Kölner Stadt-Anzeiger Manuela Schwesig: Nicht die Familie muss arbeitsfreundlicher werden, sondern die Arbeitswelt familienfreundlicher

Manuela Schwesig, Bildnachweis: Bundesregierung / Denzel
Manuela Schwesig© Bildnachweis: Bundesregierung / Denzel

Kölner Stadt-Anzeiger: Frau Ministerin, ist Deutschland ein kinderunfreundliches Land?

Manuela Schwesig: Viele Menschen in Deutschland leben ja gern mit Kindern zusammen. Es hat sich viel für Familien getan, zum Beispiel beim Kita-Ausbau und bei Ganztagsschulen. Aber Familien erleben in Deutschland oft noch zu wenig Verständnis für ihre Situation, insbesondere in der Arbeitswelt.

Kölner Stadt-Anzeiger: Sie haben gesagt, befristete Arbeitsverträge seien der Hauptgrund, weswegen sich die Menschen gegen Kinder entscheiden...

Manuela Schwesig: Das ist wirklich ein Problem für viele junge Menschen. Wer immer nur befristet beschäftigt ist, entscheidet sich seltener für ein Kind. Wir haben außerdem immer noch eine Arbeitswelt, die auf das Modell setzt: Einer geht Vollzeit arbeiten, und der andere bleibt zu Hause, kümmert sich um die Kinder. Diese Arbeitsteilung passt aber nicht zu den Wünschen der jungen Erwachsenen. Nicht die Familie muss arbeitsfreundlicher werden, sondern die Arbeitswelt familienfreundlicher. Wer wie ich als Frau in Ostdeutschland aufgewachsen ist, für den ist es selbstverständlicher, Familie zu haben und arbeiten zu gehen.

Kölner Stadt-Anzeiger: Hatten Frauen im Osten es leichter?

Manuela Schwesig: Die gesellschaftliche Unterstützung war und ist eine andere. Meine Eltern und Schwiegereltern haben nie infrage gestellt, dass ich Beruf und Familie miteinander verbinde. Auch wenn sich da vieles längst verändert: Ich kenne westdeutsche Frauen meiner Generation, die schräg angeschaut wurden, weil ihr Kind bis 16 Uhr in die Kita geht.

Kölner Stadt-Anzeiger: Die DDR wird oft als positives Beispiel für die Gleichberechtigung herangezogen. Ist das ein Klischee?

Manuela Schwesig: Die DDR war kein Beispiel für Gleichberechtigung. Erich Honecker und Co. hatten ja nicht die Gleichberechtigung von Mann und Frau im Sinn, sondern wollten, dass auch die Vollzeit-Arbeitskraft der Frauen dem Staat zur Verfügung steht. Aber das hat dazu geführt, dass es eine entsprechende Infrastruktur gab, mit Kitas und Ganztagsschulen. Allerdings war die Doppelt- und Dreifach-Belastung der Frauen in der DDR keine Gleichberechtigung. Ich setze mit ElterngeldPlus und Familienarbeitszeit auf eine Balance zwischen Familie und Beruf. Teilzeit für Mütter und Väter muss ohne große Nachteile möglich sein.

Kölner Stadt-Anzeiger: Wie ist Ihre Bilanz 25 Jahre nach der Wiedervereinigung?

Manuela Schwesig: Die westdeutschen Kommunen haben einen großen Aufholprozess für mehr Kitaplätze geleistet. Davor habe ich viel Respekt. Trotzdem begegne ich im Westen immer noch Müttern, die ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie arbeiten gehen. Leider rücken gerade die konservativen Parteien immer noch ausschließlich das traditionelle Familienbild in den Mittelpunkt, statt die Wahlfreiheit der Familien zu unterstützen.

Kölner Stadt-Anzeiger: Wie lässt sich das überwinden?

Manuela Schwesig: Ich bin Ministerin für alle Familien in Deutschland. Für mich und die SPD ist es wichtig, dass Familien ihr Leben nach ihren Vorstellungen gestalten können. Moderne Familienpolitik muss die Menschen dabei unterstützen.

Kölner Stadt-Anzeiger: In den USA ist die Homo-Ehe landesweit jetzt legal, auch in Irland hat sich die Mehrheit dafür ausgesprochen. Sind die Menschen in Deutschland der Politik voraus?

Manuela Schwesig: Ich glaube, die Bevölkerung ist auch bei uns viel weiter. Ich bin eindeutig für die Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare. Wenn eine Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer die Wünsche von homosexuellen Paaren, die Ehe und Familie leben wollen, mit Inzest oder Polygamie in Verbindung bringt, dann ist das absolut inakzeptabel. 7.000 Kinder werden in Deutschland bei homosexuellen Eltern groß. Man muss den Blick auf die Kinder lenken: Beim Adoptionsrecht geht es um das Wohl des Kindes. Warum sollte man Adoptivkindern das Recht nehmen, bei einem liebevollen homosexuellen Paar aufzuwachsen?

Kölner Stadt-Anzeiger: Sie haben in Köln den Dachverband der Migrantinnenorganisationen besucht. Wie ist die Situation der Frauen mit Migrationshintergrund?

Manuela Schwesig: Alle Ungerechtigkeiten, die Frauen erleben, treffen Frauen mit Migrationshintergrund doppelt und dreifach. Das hat viel mit Barrieren im Kopf zu tun. Da reicht es manchmal schon, dass eine Frau einen türkischen Namen hat, damit ein potenzieller Arbeitgeber ihr nichts zutraut. Wir unterstützen die Migrantinnenvereine, denn was wir vor allem brauchen, sind weibliche Vorbilder. Frauen mit Migrationshintergrund, die es geschafft haben an die Spitze von Unternehmen, als Lehrerinnen, als Politikerinnen.

Kölner Stadt-Anzeiger: Oft wird behauptet, Frauen seien zu zaghaft, um sich zu nehmen, was ihnen zusteht ...

Manuela Schwesig: Mich ärgern diese Klischees. Am meisten die Behauptung, Frauen verhandelten nicht hart genug um ihr Gehalt. Eine alleinerziehende Mutter, die im zehnten Vorstellungsgespräch wieder gefragt wird "Wie wollen Sie das denn schaffen?", ist einfach nur froh, wenn sie am Ende den Job bekommt. Sie hat doch gar nicht die gleiche Verhandlungsbasis wie ein junger Mann, der meistens nicht mal gefragt wird, ob er Kinder hat. Alleinerziehenden Müttern wird viel zu wenig zugetraut, dabei sind sie die Managerinnen des Alltags.

Kölner Stadt-Anzeiger: Für all diese Dinge müssten Frauen kämpfen. Brauchen wir mehr Radikalität im Feminismus?

Manuela Schwesig: Ich glaube, dass sich mehr junge Frauen für einen modernen Feminismus begeistern lassen, wenn wir die Wünsche von modernen Frauen und Männern gleichberechtigt berücksichtigen. Echte Gleichberechtigung kann es nur geben, wenn wir Männer als Verbündete sehen. Jeder Mann sollte ein Interesse daran haben, dass seine Partnerin gerecht bezahlt wird. Und jeder Vater sollte ein Interesse daran haben, dass seine Tochter, die sich in der Schule angestrengt hat, auch entsprechende Chancen bekommt. Gerechtigkeit ist ein Thema für Frauen und Männer.