Bundesfamilienministerin Kristina Schröder im Interview mit der Passauer Neuen Presse

Dr. Kristina Schröder gab der Passauer Neuen Presse (Erscheinungstag 6. März 2013) das folgende Interview:

Frage: Frau Schröder, von Ihnen stammt der Satz, dass auch in homosexuellen Lebensgemeinschaften "konservative Werte" gelebt werden. Jetzt hat die CDU die Gleichstellung der Homo-Ehe erst einmal vertagt. Sind Sie enttäuscht? 

Dr. Kristina Schröder: Meine Position zu gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften ist seit Jahren bekannt. Ich freue mich über die große Unterstützung für diejenigen in der Unionsfraktion, die offen für eine steuerliche Gleichstellung eingetreten sind. In der Union hat sich  einiges bewegt. Eine offene Debatte über die steuerliche Gleichstellung mit einem so knappen Ausgang wie auf unserem letzten Bundesparteitag wäre noch vor kurzem undenkbar gewesen.

Frage: Die FDP drängt, die Union bremst - worauf wird sich die schwarz-gelbe Koalition beim Thema Homo-Ehe noch vor der Bundestagswahl einigen können?

Dr. Kristina Schröder: Ich gehe davon aus, dass wir noch in dieser Legislaturperiode das Urteil zur Sukzessivadoption umsetzen werden. Die darüber hinaus gehenden Fragen sollten wir gerade deshalb sorgsam diskutieren, weil Ehe und Familie für die Union so einen hohen Stellenwert haben - auch wenn das bedeuten kann, dass weitere Schritte vor der Bundestagswahl vielleicht nicht mehr möglich sein werden.

Frage: Einige in der Union nehmen die Debatte über die Homo-Ehe zum Anlass für Überlegungen für ein Familiensplitting anstelle des bisherigen Ehegattensplittings. Was halten Sie von diesen Forderungen? 

Dr. Kristina Schröder: Die Zeit ist reif für ein Familiensplitting. Das kann aber nicht bedeuten, dass kinderlose Ehen oder Ehepartner, deren Kinder schon aus dem Haus sind, keine oder deutlich weniger Unterstützung erhalten. Wir wollen das Ehegattensplitting durch ein Familiensplitting ergänzen, nicht abschaffen. Mein Kollege Bundesfinanzminister Schäuble und ich prüfen gerade verschiedene Modelle. Bis zum Sommer werden wir gemeinsam einen Vorschlag vorlegen. Das wird unser Angebot an die Wähler bei der Bundestagswahl.

Frage: Sollten auch ledige oder gleichgeschlechtliche Paare in den Genuss dieses neuen Familiensplittings kommen?

Dr. Kristina Schröder: Das Ehegattensplitting unterstützt, wenn zwei Menschen gegenseitig Verantwortung füreinander übernehmen, in guten wie in schlechten Zeiten. Das Familiensplitting unterstützt das Vorhandensein von Kindern. Und wo beides zusammenfällt, würden beide Unterstützungen zusammen wirken.

Frage: Sie führen das Betreuungsgeld ein und denken intensiv über ein steuerliches Familiensplitting nach - beides wären neue familienpolitische Leistungen. Sollten nicht zunächst die bisherigen Fördermaßnahmen für Kinder und Familien auf den Prüfstand gestellt werden?

Dr. Kristina Schröder: Die Überprüfung der familienpolitischen Leistungen läuft. Erste Ergebnisse sind bereits veröffentlicht. Wolfgang Schäuble und ich werden die Evaluierungsergebnisse natürlich bei unseren Überlegungen für ein Familiensplitting berücksichtigen.

Frage: Themenwechsel: Am heutigen Mittwoch stellen Sie das neue Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" vor. Nimmt häusliche Gewalt in Deutschland zu?

Dr. Kristina Schröder: Wir wissen, dass 40 Prozent aller Frauen mindestens einmal im Leben Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt geworden sind. Diese Bedrohung findet sehr häufig im häuslichen Umfeld statt. Nur jede fünfte betroffene Frau findet den Weg zu Hilfs- und Unterstützungsangeboten vor Ort. Es war höchste Zeit für ein niedrigschwelliges Hilfsangebot. In der konkreten Bedrohungssituation benötigen Frauen schnell kompetenten Rat - und den bekommen sie künftig unter 08000 116 016. 

Frage: Was versprechen Sie sich von diesem Hilfetelefon?

Dr. Kristina Schröder: Diese Notrufnummer hat Wegweiserfunktion. Die Expertinnen stehen den Anruferinnen mit Rat und Hilfe zur Seite: Zum Beispiel wann es richtig ist, die Wohnung zu verlassen, um nicht ein weiteres Mal Opfer von Gewalt zu werden,  oder wo sich die nächste Beratungsstelle und das nächste Frauenhaus befindet. Vor Ort haben wir hervorragende Hilfsangebote. Viele Frauen, die Opfer von häuslicher Gewalt geworden sind, trauen sich leider nicht, sie im richtigen Moment zu nutzen. Unser Telefon-Angebot soll helfen, diese Hemmschwelle zu überwinden. 

Frage: Am Freitag ist Weltfrauentag: Die Opposition wirft Ihnen Fehler und Versäumnisse in der Gleichstellungspolitik vor - von der Frauenquote bis zum Kampf gegen ungleiche Bezahlung weiblicher und männlicher Arbeitnehmer. Warum setzen Sie als Frauenministerin vor allem auf unverbindliche Appelle?

Dr. Kristina Schröder: Moment mal! Mein Vorschlag einer Flexiquote ist eben nicht freiwillig. Die Unternehmen werden per Gesetz verpflichtet, sich selbst Ziele für den Frauenanteil in den Führungsetagen zu setzen. Und falls diese nicht eingehalten werden, drohen empfindliche Sanktionen. Dieses Modell war in dieser Legislaturperiode mit der FDP leider nicht umzusetzen. Wir bleiben aber dran. Die Union will die Flexiquote in ihr Wahlprogramm aufnehmen.

Frage: Beeindruckt das die Unternehmen?

Dr. Kristina Schröder: Es sind doch schon jetzt Fortschritte erkennbar. Die DAX-30-Unternehmen haben sich bereits für alle Führungsebenen feste Ziele gesteckt.  Dadurch wollen sie insgesamt 5400 Frauen mehr in Führungspositionen bringen. Das kann sich sehen lassen. Von einer 30-Prozent-Quote für Aufsichtsräte würden bei den Dax-30 gerade einmal 75 Frauen profitieren.

Frage: Gerade erst hat eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung ergeben, dass sich der Anteil der Frauen mit Vollzeitjob in Deutschland seit Anfang der Neunzigerjahre nahezu halbiert hat. Ein Alarmzeichen für die Bundesfrauenministerin?

Dr. Kristina Schröder: Man muss sich die Zahlen schon genau anschauen. Zumindest in den letzten Jahren ist die Zahl der Frauen, die Vollzeit arbeiten, nahezu konstant geblieben. Und wir beobachten, dass immer mehr Frauen arbeiten - meist in Teilzeit. Überwiegend entspricht dies dem Wunsch vieler Frauen, Familie und Beruf so miteinander zu vereinbaren. Wir sollten das nicht mit dem Wort Teilzeitfalle abqualifizieren. Frauen, die Teilzeit  arbeiten, sind keine dümmlichen Wesen, die in irgendwelche Fallen getappt sind. Wichtig ist, dass der Schritt aus der Vollzeit in die Teilzeit rechtlich keine Einbahnstraße ist. Wir brauchen umgekehrt auch einen Rechtsanspruch, von Teilzeit in Vollzeit zu wechseln. Dafür werden wir im Bundestagswahlkampf kämpfen.  

Frage: Apropos Bundestagswahl: Wollen Sie danach weiter Familienministerin bleiben?

Dr. Kristina Schröder: Mein Ziel lautet: Wir wollen die Wahl gewinnen.