Bundesfamilienministerin Kristina Schröder im Interview mit dem Focus

Bundesfamilienministerin Dr. Kristina Schröder gab dem Focus (Erscheinungstag 27. August 2012) das folgende Interview:

Frage: Im Erdgeschoss Ihres Ministeriums gibt es eine Kinderkrippe. Ihre Tochter Lotte ist gut ein Jahr alt. Sie könnten sie dort unterbringen, oder?

Dr. Kristina Schröder: Mein Mann und ich organisieren die Betreuung unserer Tochter gemeinsam. Wir haben auch viel familiäre Unterstützung. So bekommen wir unseren Alltag hin –  bei allen Problemen, die immer wieder mal auftreten.

Frage: Kommt Lotte also nicht in eine Kita?

Dr. Kristina Schröder: Die Frage "Gibt Frau Schröder ihr Kind in die Kita und wenn ja, wie lange" besprechen wir ausschließlich familienintern.

Frage: Dienstlich sind Sie ja sehr stark mit dem Thema befasst.

Dr. Kristina Schröder: Allerdings. Der Kita-Ausbau ist das zentrale Projekt des kommenden Jahres. Ich will, dass wir am Ende dieser Legislatur sagen können: "Der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz in Deutschland ist realisiert." Das ist neben dem Euro und der Energiewende die größte Herausforderung in dieser Legislatur.

Frage: Sie sind seit drei Jahren im Amt. Wo ist bei alledem Ihr Profil? Beobachter nennen Sie schon "die gescheiterte Ministerin".

Dr. Kristina Schröder: Was von manchen Prognosen zu halten ist, zeigt sich ja beispielhaft am Bundesfreiwilligendienst. Da haben alle vor einem Jahr geunkt: "Das wird nichts". Oder gefordert: "Macht besser gleich ein soziales Pflichtjahr." Und jetzt ist der Bundesfreiwilligendienst ein absoluter Renner. Es ist schon komisch: Einerseits wirft man mir vor, zu wenig Profil zu zeigen. Andererseits polarisiere ich offenbar sehr mit den Debatten, die ich selbst angestoßen habe. Beides kann ja nicht stimmen.

Frage: Im Demographiebericht der Bundesregierung wird das Leitbild der berufstätigen Frau formuliert. Schwimmen Sie hier gegen den Strom?

Dr. Kristina Schröder: Mein Leitgedanke ist es, individuelle Wahlfreiheit zu unterstützen. Es kann nicht Aufgabe des Staates sein, private Lebensentscheidungen zu diktieren oder nur bestimmte Leitbilder gut zu finden. Das Mantra der Vollzeit berufstätigen Frau übersieht, dass es daneben auch viele andere Lebensentwürfe gibt – und zwar für Frauen und Männer. Im Laufe des Lebens muss jeder immer wieder für sich entscheiden, ob er mehr Geld vorzieht oder mehr zeitliche Freiräume. Auf dem Sterbebett fragen sich die wenigsten, ob sie zu selten im Büro waren. Da fragt man sich eher, ob man genug Zeit gehabt hat für die Familie.

Frage: Ihre Kabinettskollegin von der Leyen vertritt das Leitbild der berufstätigen Frau ja sehr offensiv.

Dr. Kristina Schröder: Ich bin Familienministerin. Da stelle ich fest: Den Menschen ist es wichtig, Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. Wenn ich mein Kind länger nicht sehe, bin ich todunglücklich. Und meinem Mann ergeht es genau so.

Frage: Was aber soll der Staat dann fördern? Alles? Wie soll er lenken? Gar nicht?

Dr. Kristina Schröder: Gerade in den ersten Lebensjahren eines Kindes sollte der Staat den Eltern ermöglichen, unterschiedliche Wege zu gehen, anstatt einzig die Vollzeit-Berufstätigkeit als angebliche Glücks-Norm zu unterstützen. Dass ein so simples Plädoyer für Pluralität  das Zeug zum Aufreger hat, verstehe ich nicht.

Frage: Bei einem anderen Thema haben sie selbst Parteifreunden Stoff für Aufregung gegeben – als sie sich  für eine steuerliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare Ehen ausgesprochen haben.

Dr. Kristina Schröder: Gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften stehen füreinander genauso ein wie ein klassisches Ehepaar. Das ist im besten Sinne ein konservativer Wert, den wir anerkennen sollten. Weitere Schritte sind jetzt erst einmal Sache der Bundestagsfraktionen. Als Abgeordnete werde ich dort meine Position  sicherlich deutlich machen.

Frage: Also sollten homosexuelle Paare auch Kinder adoptieren dürfen, oder?

Dr. Kristina Schröder: Bei einer Adoption muss das Kindeswohl immer im Vordergrund stehen. Gleichgeschlechtliche Paare können einem Kind nur eine einzige Sache prinzipiell nicht bieten –  nämlich Verschiedengeschlechtlichkeit.

Frage: Dann lautet die Antwort Nein?

Dr. Kristina Schröder: Das muss man differenziert betrachten. Es gibt ja schon heute die Möglichkeit für Homosexuelle, ein Kind zu adoptieren, wenn auch nicht als Paar. Vater und Mutter sind für ein Kind ideal. Aber es gibt mehr Kriterien, die gewichtet werden wollen. . 

Frage: Sie werben also dafür, die Entscheidung über das Adoptionsrecht homosexueller Paare im Einzelfall zu entscheiden?

Dr. Kristina Schröder: Es geht am Ende um eine Gesamtbewertung dessen, was gut ist für ein Kind. Ich finde gut, was jetzt schon geht.

Frage: Viele wollen die Debatte um die Gleichstellung Homosexueller umgekehrt aufzulösen: Das teure Ehegattensplitting für alle abschaffen.

Dr. Kristina Schröder: Ich bin ein Fan des Ehegattensplittings. Der Staat sollte es fördern, wenn zwei Menschen füreinander lebenslang Verantwortung übernehmen – in guten wie in schlechten Zeiten. Oft wird über diese Frage hinweg gehuddelt, indem Ehe und Familie in einem Atemzug genannt werden, weil es angeblich nur darauf ankomme, ob Kinder da sind. Das greift zu kurz. Die Ehe hat auch als kinderlose Verantwortungsgemeinschaft für den Staat einen Wert an sich.

Frage: Aber selbst Ihre Berater sagen seit Jahren: Das Ehegattensplitting schafft falsche Anreize. Es fördere auch kinderlose Ehen und mache es für Frauen attraktiv, den Beruf aufzugeben.

Dr. Kristina Schröder: Das  Ehegattensplitting unterstützt Paare. Eheleute leisten sehr viel für unsere Gesellschaft: Wenn der eine in Not gerät, zahlt zuerst der Partner - und nicht der Staat. Wenn in einer Ehe beide je 2000 Euro verdienen, werden sie genau so besteuert, wie wenn einer 4000 und der andere null verdient.

Frage: Finden Sie es in Ordnung, wenn der Staat das kinderlose Zahnarzt-Ehepaar mit Hausfrau daheim steuerlich unterstützt, nicht aber die alleinerziehende Zahnarzthelferin? 

Dr. Kristina Schröder: Jemand ohne Ehepartner stellt sich ja nicht schlechter, weil das Ehepaar nebenan nach dem Ehegattensplitting besteuert wird. Wie sich zwei Ehepartner ihre Familienarbeit und Berufstätigkeit aufteilen – da sollte der Staat sich nicht einmischen. Aber: Wir müssen schon überlegen, wie wir auch Alleinerziehende noch besser unterstützen können.

Frage: Die CDU hat das Familiensplitting seit vielen Jahren im Programm. Seit 2005 stellen Sie die Kanzlerin. Was hindert Sie daran, es endlich umzusetzen?

Dr. Kristina Schröder: Die Grundidee, das Einkommen für die steuerliche Bewertung auf die Familienmitglieder zu verteilen,  ist gut.  Ein Familiensplitting würde allerdings nach vorsichtigen Schätzungen um die zehn Milliarden Euro pro Jahr kosten. Das ist im Moment einfach nicht realistisch.

Frage: Aber Politik bedeutet doch auch: gestalten. Das Ehegattensplitting kostet doch auch 27 Milliarden. Sie könnten kämpfen und die Mittel umschichten.

Dr. Kristina Schröder: Ich könnte in vielen Fragen nutzlose Schaukämpfe führen. Das bringt mediale Aufmerksamkeit und kurzfristig Popularität. Mir kommt es auf längerfristige Ergebnisse an.

Frage: Ihre Kollegin Ursula von der Leyen kämpft – und bekommt noch etwas Geld für die neue Zuschussrente für Geringverdiener. Die Frauen-Union rügt Benachteiligungen für Mütter ...

Dr. Kristina Schröder: Es ist tatsächlich unfair, dass Frauen, die vor 1992 ihre Kinder geboren haben, weniger erhalten als jene, die ab 1992 ihre Kinder geboren haben. Denn gerade diese älteren Frauen hatten weniger Chancen, durch eigene Berufstätigkeit für ihr Alter vorzusorgen.

Frage: Die Jüngeren bekommen 27 Euro pro Kind, die anderen 82 ...

Dr. Kristina Schröder: Ich verfolge den Kampf um mehr Rentengerechtigkeit mit viel Sympathie. Aber auch hier geht es um eine große finanzielle Mehrbelastung.

Frage: Apropos: Der Staat gibt 195 Milliarden Euro für Familienförderung aus – die Geburtenraten bleiben aber niedrig. Seit Jahren sollen alle familienpolitischen Maßnahmen auf Logik und Wirksamkeit überprüft werden. Wann passiert das?

Dr. Kristina Schröder: Die Ergebnisse sollen 2013 vorliegen.

Frage: Also erst nach der Wahl?

Dr. Kristina Schröder: Den Zeitpunkt kann noch niemand seriös benennen. Wir haben aber schon erste Ergebnisse, zum Beispiel wie die wichtigsten familienbezogenen Leistungen akzeptiert und genutzt werden. Eine Tendenz: Leistungen für sehr breite Bevölkerungsteile wie das Kindergeld und auch die beitragsfreie Mitversicherung sind sehr bekannt und beliebt. Wichtige, aber kompliziertere Leistungen wie der Kinderzuschlag sind dagegen kaum bekannt, obwohl sie oft sehr viel helfen.

Frage: Erklären Sie ihn uns!

Dr. Kristina Schröder: Der Kinderzuschlag ist eine Leistung für eine kleine Bevölkerungsgruppe. Er soll verhindern, dass Menschen mit Kindern, die für eher wenig Geld arbeiten, wegen der Ausgaben für ihre Kinder in Hartz IV rutschen. Hier geht es mehrheitlich um fleißige Menschen mit einem starken Aufstiegswillen.  Interessanterweise nutzen diejenigen, die den Kinderzuschlag bekommen,  auch auffallend häufig das Bildungspaket für ihre Kinder.

Frage: Heißt das im Umkehrschluss, dass staatliche Leistungen wie Arbeitslosengeld II oft den Willen verringern, sich um Arbeit zu bemühen?

Dr. Kristina Schröder: Rund ein Fünftel der Hartz-IV-Empfänger mit Kindern nennt als Grund für eine fehlende Beschäftigungsaufnahme die Angst vor dem Verlust staatlicher Leistungen. Das ist die Kehrseite unsere sozialen Sicherungssysteme. Das führt in der Breite der Bevölkerung allerdings keineswegs zu Wünschen nach Kürzungen oder gar einer Revolution der familienbezogenen Leistungen: 45 Prozent der Gesamtbevölkerung und 58 Prozent der Eltern von minderjährigen Kindern haben den Eindruck, dass die Familienförderung eher gestärkt als reduziert werden sollte.

Frage: Sie haben jetzt Dreiviertel Ihrer Amtszeit hinter sich. Gibt es ein Projekt, das Sie unbedingt noch umsetzen wollen?

Dr. Kristina Schröder: Ja, die Flexi-Quote. Sie verpflichtet Unternehmen, individuell ihren einen Anteil von weiblichen Führungskräften festzulegen, diese Quote dann zu veröffentlichen und einzuhalten. Ich will, dass bei der Nichteinhaltung gesetzliche Sanktionen folgen.

Frage: Ihre zahme Flexi-Quote sehen Sie als Schlüsselprojekt?

Dr. Kristina Schröder: Die Flexi-Quote ist nicht zahm. Schon ohne dass es  derzeit gesetzliche Sanktionen gibt, haben sich praktisch alle Dax-30-Unternehmen für die Breite ihrer Führungspositionen eigene Ziele gesetzt. 28 dieser Unternehmen haben sich auch eine Zielvorgabe für die Aufsichtsräte gegeben. Diese Unternehmen haben begriffen, dass sie unter öffentlicher Beobachtung stehen. Unser öffentlicher Druck hat viel bewegt in den letzten zwei Jahren.

Frage: Das heißt: Sie haben auf die sanfte Tour schon jetzt mehr erreicht als die Kollegin von der Leyen mit der harten Quote?

Dr. Kristina Schröder: Von den frei gewordenen Aufsichtsrats-Mandaten der Dax-30-Unternehmen sind in diesem Jahr rund 40 Prozent mit Frauen nachbesetzt worden. Wenn man bedenkt, mit welcher Aufgeregtheit wir über die starre Quote von 30 Prozent streiten, fühle ich mich mit meinem subtileren Ansatz klar bestätigt.