Rede im Deutschen Bundestag von Bundesfamilienministerin Dr. Kristina Schröder zum Einzelplan 17 des Bundeshaushalts 2011, am Donnerstag, 25. November 2010, in Berlin

Es gilt das gesprochene Wort.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es mangelt im Einzelplan 17 nicht an interessanten Zahlen. Die familienpolitische Debatte der letzten Wochen hat aber eine Zahl bestimmt, die überhaupt nicht in unserem Haushalt steht, nämlich die Zahl 17.402. Es sind nämlich im Jahr 2009 17.402 Kinder weniger geboren worden als 2008. Diesen Rückgang der Geburtenzahl nehmen viele zum Anlass, familienpolitische Leistungen für gescheitert zu erklären.

Damit stellen sie den Sinn und Zweck familienpolitischer Leistungen generell infrage. Ich sage, dass diese Argumentation ebenso schlicht wie gefährlich ist; denn damit wird Familienpolitik ausschließlich zur Bevölkerungspolitik degradiert. Ich hoffe, dass wir uns bei allem Dissens, den wir hier natürlich haben, in diesem Punkt einig sind, nämlich dass die Antwort auf die Frage, ob Familienpolitik wirkt, sich nicht an Statistiken wie der Geburtenrate ablesen lässt.

Die Antwort auf die Frage, ob sich Mütter bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zerreißen, ob Väter Zeit mit ihren Kindern verbringen, ob wir in Unternehmen zunehmend eine Kultur haben, die Respekt vor privaten Verpflichtungen hat, kann man nicht an der Geburtenrate ablesen. Die Antwort auf diese Fragen ist aber für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Lebensqualität von Familien essenziell. Deshalb sollten wir hier feststellen: Das Elterngeld ist keine Gebärprämie. Das Elterngeld ermöglicht vielmehr Familien, im ersten Jahr nach der Geburt das zu tun, was sie sich am sehnlichsten wünschen, nämlich dass Mütter und Väter Zeit mit ihren Kindern verbringen können.

Ich danke allen, die in den parlamentarischen Beratungen dazu beigetragen haben, dass Familienpolitik in diesem Geist gemacht wird. Ich danke den Mitgliedern des Familienausschusses, den Berichterstattern Herrn Bockhahn, Herrn Mattfeldt, Herrn Toncar, Herrn Schwanitz und Herrn Kindler. Ich denke, dass man sagen kann, dass die Veränderungen, die gegenüber dem ursprünglichen Entwurf vorgenommen wurden, vor allen Dingen Familien mit kleinen Einkommen zugutekommen; denn wir haben beim Elterngeld Sonderregelungen für Minijobber und Aufstocker gefunden, wie ich das am Anfang des Gesetzgebungsverfahrens zugesagt habe.

Die pauschal besteuerten Einkünfte – das betrifft vor allem die Minijobber – werden auch in Zukunft bei der Berechnung des Elterngelds voll einbezogen. Eltern, die Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe oder Kinderzuschlag bekommen, aber vor der Geburt eines Kindes als Aufstocker gearbeitet haben, bekommen weiterhin Elterngeld. Das heißt, derjenige, der vor der Geburt des Kindes gearbeitet hat, steht besser da als der, der nicht gearbeitet hat. Das ist richtig; denn Arbeit schafft Zukunftsperspektiven für Eltern und Kinder, und das wollen wir unterstützen.

Zukunftsperspektiven schafft auch die zweite Änderung, die wir durchgesetzt haben. Ich habe durchgesetzt, dass im Rahmen der Anpassung der Hartz-IV-Regelsätze auch Kinder von Geringverdienern Anspruch auf das Bildungs- und Teilhabepaket haben. Obwohl uns das Bundesverfassungsgericht das nicht vorgeschrieben hat, geben wir dafür 98 Millionen Euro aus. Davon profitieren 300 000 Kinder in Deutschland, deren Eltern den Kinderzuschlag bekommen. Diese Kinder haben zukünftig genauso wie die Kinder im Hartz-IV-Bezug einen Anspruch auf Nachhilfe, auf Schulausflüge und auf das Mittagessen in Kindergärten und Schulen. Das sichert Hunderttausenden Kindern faire Chancen. Es ist ein Signal an die Kinder: Du bist mit dabei. Das ist ein Signal an die Eltern, die für geringes Einkommen hart arbeiten, dass ihr Fleiß sich lohnt.

Dies entspricht auch dem Menschenbild von Union und FDP. Wir wollen nämlich keinen Staat, der die Schwachen quasi dauerhaft abschreibt und sagt, ihr bekommt staatliche Almosen und damit ist es gut, sondern wir wollen einen Staat, der Chancen sichert. Deshalb müssen wir bei den Bildungschancen der Kindern anfangen, und das tun wir hiermit.

Deshalb ist auch die Offensive "Frühe Chancen" so wichtig. Im Rahmen der Offensive "Frühe Chancen" - Herr Mattfeldt und Herr Toncar haben es schon erwähnt - haben wir 4.000 Stellen für die Sprachförderung geschaffen. Jetzt sagen Sie: Alles ganz toll, aber Peanuts. Ich kann Ihnen nur sagen: Es haben sich schon über 1.000 Kitas aus ganz Deutschland um diese Stellen beworben. Alle 16 Bundesländer - unabhängig von der Partei, von der sie regiert werden - haben die Kooperationsvereinbarung unterschrieben. Sie machen mit. Vielleicht ist das auch einmal ein Hinweis an die Opposition: Man muss nicht immer nur stupide krakeelen und alles schlecht finden. Vielleicht ist es, wenn es um die Chancen unserer Kinder geht, auch einmal angesagt, auf diesem Gebiet zusammenzuarbeiten, meine Damen und Herren.

Faire Chancen brauchen Menschen, die sich Zeit für Verantwortung nehmen. Damit komme ich zum Gesetzesentwurf für den Bundesfreiwilligendienst. Das drückt sich im Haushalt nur andeutungsweise aus; aber dieser Gesetzentwurf wurde vorgelegt. Herr Bockhahn, Sie haben es angesprochen: In der Tat ist in diesem Referentenentwurf noch eine unterschiedliche Bezahlung für Ost und West vorgesehen. Wir orientieren uns dabei an den Ländern, die seit Jahren im FSJ und im FÖJ unterschiedliche Höchstgrenzen haben. Ich aber sage: Ich will alles dafür tun, dass wir hier eine gleiche Bezahlung - sowohl bei den Zuschüssen als auch bei den Taschengeldern - für den Osten wie für den Westen hinbekommen.

Zeit für Verantwortung ist natürlich auch das Thema in der Arbeitswelt. Hier leistet das Elterngeld einen entscheidenden Beitrag, weil es Eltern ermöglicht, eine Zeit lang zu pausieren, und weil es ihnen die Möglichkeit gibt, gemeinsam und partnerschaftlich Verantwortung für ihre Kinder zu übernehmen. Auch Väter wollen diese Verantwortung übernehmen. Sie fordern das auch immer mehr bei ihren Arbeitgebern ein. Auch wenn mir klar ist, dass die Väter immer noch kürzere Zeiten als die Mütter nehmen, ist das dennoch ein Riesenfortschritt, denn das führt auch zu einem Wandel in der Arbeitswelt.

Diesen Wandel in der Arbeitswelt brauchen wir. Denn es ist doch richtig: In der Arbeitswelt, gerade auch in den Führungsetagen, ist das immer noch stark auf Männer – oder, anders ausgedrückt, auf Menschen, die die Verantwortung für Familie delegieren können – zugeschnitten. Deswegen haben wir in der Tat das klassische Muster bei den Menschen, die zwischen 30 und 40 Jahre alt sind. Der Mann nimmt zwei, drei Karriereschritte auf einmal, die Frau macht zwei, drei Jobs auf einmal: Kindererziehung, Haushalt und Berufstätigkeit. Die Ursachen hierfür sind Rollenverteilungen in den Familien, aber eben auch die Strukturen in der Arbeitswelt. An beiden Punkten setzt das Elterngeld an. Sie können den Erfolg auf Spielplätzen, in Arztpraxen und bei Elternabenden sehen. Überall sehen Sie immer mehr Väter, und immer mehr Unternehmen setzen sich für eine familienfreundliche Arbeitskultur und Wiedereinstieg ein.

Deswegen haben wir mit dem Elterngeld so viel erreicht. Es ist ganz klar: Die Arbeitswelt muss familienfreundlicher werden, damit unsere Gesellschaft familienfreundlicher wird. Wir dürfen nicht weiter fragen, wie sich Familie ändern muss, um an die Arbeitswelt angepasst zu sein, sondern wir müssen die Arbeitswelt den Bedürfnissen von Familien anpassen. Hier ist das Elterngeld ein ganz wichtiger Ansatz.

Das spiegelt sich im Einzelplan 17 wider. Deshalb sind die 4,4 Milliarden, die wir für das Elterngeld ausgeben, gut angelegtes Geld, denn sie erreichen ihren Zweck sowohl familienpolitisch als auch gleichstellungspolitisch.