes zu sein. Aber 80 Prozent fürchten, dass sie in der Firma mit Hohn und Spott übergossen werden, wenn sie für ein paar Monate zu Hause bleiben wollen.

SPIEGEL: Sie meinen, wir Männer leiden unter unserer eigenen Macho-Kultur?

Ursula vonder Leyen: Es gibt eine neue Studie des Wissenschaftszentrums Berlin über das Selbstbild junger Männer. Wenn man sie fragt: Wer wird in Zukunft die Gesellschaft prägen, dann sagen die meisten, der Karrieremann. Wenn man sie aber fragt: Wer sollte unsere Gesellschaft prägen, wählt die Mehrzahl den Vater, den fürsorglichen Mann.

SPIEGEL: Wollen Sie sagen, wir sind schizophren?

Ursula vonder Leyen: Viele Männer haben ihre Wunschvorstellung im Kopf. Aber sie haben große Zweifel, ob sie das auch durchsetzen können.

SPIEGEL: Könnten Sie uns Männern nicht dabei helfen?

Ursula vonder Leyen: Ich tue, was ich kann. Deshalb habe ich die Vätermonate beim Elterngeld durchgesetzt. Die vollen 14 Monate werden nur gezahlt, wenn der Vater mindestens zwei Monate mit dem Beruf aussetzt und sich um sein Kind kümmert.

SPIEGEL: Aber warum können Eltern nicht freier entscheiden, wer wie lange erzieht?

Ursula vonder Leyen: Weil starre Muster in deutschen Unternehmen fest eingefahren waren. Das klassische Killerargument gegen Elternzeit der Väter lautete: "Das kann doch Ihre Frau machen!" Es bedarf sehr viel Mut der Männer zu sagen: "Nein, das ist meine Zeit als Vater und die will ich auch nehmen." Die Vätermonate sind eine Argumentationshilfe für die Männer.

SPIEGEL: Warum dann nur zwei Monate?

Ursula vonder Leyen: Gute Frage. Berechtigte Frage. Ich könnte mir mehr Monate vorstellen. Und ich denke, in der nächsten Legislatur wird die Zeit reif sein, die Väterkomponente auszuweiten.

SPIEGEL: Das klingt wie beim Betonmischen.

Ursula vonder Leyen: Dann sagen wir: Die Zeit ist reif, den Vätern noch mehr den Rücken zu stärken.

SPIEGEL: Männer wie CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer spotteten doch, die Vätermonate seien ein "Wickelvolontariat".

Ursula vonder Leyen: Das Schöne ist: Ausgerechnet in Bayern werden die Vätermonate am besten angenommen. Die Bayern sind Trendsetter!

SPIEGEL: Wie viele Vätermonate soll es denn künftig geben? Sechs? Neun?

Ursula vonder Leyen: Das überlasse ich der Diskussion, die sich sicher entwickeln wird. Ich habe eine Gruppe von Wissenschaftlern eingesetzt, das Kompetenzzentrum Familie, die sich dafür ausgesprochen haben, die Zahl der Vätermonate zu erhöhen. Das unterstütze ich voll und ganz.

SPIEGEL: Eine Umfrage hat ergeben, dass mehr als die Hälfte der deutschen Frauen mit Til Schweiger ins Bett wollen. Das wäre kaum so, wenn Schweiger Hausmann wäre. Möglicherweise wollen die Frauen keine Typen, die Kinder hüten.

Ursula vonder Leyen: Ins Bett gehen ist Sex, und Sex hat mit körperlicher Attraktivität zu tun. Insoweit kann ich das mit Til Schweiger verstehen. Fragen Sie dagegen, mit wem die meisten deutschen Frauen ein Kind ins Leben begleiten wollen, dann wette ich, dass das bei allem Respekt vor Til Schweiger völlig anders aussieht. Das hat nämlich was mit tiefer gemeinsamer Lebenserfahrung zu tun.

SPIEGEL: Überfordern Sie uns Männer nicht? Wir sollen fürsorgliche Väter sein und gleichzeitig attraktive Liebhaber?

Ursula vonder Leyen: Nun jammern Sie mal nicht. Das ist auch Gleichberechtigung. Sie als Männer wollen ja auch eine fürsorgliche Mutter und eine hochattraktive Geliebte. Das ist so alt wie die Menschheit. Deshalb gab es früher Mätressen und Gigolos.

SPIEGEL: Wie löst man diesen Konflikt?

Ursula vonder Leyen: Wir müssen erkennen, dass es gar kein Zielkonflikt ist. Ein fürsorglicher Vater kann natürlich ein attraktiver Liebhaber sein.

SPIEGEL: Dafür müsste sich auch die Erwartungshaltung der Frauen ändern.

Ursula vonder Leyen: Natürlich. Auch wir Frauen müssen die alten Klischees aus unseren Köpfen tilgen. Das Image des fürsorglichen Vaters muss cooler werden. Es muss sich ändern, wie das Image des Zivildienstes sich geändert hat. Der war vor 40 Jahren eine "Drückebergerveranstaltung". Heute werden Zivis hoch geschätzt.

SPIEGEL: Es gibt im Moment ein sehr erfolgreiches Buch, "Feuchtgebiete" von Charlotte Roche. Haben Sie es gelesen?

Ursula vonder Leyen: Nein, aber davon gehört.

SPIEGEL: Darin beschreibt die Ich-Erzählerin sehr direkt ihre sexuellen Vorlieben. Ist das auch ein Zeichen von Gleichberechtigung, dass nicht nur Männer offen und gern über Sex reden, sondern jetzt auch die Frauen?

Ursula vonder Leyen: Es ist ein Ausdruck von Bildung und Aufklärung. Wir fliegen inzwischen zum Mond, und da kann man nicht verhindern, dass der Forschergeist in alle Gebiete vordringt, auch in die letzten Winkel der Sexualität.

SPIEGEL: Wie erklären Sie sich, dass Frauen inzwischen bessere Schulabschlüsse machen als Männer, an der Universität erfolgreicher sind und später trotzdem die schlechteren Jobs bekommen? Ist das nur, weil wir bösen Männer ihnen nichts gönnen?

Ursula vonder Leyen: Beim Einsteig in den Beruf haben die Frauen heute keine Probleme mehr. Die beginnen erst, wenn die Kinder kommen. Daher ist es ja so wichtig, dass Männer und Frauen gemeinsam Verantwortung für die Erziehung übernehmen.

SPIEGEL: Haben Sie eigentlich noch die Unterstützung der Bundeskanzlerin?

Ursula von der Leyen: Ja, voll und ganz.

SPIEGEL: Sie haben sich heftig gegen die Forderung der CSU nach einem Betreuungsgeld gewehrt, das Frauen einen Anreiz schafft, ihre Kinder zu Hause zu erziehen. Und dann hat Angela Merkel verfügt, dass dieses Betreuungsgeld Eingang in das Grundsatzprogramm der CDU findet.

Ursula vonder Leyen: Das ist ein Parteitagsbeschluss, der mit Mehrheit getroffen wurde.

SPIEGEL: Könnte es sein, dass Frau Merkel gemerkt hat, dass Ihre Familienpolitik dem konservativen Profil schadet?

Ursula vonder Leyen: Die Kanzlerin hat immer betont, wie wichtig es ist, Kinderbetreuung auszubauen. Ich habe 15 Monate lang für den Ausbau der Kinderbetreuungsplätze gekämpft. Gegen heftige Widerstände, aber die Sache ist jetzt durch: Der Ausbau der Kita-Plätze hat begonnen. Das Betreuungsgeld soll es ab dem Jahr 2013 geben, wenn Eltern wirklich die Wahl haben. Mir ist wichtig, dass die Eltern entscheiden, wie sie glücklich mit ihren Kindern leben.

SPIEGEL: Ihr Parteifreund Josef Schlarmann klagt, Ihre Politik schade der Union, weil sie die Stammwähler verscheuche.

Ursula vonder Leyen: Da kann ich Josef Schlarmann beruhigen. Alle Umfragen zeigen, dass meine Politik eine breite Unterstützung findet, in der Bevölkerung und auch in der Union. Die Sache ist ganz einfach: Wenn wir in Zukunft noch Kinder haben wollen, müssen wir uns modernisieren.

SPIEGEL: Trotzdem sind Sie für viele graue Herren in der Union eine Zumutung.

Ursula vonder Leyen: Es gibt gerade in einer konservativen Partei immer die Frage, wie man modernisiert, ohne Werte über Bord zu werfen. Wir hatten 2007 zum ersten Mal seit Jahren keinen Geburtenrückgang mehr, sondern mit 1,45 die höchste Geburtenrate seit der Wiedervereinigung. Das zeigt, dass unser Weg richtig ist.

SPIEGEL: Der Frauenfreund Gerhard Schröder hat mal gesagt, es gebe keine linke oder rechte Wirtschaftspolitik mehr, nur noch moderne oder unmoderne. Gilt das auch für die Familienpolitik?

Ursula vonder Leyen: Absolut. Gute Familienpolitik kann man nicht ideologisch betreiben. Wir haben in Länder geschaut, die uns ganz ähnlich sind und die es nach einem Rückgang der Geburten geschafft haben, eine Trendwende hinzukriegen.

SPIEGEL: Was haben Sie dabei gelernt?

Ursula vonder Leyen: Frankreich, die Beneluxländer und die Staaten in Skandinavien wurden in den vergangenen Jahren von unterschiedlichen Parteien regiert. Aber alle haben sich früher als Deutschland dafür entschieden, den jungen Menschen den richtigen Mix aus Geldleistungen, Zeit und Infrastruktur für die Kinderbetreuung zu bieten. Das ist das Geheimnis einer erfolgreichen Familienpolitik.

SPIEGEL: Sie haben mal gesagt: "Ich bin als Familienministerin mit meinem eigenen Leben, meiner eigenen Familie sehr stark ein Spiegel für das, wofür ich werbe." Was meinten Sie genau damit?

Ursula vonder Leyen: Dass ich mein Leben als Mutter von sieben Kindern und mein Amt als Familienministerin kaum voneinander trennen kann.

SPIEGEL: Muss eine Familienministerin mehr von ihrem Leben preisgeben als ein Verkehrsminister?

Ursula vonder Leyen: Der Mechanismus ist ein anderer. Den Umweltminister fragt niemand, ob er seinen Müll trennt. Den Verkehrsminister fragt keiner, ob er Auto fahren kann. Und ein Verteidigungsminister muss nicht unbedingt Panzer fahren können.

SPIEGEL: Sie werden dauernd gefragt, wie Sie Amt und sieben Kinder unter einen Hut bringen.

Ursula vonder Leyen: Aber es stört mich nicht. Das macht Politik doch menschlich. Ich bin keine Maschine. Ich bin in die Politik gegangen, weil ich aus meiner Lebenserfahrung heraus etwas verändern wollte.

SPIEGEL: Wie geht's eigentlich den Kindern?

Ursula vonder Leyen: Danke, gut. Warum fragen Sie?

SPIEGEL: Weil wir schon lange keine frischen Fotos mehr gesehen haben. Die gab es ja früher quasi wöchentlich.

Ursula vonder Leyen: Ich habe gelernt, dass ich am Anfang zu großzügig war mit Fotos von der eigenen Familie. Die Medien sind ein unersättlicher Moloch, die wollten immer mehr. Ich habe damals richtig körperliche Angst bekommen. Um die Kinder zu schützen, habe ich vor fast drei Jahren gesagt: Jetzt ist Schluss.

SPIEGEL: Vielleicht haben Sie den Moloch am Anfang zu gut gefüttert oder besser, gemästet?

Ursula vonder Leyen: Ich war naiv, das muss ich zugeben. Mir war nicht bewusst, dass die Medien härter und aggressiver geworden sind. Als mein Vater Ernst Albrecht Ministerpräsident von Niedersachsen war, gab es sogar Fotos von uns in Wahlbroschüren. Wir standen da aufgereiht wie die Orgelpfeifen. Aber damals hatte niemand ein Problem damit.

SPIEGEL: Uns ist noch eine Frage eingefallen, zur Gleichberechtigung.

Ursula vonder Leyen: Macht ja nichts.

SPIEGEL: Wäre es nicht der Gipfel der Gleichberechtigung, wenn eines Tages nicht nur eine Frau Bundeskanzlerin wäre, sondern eine mehrfache Mutter?

Ursula vonder Leyen: Nächste Frage, bitte.

SPIEGEL: Gern. Würden Sie's denn machen? Der Gleichberechtigung wegen?

Ursula vonder Leyen: Ich bin eine leidenschaftliche Familienministerin, ich fühle mich wohl in meinem Amt. Jetzt lassen Sie mich das mal machen, und scheuchen Sie mich nicht gleich wieder raus!

SPIEGEL: Frau von der Leyen, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Das Interview ist am 28. April 2008 im SPIEGEL erschienen. Die Fragen stellten Markus Feldenkirchen und René Pfister.