FOCUS Deutschland spürbar stärken

Pressefoto der Ministerin
Bundesfamilienministerin Dr. Franziska Giffey© Thomas Imo/photothek.net

FOCUS: Frau Giffey, Ihnen geht es wie vielen Müttern und Vätern: Wie kriegen Sie Familie und Beruf unter einen Hut?

Dr. Franziska Giffey: Natürlich ist das schwer, wie in ganz vielen anderen Familien. Wir sind angewiesen auf eine gute Nachmittagsbetreuung und ohne die Geheimwaffe Oma und Opa würde es manchmal auch nicht funktionieren.

FOCUS: Haben Sie manchmal ein schlechtes Gewissen, dass Sie zu wenig Zeit für Ihren Sohn haben?

Dr. Franziska Giffey: Haben Sie diese Frage auch schon mal einem Mann gestellt? Ein schlechtes Gewissen habe ich nicht - ich versuche die Zeit, die ich habe, gut mit meinem Sohn zu verbringen. Aber natürlich ist Vereinbarkeit von Familie und Beruf nie einfach. Das ist bei mir genau wie bei vielen anderen Familien.

FOCUS: Der Staat gibt mittlerweile 200 Milliarden Euro im Jahr für mehr als 150 unterschiedliche familienpolitische Leistungen aus. Dennoch fehlen immer noch 270.000 Kitaplätze für Kinder unter drei Jahren. Wird das Geld falsch ausgegeben?

Dr. Franziska Giffey: Seit 2013 gibt es den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für unter Dreijährige. Seit dem ist viel passiert. Heute profitiert ein Drittel der Kinder unter drei Jahren von frühkindlicher Bildung in Kitas und Kindertagespflege - fast 800.000 Kinder. Vor ein paar Jahren waren es nur zehn Prozent. Trotzdem brauchen wir mehr Plätze. Darum werden wir hier nicht nachlassen.

FOCUS: Bis wann werden Sie die Lücke schließen?

Dr. Franziska Giffey: Bis 2020 werden wir weitere 100.000 Kita-Plätze aus Mitteln des Bundes finanzieren. Hinzu kommen die Investitionen von Ländern und Kommunen. Es geht aber nicht nur um Ausbau, sondern auch um mehr Qualität und weniger Gebühren. Dazu haben wir das Gute-KiTa-Gesetz auf den Weg gebracht, mit dem wir bis 2022 5,5 Milliarden Euro an die Länder geben werden. Die Ausgangslagen in den Ländern sind sehr unterschiedlich, zum Beispiel bei den Gebühren. Es gibt Kitas, die sind gebührenfrei, andere kosten 500 bis 800 Euro pro Monat. Kürzlich habe ich von einer Kita erfahren in der ein Platz 1600 Euro kostet.

FOCUS: 1600 Euro im Monat?

Dr. Franziska Giffey: Das ist ein extremes Beispiel. Aber die Grundproblematik ist klar. Nehmen Sie Düsseldorf - dort sind Kitas gebührenfrei. Der Ministerialdirigent mit teurer Wohnung in der Stadt hat den kostenlosen Kita-Platz für sein Kind. Die Kantinenmitarbeiterin, die außerhalb wohnt, muss 500 Euro Kita-Gebühr bezahlen. Das ist ungerecht. Mit dem Gute-KiTa-Gesetz kommt darum jetzt die verpflichtende Staffelung der Beiträge nach Einkommen und zwar in ganz Deutschland.

FOCUS: Die Opposition kritisiert, dass Sie den Ländern keine Vorgaben machen, wie sie die Milliarden einsetzen.

Dr. Franziska Giffey: Einheitliche Qualitätsstandards für ganz Deutschland sind mittelfristig eine gute Sache, aber im Moment ist die Situation in den Ländern sehr unterschiedlich. Das Gute-KiTa-Gesetz funktioniert wie ein Baukastensystem. Die Länder entscheiden, was das wichtigste vor Ort ist und wo die größten Bedarfe liegen. Einige wollen in einen besseren Betreuungsschlüssel investieren, einige eher in die Ausweitung der Öffnungszeiten und einige fokussieren auf bessere Räumlichkeiten oder die Entlastung der Kita-Leitung.

FOCUS: Die Befürchtung ist, dass das zusätzliche Geld einfach in den Länder-Haushalten verschwindet.

Dr. Franziska Giffey: Deshalb ist im Gesetz geregelt, dass wir Verträge mit den Ländern machen, damit das Geld auch wirklich in frühkindliche Bildung fließt.

FOCUS: Manche Eltern wollen ihre Kinder ja auch gar nicht in die Kita schicken. Gut 40 Prozent im Westen und mehr als ein Viertel im Osten sagen, das schadet meinem Kind. Mischt sich der Staat zu sehr in die Familien ein?

Dr. Franziska Giffey: Diese Fragen gelten für die unter Dreijährigen. Bei den über Dreijährigen sind deutschlandweit über 90 Prozent der Kinder in einer Kita. Mein Ziel ist, dass Eltern sagen: Gute Kita-Zeit tut meinem Kind gut, das möchte ich meinem Kind nicht vorenthalten. Den Morgenkreis, die Geburtstagsfeier, das Spielen mit den anderen Kindern, all das können Eltern nicht ersetzen. Auch wenn sie sich noch so sehr bemühen.

FOCUS: Früher haben Sie eine Kita-Pflicht gefordert. Tun Sie das heute nicht mehr?

Dr. Franziska Giffey: Wir haben gerade darüber gesprochen, dass Kita-Plätze fehlen. Im Mittelpunkt steht der Ausbau, sodass wir allen ein gutes Angebot machen können. Als Bezirksbürgermeisterin von Neukölln habe ich häufig erlebt, dass Kinder zuhause nicht genug gefördert werden und zum Beispiel nicht richtig Deutsch lernen. Für diese Kinder wäre ein verbindliches Angebot wichtig.

FOCUS: Was meinen Sie mit einem verbindlichen Angebot?

Dr. Franziska Giffey: Dass ein Kind zum Beispiel verbindlich Sprachförderung bekommt, wenn das nötig ist. Es kann nicht sein, dass der Schularzt bei der Schuleingangsuntersuchung feststellt: "Kind in Deutschland geboren und aufgewachsen, fünf Jahre alt, Verständigung nicht möglich."

FOCUS: Aber die große Koalition will nun erst einmal das Kindergeld um zehn Euro im Monat erhöhen. Wären die insgesamt 3,3 Milliarden Euro dafür nicht besser angelegt in mehr Kita-Plätzen?

Dr. Franziska Giffey: Der Bund investiert viel in den Ausbau von Kitaplätzen, obwohl das eigentlich Ländersache ist. Gleichzeitig bringen Sozialminister Hubertus Heil (SPD) und ich das Starke-Familien-Gesetz auf den Weg. Es richtet sich vor allem an Familien, in denen die Eltern arbeiten, das Geld aber wegen der Kinder knapp wird. Für diese Familien schaffen wir so eine Art Kindergeld Plus, indem wir den Kinderzuschlag erhöhen und leichter zugänglich machen. 750.000 Kinder werden davon künftig profitieren. Außerdem machen wir für Kinder deren Familien Sozialleistungen bekommen, das Schulmittagessen und die Schülerfahrkarte kostenlos, ermöglichen Lernförderung und erhöhen das Schulstarterpaket. Wichtig ist mir, dass Familien nicht arm sind, weil sie Kinder haben und dass sich mehr Arbeit immer lohnen muss.

FOCUS: Wie wollen Sie das erreichen?

Dr. Franziska Giffey: Wir schaffen die so genannte Abbruchkante ab. Im Moment ist es so: Man geht arbeiten, verdient ein bisschen mehr und verliert den gesamten Anspruch auf den Kinderzuschlag. Dann haben Sie plötzlich weniger in der Tasche als vorher. Das ist absurd. In Zukunft gilt: Wenn jemand mehr verdient, dann bekommt er ein bisschen weniger Kinderzuschlag. Unterm Strich bleibt von mehr Einkommen aber immer mehr übrig.

FOCUS: In den Vorhaben Ihres Ministeriums für dieses Jahr kommt das Wort "Männer" nur einmal vor - unter dem Punkt "Frauen machen Karriere". Spielen Männer für Sie keine Rolle?

Dr. Franziska Giffey: Doch, sehr wohl. Wir erleben, dass Männer heute viel stärker an der Familienarbeit teilhaben als früher. Und in fast allen Bereichen des Ministeriums spielen Männer eine Rolle. Bei der Familienförderung, auch bei der Jugend- oder der Seniorenpolitik. Aber Tatsache ist: Frauen sind häufig noch immer nicht gleichberechtigt. Zum Beispiel bei der Bezahlung oder in Führungspositionen. Solange das so ist, finde ich den Fokus auf Frauen richtig.

FOCUS: Aber Männer wollen gute Väter sein und beruflich erfolgreich. Ist das kein Thema für die Familienpolitik?

Dr. Franziska Giffey: Das gilt doch für Frauen wie für Männer. Das ElterngeldPlus richtet sich zum Beispiel gezielt auch an Väter. Es belohnt, wenn sie länger als die üblichen zwei Monate in Elternzeit gehen und beide Eltern Teilzeit arbeiten. Immer mehr Väter nehmen das in Anspruch.

FOCUS: Sie haben gerade die Gründungsurkunde für das Deutsch-Griechische Jugendwerk unterschrieben. Dabei hat die griechische Seite Bedenken geäußert, dass der deutsche Hauptsitz für das Jugendwerk in Leipzig sein soll. Wegen "rechtsradikaler Tendenzen" in Ostdeutschland. Sind Sie von den deutlichen Worten überrascht?

Dr. Franziska Giffey: Die Bilder, die aus Chemnitz in die Welt gingen, hatten ihre Wirkung. Wir müssen aber deutlich machen: Diese Bilder repräsentieren nicht Chemnitz, nicht Sachsen, nicht Ostdeutschland.

FOCUS: Bleibt es beim Standort Leipzig?

Dr. Franziska Giffey: Ja. Wir haben uns bewusst für Leipzig entschieden. Leipzig ist eine weltoffene Stadt mit langjährigen Beziehungen zu Griechenland. Das Deutsch-Griechische Jugendwerk soll ja gerade zur gegenseitigen Verständigung beitragen. Jeder junge Mensch, der eine internationale Begegnung erlebt hat, ist für Rechtspopulismus und Rassismus nicht mehr so anfällig. Es geht auch darum, diejenigen zu stärken, die sich für die Demokratie einsetzen.

FOCUS: Dazu hatten Sie nach den Ausschreitungen in Chemnitz ein "Demokratiefördergesetz" vorgeschlagen. Was soll das bringen?

Dr. Franziska Giffey: Bisher kann der Bund zivilgesellschaftliches Engagement für die Demokratie nur befristet in Modellprojekten unterstützen. Demokratieförderung kann sich aber nicht von Projekt zu Projekt hangeln. Wir brauchen eine strukturelle Förderung. Dazu ist ein Gesetz Voraussetzung. Über weitere Schritte, bin ich mit den Fraktionen im Bundestag im Gespräch.

FOCUS: Wann wird es Zeit für die SPD, die Groko zu verlassen?

Dr. Franziska Giffey: Ohne die SPD gäbe es kein Gute-KiTa-Gesetz, kein neues Mieterschutzgesetz und keine 2,5 Milliarden Euro vom Bund für den sozialen Wohnungsbau. Die Arbeitgeber würden auch nicht wieder die Hälfte der Krankenkassenbeiträge bezahlen, es gäbe kein Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit und keinen sozialen Arbeitsmarkt für Langzeitarbeitslose. All das verändert die Lage von Menschen ganz konkret. Darüber müssen wir reden. Die SPD muss sagen, wofür sie steht und was sie erreicht hat und was ohne sie nicht möglich wäre.

FOCUS: Was würden Ihr Mann und Ihr Sohn sagen, wenn die SPD Sie zur neuen Parteichefin vorschlagen und wählen würde?

Dr. Franziska Giffey: Ich bin seit einem guten halben Jahr Bundesfamilienministerin. Diese Aufgabe habe ich übernommen, da gibt es genug zu tun und darauf konzentriere ich meine Kraft.