Kristina Schröder im Doppelinterview mit DIHK-Präsident Hans Heinrich Driftmann in der Welt am Sonntag

Bundesfamilienministerin Kristina Schröder spricht in der Welt am Sonntag mit DIHK-Präsident Hans Heinrich Driftmann über ihre Forderung, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch flexible Arbeitszeitmodelle der Unternehmen zu erleichtern.

Welt am Sonntag:Frau Ministerin, bislang konnten Sie alle Kraft in Ihre Karriere investieren. Im Sommer dürfte sich das ändern. Wird sich die Ministerin-Mama den "Luxus" erlauben, um 17 Uhr nach Hause zu gehen, um noch ihr Kind zu sehen?

Kristina Schröder:Ich glaube nicht, dass ich da heute schon jedes Detail im Voraus planen kann. Aber natürlich werde ich genau hinsehen, bei welchen Terminen ich unbedingt vor Ort sein muss und was ich von zu Hause erledigen kann, denn klar ist: Es wird dann neben meinem Job noch andere Prioritäten geben.

Welt am Sonntag:Eine schwangere Familienministerin, warum zelebrieren Sie sich nicht stärker als Rollenvorbild für junge Frauen mit Aufstiegsträumen? Ihre FDP-Kollegin Silvana Koch-Mehrin war offensiver und hat sich mit nacktem Babybauch fotografieren lassen.

Kristina Schröder:Oh nein, das wäre nicht mein Ding. Ich habe immer versucht, mein Privatleben von meinem Amt als Ministerin zu trennen. Erstens finde ich, dass es keine politische Leistung ist, ein Kind zu bekommen. Und zweitens ist unsere Situation auch nicht vergleichbar mit der anderer Familien. Mein Mann und ich haben es zum Beispiel ohne Zweifel leichter, weil wir beide gut verdienen. Andererseits haben wir es auch schwerer. Weder mein Mann noch ich haben als Abgeordnete rechtlich einen Anspruch auf Elternzeit.

Welt am Sonntag:Apropos: Herr Driftmann, beneiden Sie heutige Väter, die qua Gesetz zwei Vätermonate nehmen dürfen?

Hans Heinrich Driftmann:Ich halte das für einen Fortschritt. Aber auch ich habe mir die nötige Zeit genommen. Ich führe ja ein Familienunternehmen, da hat jeder Verständnis dafür, dass man sich auch um seine eigene Familie kümmern muss.

Welt am Sonntag:Frau Schröder, die Öffentlichkeit verbindet die großen Themen Vätermonate und Frauenquote bis heute mit Ihrer Kollegin Ursula von der Leyen. Sie gelten als Ministerin für weiche Themen wie familienfreundliche Arbeitszeiten. Ärgert Sie das?

Kristina Schröder:Gerade das Thema familienfreundliche Arbeitszeiten ist für die meisten Menschen in Deutschland ja essenziell. Schließlich ist Zeit für die Familie für junge Mütter und Väter der Dreh- und Angelpunkt, für ihr Leben und für ihre Karriere. Wenn es um flexible Arbeitszeitmodelle geht, sind uns andere Staaten weit voraus. Deshalb sage ich: Ob weiches oder hartes Thema - hier müssen wir ran.

Welt am Sonntag:Sie wollen weg von der "Präsenzpflicht" in Unternehmen. Herr Driftmann, warum tut sich die Wirtschaft so schwer damit?

Hans Heinrich Driftmann:Es gibt da einfach keine Pauschallösung. Wir müssen uns jeden Einzelfall genau anschauen. Es gibt Tätigkeiten, die leben von Präsenz - von der Werkhalle über die Pflegestation bis zum Einzelhandel.

Kristina Schröder:Wir wollen ja auch nicht den Pförtner ins Home-Office schicken. Aber es geht sehr viel mehr, als wir noch vor zehn Jahren gedacht haben. Mit kluger Software lassen sich Wünsche von Schichtarbeitern besser berücksichtigen. Manche Firmen besetzen Führungspositionen doppelt, damit die Manager die Tätigkeiten aufteilen können.

Welt am Sonntag:Glauben Sie wirklich, dass man bei uns in Deutschland bald Karriere machen kann, ohne 60 bis 80 Stunden in der Woche zu arbeiten?

Kristina Schröder:Wir müssen uns doch eines klarmachen: Wenn wir uns nicht von der Dauerpräsenz in Führungsetagen verabschieden, werden wir irgendwann keine guten Leute mehr finden. Deshalb müssen wir uns für kreativere Lösungen öffnen, wie andere Staaten das auch tun.

Hans Heinrich Driftmann:Natürlich ist ein Mindestmaß an Präsenz erforderlich. Man kann nicht andere Menschen führen, sie motivieren, Arbeit koordinieren, wenn man zu oft abwesend ist. Aber schauen Sie sich doch mal die Realität an. Ich bin doch auch in meinen verschiedenen Funktionen sozusagen jeweils Teilzeitarbeiter. Ich muss mein Unternehmen führen, ich bin hier in Berlin tätig, und gestern Nachmittag habe ich eine Vorlesung an der Universität in Kiel gehalten. Als Führungskraft muss ich mir meine Zeit auch einteilen. Dann habe ich auch Zeit für die Familie, wenn es erforderlich ist.

Kristina Schröder:Ich habe ja auch eine Chefin, die mir nicht permanent über die Schulter guckt, die aber auch sehr effizient per SMS steuert. Die modernen Kommunikationsmittel helfen hier. Und in meinem eigenen Unternehmen, dem Ministerium, bemühen wir uns ebenfalls, zu leben, worüber wir reden: Wir haben 600 Mitarbeiter und rund 100 verschiedene Arbeitszeitmodelle. Für die Kinder unserer Mitarbeiter haben wir eine kleine Kita im Ministerium. Und als Chefin achte ich darauf, wenn es irgendwie geht, keine Besprechungen nach 17 Uhr zu legen und Mitarbeitern am Wochenende und im Urlaub nur im absoluten Notfall eine E-Mail zu schicken.

Welt am Sonntag:Vielen Karrierefrauen bemängeln, dass es bei uns keinen wirklichen Markt für Nannys und Haushaltshilfen gibt. Sollten die steuerlich besser absetzbar werden?

Kristina Schröder:Ein sehr wichtiges Thema. Ja, Hilfe im Haushalt oder bei der Kinderbetreuung sollte besser gefördert werden, und zwar nicht nur für Besserverdienende. In Frankreich zum Beispiel ist es bis weit in die Mittelschicht hinein ganz üblich, Personal in Anspruch zu nehmen. Das ist einer der Gründe, warum die Franzosen eine so hohe Geburtenrate haben. Wir müssen in Deutschland endlich erkennen, dass Familie auch ein Arbeitsplatz ist.

Welt am Sonntag:Wollen Sie sich also tatsächlich für Vergünstigungen einsetzen?

Kristina Schröder:Es ist für mich eines der großen Themen des kommenden Jahres, den Arbeitsplatz Familie zu gestalten. Ich möchte erreichen, dass zum Beispiel auch der Rentner, dem es um die Pflege seiner Frau geht, stärker als bisher auf haushaltsnahe Dienstleister zurückgreifen kann. Es geht um Hilfen in der Familie, die weit über die bisherigen Minijob-Lösungen hinausgehen.

Welt am Sonntag:"Dienstmädchenprivileg" hieß hier bisher das dazugehörige Totschlagargument ...

Kristina Schröder:Damit hat die SPD jahrelang versucht, dieses Thema kaputtzureden. Aber genau das Gegenteil muss gelten: Im Moment kann sich nur die Oberschicht Hilfe leisten. Wir müssen ermöglichen, dass dies auch für viel breitere Schichten erschwinglich wird. Das ist genau das Gegenteil vom "Dienstmädchenprivileg". Viele Mütter in mittleren Positionen brauchen Hilfe im Haushalt, um die eigene Karriere erst zu ermöglichen. Sonst kommen sie nie oben an.

Welt am Sonntag:Frau Schröder, Herr Driftmann, Sie kennen sich seit Jahren und sind sich offenbar in vielen Punkten einig. Gibt es überhaupt Themen, die Sie besser meiden, wenn Sie die Harmonie nicht gefährden wollen?

Hans Heinrich Driftmann:Nehmen Sie das Thema Frauenquote - wir sind uns einig darüber, dass wir mehr Frauen in Führungspositionen brauchen, uneins sind wir, wie wir da hinkommen. Während Frau Schröder eher über Regelungen und Gesetzgebungen nachdenkt, ist mein Ansatz ein anderer: Ich plädiere für politische Entscheidungen, die den unterschiedlichen Realitäten in den Unternehmen Rechnung tragen. Denn was beispielsweise für ein großes Unternehmen in Bayern eben noch tragbar wäre, ist für einen Mittelständler in NRW womöglich unrealistisch. Eine gesetzliche Frauenquote, wie sie Arbeitsministerin von der Leyen vorschlägt, suggeriert eine Gleichheit, die es in der Wirtschaft nicht gibt. Denken Sie etwa daran, wie wenige Ingenieurinnen es immer noch gibt.

Welt am Sonntag:Das heißt, der Frieden ist gewahrt, solange Frau Schröder sich aufs freundliche Appellieren beschränkt und keine Gesetze ausheckt?

Hans Heinrich Driftmann:Ich weiß natürlich, dass wir unterschiedliche Rollen haben. Mein Part ist zu hinterfragen, ob geplante gesetzliche Regelungen auch in der Praxis umsetzbar sind.

Welt am Sonntag:Bislang hat Frau Schröder von gesetzlichen Zwangsinstrumenten abgesehen. Das heißt, Sie haben auf dem Weg hierher gute Arbeit als Lobbyist geleistet.

Hans Heinrich Driftmann:Nein, ich bin kein Lobbyist für einzelne Branchen. Als IHK-Organisation machen wir Politikberatung aus der Perspektive der gesamten Wirtschaft. Ich kann akzeptieren, dass für Politiker und Unternehmer andere Spielregeln gelten, wir müssen auch nicht in jedem Punkt einer Meinung sein.

Kristina Schröder:Allerdings. Gerade im Bereich der Familienpolitik gibt es viele Vorschriften, die sicher Bürden für die Wirtschaft sind, aber sehr wichtig. Nehmen Sie nur den gesetzlichen Mutterschutz oder die Elternzeit - all das bringt zweifellos organisatorische Schwierigkeiten mit sich, goldrichtig ist es trotzdem ...

Hans Heinrich Driftmann:Das bestreite ich auch nicht pauschal. Ich meine nur, dass man mit langem Atem herangehen muss. Wir können die vielen weiblichen Führungskräfte eben nicht einfach aus der Tasche ziehen. Da muss erst etwas wachsen. In meinen BWL-Vorlesungen sitzen wohl 60 Prozent Frauen, die sind sogar oft besser als die Männer. Aber wenn jemand mit 25 sein Studium brillant abschließt, dann ist er auch zehn Jahre später noch nicht unbedingt eine ausgewiesene Führungskraft. Wir brauchen ein bisschen Geduld. Wenn ich mir die Zahlen anschaue, ist das in Teilen durchaus schon eine Erfolgsstory, die wir da vorweisen können. Das wird nur in der Öffentlichkeit ganz anders dargestellt ...

Welt am Sonntag:Aber Herr Driftmann, so ganz überzeugend ist die Erfolgsstory nicht - in Ihrem eigenen Haus, dem DIHK, ist unter zwölf Bereichsleitern gerade mal eine Frau, bei Kölln ist die Geschäftsführung sogar rein männlich.

Hans Heinrich Driftmann:Aber, Entschuldigung: Ich fördere regelmäßig Frauen im eigenen Unternehmen. Ich habe aber nicht nur einmal die Erfahrung gemacht, dass sie irgendwann mit Ende 30 das erste Kind bekommen, und dann das zweite, und schon sind sie zwei Jahre aus dem Job heraus. Noch dazu heiraten erfolgreiche Frauen oft erfolgreiche Männer. Und in einer solchen Konstellation entscheiden sich die Frauen dann häufig gegen die Karriere.

Kristina Schröder:Dass sich die allermeisten Frauen Familie wünschen und dass Kinder für sie - wie übrigens auch für die Männer - zu einem glücklichen Leben dazugehören, ist nun mal ein Fakt. Mit einer Führungskultur in den Firmen, die abgestellt ist auf Menschen, die 60 und 80 Stunden die Woche arbeiten, ist beides nur leider nicht möglich.

Welt am Sonntag:Aber warum soll sich das durch eine freiwillige Selbstverpflichtung wirklich ändern? Brauchen wir nicht etwas mehr Druck von der Politik?

Kristina Schröder:Natürlich, deshalb will ich das Gesetz zur Flexi-Quote ja auch noch in diesem Jahr - auch wenn ich weiß, dass Herr Driftmann das nicht gerne hört. Damit sind Unternehmen gesetzlich verpflichtet, sich selbst eine Quote zu verordnen, diese öffentlich zu machen und durchzusetzen. Andernfalls greifen gesetzliche Sanktionen. Und durch die Veröffentlichung der Zielvorgaben der Konzerne wird es natürlich auch öffentliche Debatten geben. So steigt der Druck auf die Unternehmen.

Hans Heinrich Driftmann:Wobei man die ganze Debatte nicht immer nur an den Dax-Unternehmen festmachen sollte - es ist ein Fehler der Politik, sich oft nur an den Dax-Unternehmen zu orientieren. Ich vertrete 3,6 Millionen deutsche Unternehmen, im Schnitt liegt bei uns der Frauenanteil in Führungspositionen bei 27 Prozent.

Welt am Sonntag:Das sind aber vor allem Kleinstbetriebe wie Friseure und Kioske. Bei Unternehmen mit über 500 Mitarbeitern sieht das Bild düsterer aus ...

Kristina Schröder:Es gibt sicher auch größere Mittelständler, die vorbildlich sind, was die Frauenförderung betrifft. Generell muss man aber tatsächlich leider sagen, dass der Frauenanteil auf Managementebene geringer wird, je größer das Unternehmen ist. Je kleiner die Firma, desto mehr Frauen finden wir vor. Vielleicht liegt das auch daran, dass man sich besser kennt und mehr Rücksicht auf die Belange des anderen nimmt. Davon können sich die Großen schon etwas abgucken.

Welt am Sonntag:Warum schreiten Sie nicht voran, Herr Driftmann, und verordnen Ihrer Firma eine freiwillige Frauenquote?

Hans Heinrich Driftmann:Wir brauchen bei uns keine Selbstverpflichtung, wir bleiben auch so engagiert an dem Thema dran.

Welt am Sonntag:Frau Ministerin, wir nehmen das Argument von Herrn Driftmann auf: Macht es nicht Sinn, beim Thema Frauenförderung auch den Mittelstand stärker ins Visier zunehmen?

Kristina Schröder:Ich halte nichts davon, gesetzliche Regelungen auf den Mittelstand zu übertragen. Es wäre ein wesentlich stärkerer Eingriff in die unternehmerische Freiheit, wenn ich dem Eigentümer eines Unternehmens die Zusammensetzung seines Personals verordnen würde. Aber natürlich brauchen wir den Mittelstand, wenn wir in Deutschland wirklich etwas verändern wollen. Allein mit den paar Dax-Konzernen kommen wir da nicht weiter.

Hans Heinrich Driftmann:Ich würde mich aber freuen, wenn die Politik selbst mit gutem Beispiel voranginge und in den bundes- und landeseigenen Unternehmen zunächst das umsetzt, was sie fordert.

Kristina Schröder:Da haben Sie recht. Genau deshalb präsentiere ich im Rahmen meines Stufenplans für mehr Frauen in Führungspositionen ja auch ein Konzept für die öffentliche Hand.

Welt am Sonntag:Eine Frage zum Schluss, Frau Schröder. Sie selbst sind ja eine Art Quotenfrau, weil sie vom Quorum - einer parteiinternen Frauenquote - begünstigt wurden. Sie sind an die Spitze gekommen, und beweisen müssen wir uns doch alle. Was ist eigentlich so schlimm am Quotenfraudasein?

Kristina Schröder:Schon allein, dass mir so gut wie in jedem Interview dieser Punkt vorgehalten wird. Wirkliche Gleichberechtigung haben wir erst dann erreicht, wenn Sie mir eine solche Frage gar nicht mehr stellen. Und da will ich hin.

Das Interview erschien am 1. Mai in der Welt am Sonntag. Das Gespräch führten Ileana Grabitz und Inga Michler.