Interview mit Ursula von der Leyen in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung

Bundesministerin Ursula von der Leyen im Interview mit der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung zum geplanten Steuermodell zur Förderung der Kinderbetreuung.

Hannoversche Allgemeine Zeitung: Sie haben zwei Tage Kabinettsklausur in Genshagen hinter sich. Haben sich nun alle, Christdemokraten und Sozialdemokraten, gern?

Ursula von der Leyen: Es war erstmals die Gelegenheit, miteinander länger zu reden. Es hat gut getan. Franz Müntefering kannte ich zum Beispiel nur als erbitterten Kämpfer gegen die Union. Nun habe ich erlebt, dass man mit ihm sehr offen reden kann, um gemeinsame Entscheidungen zu treffen.

Hannoversche Allgemeine Zeitung: Der Streit über die Förderung der Kinderbetreuung mit Finanzminister Peer Steinbrück ist beigelegt. Gibt es Verlierer?

Ursula von der Leyen: Es ist ein guter Kompromiss, weil mehr für Arbeitsplätze rund um Familie ermöglicht wurde. Und ich wünsche mir einen starken Finanzminister. Denn die Konsolidierung des  Haushalts ist eine unserer wichtigsten Aufgaben.

Hannoversche Allgemeine Zeitung: Der Kompromiss ist nicht nur bei Familienverbänden auf harsche Kritik gestoßen. Die bayerische Familienministerin Christa Stewens wirft Ihnen eine sozial unausgewogene Politik vor. Wie sozial ist die Koalition?

Ursula von der Leyen: Die Kritik ist völlig verfehlt. Worum geht es denn? Mit der verbesserten steuerlichen Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten wollen wir Arbeitsplätze schaffen. Die Förderung ist Teil eines Investitionsprogramms von insgesamt 25 Milliarden Euro in den nächsten vier Jahren - davon fallen 460 Millionen Euro pro Jahr für die Kinderbetreuung und rund 2 Milliarden Euro für weitere Beschäftigung rund um den Privathaushalt.

Hannoversche Allgemeine Zeitung: Das wird Frau Stewens nicht zufrieden stellen. Was sagen Sie konkret zu dem Vorwurf, dass Geringverdiener mit Kindern unter sechs Jahren und Alleinerziehende bei der Neuregelung benachteiligt sind?

Ursula von der Leyen: Familien mit kleinen Einkommen zahlen keine Steuern und in der Regel auch keine oder niedrigere Gebühren für eine Vormittagsbetreuung in der Kindertagesstätte. Hier hilft keine Steuerermäßigung, sondern nur eine Gebührensenkung für alle.  

Hannoversche Allgemeine Zeitung: Aber auch Eltern, die beispielsweise 800 Euro für die Betreuung ihres Fünfjährigen zahlen, haben nichts von der Regelung, weil Kosten erst über 1000 Euro abgesetzt werden können.

Ursula von der Leyen: Nochmal, es ist nicht Aufgabe des Bundes, über Steuerermäßigungen, die Kindergartengebühren zurückzugeben, die vorher die Länder und Kommunen erheben. Wenn die bayerische Familienministerin Eltern entlasten will bei den Kosten für den Vormittagskindergartenplatz, dann muss sie die Kita-Beiträge in Bayern abschaffen. Sie sollte vor ihrer eigenen Tür fegen, bevor sie Forderungen an die Bundesregierung stellt. Wir wollen durch die Steuerermäßigung Anreize schaffen, dass neue, legale Arbeitsplätze rund um die Kinderbetreuung und den Haushalt entstehen. Das ist das Ziel.

Hannoversche Allgemeine Zeitung: Es geht Ihnen also nicht darum, sozial benachteiligten Kindern zu helfen und das Armutsrisiko zu minimieren, sondern um Beschäftigungspolitik?

Ursula von der Leyen: Richtig. Sozial benachteiligte Kinder brauchen Hilfe über freien Zugang zu Kindertagesstätten oder Frühförderprogramme, wie ich sie jetzt aufbaue. Aus der Armut holen wir sie aber nur, wenn ihre Eltern Arbeit haben.

Hannoversche Allgemeine Zeitung: Wo sollen die neuen Jobs - befördert von dem geplanten Steuermodell - entstehen?

Ursula von der Leyen: Rund um die Pflege älterer Angehöriger zu Hause, durch Haushaltshilfen, durch eine Tagesmutter, durch Handwerkerleistungen im Haushalt. Aber nur gegen Rechnung oder durch ein legales Arbeitsverhältnis. So entsteht Arbeit, es werden mehr Einkommen erzielt, mehr Sozialversicherungsbeiträge gezahlt. 

Hannoversche Allgemeine Zeitung: Berufstätige Eltern von schulpflichtigen Kindern kommen besser weg. Bereits ab dem ersten Euro können Kosten von der Steuer abgesetzt werden. Warum?

Ursula von der Leyen: Ganz einfach: Weil die Schule kostenlos ist. Jeder Euro, der für Betreuung anfällt, ist allein durch die Berufstätigkeit der Eltern begründet. 

Hannoversche Allgemeine Zeitung: Sie und ihr Mann sind berufstätig. Haben Sie schon ausgerechnet, wie viel Steuern Sie sparen?

Ursula von der Leyen: Warum fragen Sie mich nicht, wie viel Arbeitsplätze wir dadurch seit nunmehr 18 Jahren geschaffen haben? Oder ist die Alternative besser: Keine Kinderbetreuungskosten, weil keine  Kinder da sind? Wenn das die Fragen sind, die uns bewegen, können wir bald in Deutschland die Lichter ausdrehen.

Hannoversche Allgemeine Zeitung: Diese Art von Fragen ärgert Sie?

Ursula von der Leyen: Wenn Eltern berufstätig sind, wird Ihnen schnell der Vorwurf gemacht: Sie können es sich ja leisten! Sie sind ja privilegiert! Wie viel Kraft, Zeit und Geld es kostet, den Kindern und dem Beruf gerecht zu werden, wird selten anerkannt. Dabei sind es Menschen, die unglaublich fleißig sind. Und sie sorgen für ihren eigenen Lebensunterhalt und für die Zukunft von uns allen. Familien sind in jeder Hinsicht ein Gewinn! Familienpolitik ist Wachstumspolitik.

Hannoversche Allgemeine Zeitung: Gibt es eine Mehrheit in Ihrer eigenen Partei für ihre familienpolitischen Vorstellungen?

Ursula von der Leyen: Da ist noch viel Überzeugungsarbeit nötig.

Das Interview ist am 14. Januar 2006 in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung erschienen. Interview: Gabi Stief.