BRIGITTE Lisa Paus: Wir brauchen eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Lisa Paus steht auf einem Bahnhof. Im Hintergrund ist eine ältere Frau zu sehen
Bundesfrauenministerin Lisa Paus© Laurence Chaperon

BRIGITTE: Es gibt eine Frage, die fast ausschließlich Frauen gestellt wird: Wie vereinbaren Sie Kind und Karriere? Wie oft wurde Ihnen diese Frage bereits gestellt, Frau Paus?

Lisa Paus: Ich habe nicht mitgezählt, aber auf jeden Fall sehr oft. Dass Vereinbarkeit von Beruf und Familie speziell bei Frauen immer noch so ein Thema ist, finde ich erschreckend.

BRIGITTE: Braucht es noch eine Frauenquote?

Lisa Paus: Selbstverständlich braucht es die Frauenquote. Lange wurde über Gleichberechtigung geredet, nichts ist passiert. Dann wurde es mit freiwilligen Selbstverpflichtungen versucht, und wieder ist nichts passiert. 2015 wurde das Führungspositionen-Gesetz beschlossen, mit dem Ziel, den Anteil von Frauen in Führungspositionen in der Wirtschaft und im öffentlichen Dienst zu erhöhen - da kam ein bisschen Bewegung in die Sache. 2021 wurde nachgebessert, mit dem zweiten Führungspositionen-Gesetz, das verbindliche Vorgaben festschrieb. Seitdem tut sich etwas, aber immer noch haben wir viel zu wenig Frauen in Führungspositionen. Das zeigt: Ohne entsprechende gesetzliche Quotenregelung scheint es nicht zu gehen.

BRIGITTE: Gerade in Sachen Bezahlung werden Frauen noch immer benachteiligt. Frauen verdienen pro Stunde 18 Prozent weniger als Männer. Was kann die Politik gegen diesen Missstand tun?

Lisa Paus: Wenig wahrgenommen, aber sehr wirksam waren die Einführung und jetzt auch die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro. Das kommt überproportional Frauen zugute. Auch das Entgelttransparenzgesetz ist wichtig, das wir im Sommer evaluieren und anpassen wollen. Das Gesetz ermöglicht es, gegen eine unterschiedliche Bezahlung von Frauen und Männern vorzugehen. Es zeigt erste Wirkungen, inzwischen gibt es erfolgreiche Klagen. Das Bundesarbeitsgericht hat gerade erst klargestellt, dass eine ungleiche Bezahlung gleichwertiger Arbeit eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vermuten lässt. Der Arbeitgeber kann das mithilfe objektiver Kriterien widerlegen. Die Begründung, der männliche Kollege habe besser verhandelt als die Frau, ist allerdings kein objektives Kriterium, das sagt das Urteil des Bundesarbeitsgerichts. Die Hartnäckigkeit mancher Arbeitgeber, mit der sie trotz Gesetz dennoch in eine gerichtliche Auseinandersetzung und mehrere Instanzen gehen, überrascht mich.

BRIGITTE: Aktuell ist das Entgelttransparenzgesetz aber noch auf Unternehmen mit mehr als 200 Beschäftigten begrenzt.

Lisa Paus: Das Entgeltgleichheitsgebot gilt für alle Arbeitgeber und alle Beschäftigten, nur der Auskunftsanspruch gilt ab 200 Beschäftigen. Mit der Transparenz-Richtlinie auf europäischer Ebene soll diese Auskunftspflicht noch einmal verbreitert werden: Auch Beschäftigte in kleineren Unternehmen sollen dann die Möglichkeit erhalten, ungerechte Bezahlung zu erkennen und sich dagegen zu wehren. Der Auskunftsanspruch ist zudem nicht das einzige Instrument zur Förderung von Entgeltgleichheit: Für Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten wird es zum Beispiel eine Berichts- und Anpassungspflicht über die Bezahlung von Frauen und Männern geben.

BRIGITTE: So eine Klage kommt jedoch meist nicht ohne Konsequenzen aus.

Lisa Paus: Ja, das ist bitter und natürlich auch eine hohe Hürde für die betroffenen Frauen. Mit einer Klage macht Frau sich nicht unbedingt Freunde im Betrieb. Deshalb klagen Frauen bisher meist erst dann, wenn klar ist, dass es für sie sowieso nicht mehr weiter geht. Um Frauen an diesem Punkt zu unterstützen, ist im Koalitionsvertrag die so genannte Prozessstandschaft verankert. Damit wird es möglich sein, dass nicht die Frauen selbst, sondern Dritte den Prozess führen. Das ist ein wichtiger Schritt: Frauen sind dann nicht mehr auf sich allein gestellt, sondern können Unterstützung bekommen, beispielsweise durch Gewerkschaften.

BRIGITTE: Transparenz ist zwar die Voraussetzung für gleiche Bezahlung, schafft aber nicht allein Lohngleichheit. Wo muss noch angesetzt werden?

Lisa Paus: Tarifverträge sind in dieser Hinsicht ein wichtiges Instrument. Aber auch die Unternehmenskultur ist von Bedeutung. Angesichts des Fachkräftemangels erlebe ich aber auch bereits, dass Unternehmen selbstständig aktiv werden. Denn sie wissen, gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist ein wichtiger Faktor für ein gutes Betriebsklima und erhöht die Attraktivität.

BRIGITTE: Das Ganze ist jedoch wie ein Kreislauf. Frauendominierte Berufe werden nicht ausreichend entlohnt, die Arbeitsbedingungen sind schlecht und die Vereinbarkeit ist meist nicht gegeben. Dadurch herrscht ein Mangel an Fachkräften. Wie können wir jetzt mehr Menschen für diese Jobs begeistern?

Lisa Paus: Auf den ersten Blick haben wir tatsächlich eine widersprüchliche Situation in Deutschland: Auf der einen Seite kämpfen wir mit einem sich verschärfenden Fachkräftemangel, auf der anderen Seite stehen viele Frauen, die gerne mehr arbeiten würden, aber aus unterschiedlichen Gründen daran gehindert werden. Daher braucht es bessere Arbeitsbedingungen, eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf und eine vernünftige und faire Entlohnung. Während der Pandemie wurden viele frauendominierte Berufe als systemrelevant identifiziert - wirklich geändert hat das nichts. Vergleicht man einen Pflegeberuf beispielsweise mit dem eines Automobilarbeiters am Band, dann wird schnell klar, dass es bei der unterschiedlichen Bezahlung nicht um objektive Kriterien geht, sondern um tradierte gesellschaftliche Wertungen.

BRIGITTE: Das Patriarchat hat also immer noch die Oberhand.

Lisa Paus: Vielen gilt der Mann immer noch als Ernährer, während die Frau den Haushalt schmeißt, sich um die Kinder kümmert und höchstens in Teilzeit arbeitet. Die Lebensrealität in Deutschland ist inzwischen aber sehr viel bunter. Es gibt übrigens Untersuchungen, die zeigen, dass Berufe, die zunehmend von Frauen ausgeübt werden, im Lauf der Zeit geringer entlohnt werden. Gleichzeitig zeigt sich, dass Männer diese Berufe immer weniger ergreifen, weil sie schlechtere Verdienst- und Karrierechancen bieten. Das gilt zum Beispiel für das Grundschullehramt oder in der Buchhaltung.

BRIGITTE: Aber wie kann es sein, dass eine Frau trotz eines Vollzeitjobs ihre Familie nicht ernähren kann?

Lisa Paus: Armut ist in Deutschland Realität. Ich empfinde es nach wie vor als echte Schande, dass jedes fünfte Kind in Deutschland in Armut aufwächst. Ganz oft entsteht die Not aus dem Leben heraus. Es reicht, dass ein Paar sich trennt, und schon kann die Frau in Gefahr sein, in Armut abzurutschen. Deswegen ist eines meiner wichtigsten Projekte die Kindergrundsicherung. Sie soll die existenzsichernden Leistungen bündeln und es Familien ermöglichen, über dem Existenzminimum zu leben.

BRIGITTE: Wer im Leben wenig Geld hatte, wird im Alter meist nicht viel mehr haben. Wie können wir Frauen davor bewahren, in Altersarmut zu landen?

Lisa Paus: Altersarmut in Deutschland ist oft weiblich. Die Anhebung des Mindestlohnes bewirkt zumindest eine höhere Bemessungsgrundlage der späteren gesetzlichen Rentenberechnung und ist ein wichtiges Instrument. Aber das ist natürlich nicht genug. Systemrelevante Berufe müssen aufgewertet und besser bezahlt werden. Für die Pflegeberufe ist es wichtig, dass wir die Ausbildung reformiert haben. Die Auszubildenden erhalten nun eine angemessene Vergütung. Bei der Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher tut sich aktuell viel und es gibt einige positive Entwicklungen wie die hin zu einer ebenfalls vergüteten Ausbildung. Andererseits gibt es mehr als 60 unterschiedliche Einstiegswege auf Länderebene, da es an Einheitlichkeit und Transparenz fehlt. Grundsätzlich gilt: Die beste Vorsorge gegen Altersarmut ist eine durchgängige Erwerbsbiografie, mit Jobs in Vollzeit oder vollzeitnah, bei auskömmlichen Löhnen.

BRIGITTE: Sie kommen aus der Finanzwelt. Was können Frauen abseits der gesetzlichen Rente tun, um fürs Alter vorzusorgen?

Lisa Paus: Im Grunde gibt es in Deutschland drei Säulen: die gesetzliche Rente, die betriebliche Rente und die private Vorsorge. Für Frauen funktioniert dieses Modell aber oft nicht wie vorgesehen. Die gesetzliche Rente hängt nämlich vom Gehalt ab, das man über die Jahre bekommen hat. Und das ist bei Frauen im Durchschnitt deutlich niedriger als bei Männern. Wer außerdem Teilzeit arbeitet, wie viele Frauen, bekommt noch einmal weniger Gehalt und eine noch niedrigere Rente. Da bleibt kaum Geld, um privat vorzusorgen. Dann gibt es noch die betriebliche Rente. Die steht allerdings vielen Frauen gar nicht zur Verfügung, weil sie insbesondere in größeren tarifgebundenen Unternehmen gezahlt wird, während Frauen vermehrt in kleinen und mittelständischen Unternehmen arbeiten.

BRIGITTE: Schaut man sich die aktuelle politische Lage an, wird schnell klar, dass Single-Frauen, Alleinerziehende, aber auch Regenbogenfamilien noch nicht wirklich mitgedacht werden. Es herrscht noch immer das klassische Familienbild - verheiratet, Mutter, Vater, Kind(er). Wo müssen Veränderungen stattfinden?

Lisa Paus: Familien in Deutschland sind inzwischen sehr bunt und sehr vielfältig. Aber das Familienrecht, die steuerrechtliche Lage und die sozialrechtlichen Rahmenbedingungen sind noch nicht wirklich auf die veränderte gesellschaftliche Realität abgestimmt. Ich bin seit 2009 im Deutschen Bundestag und habe noch vor fünf Jahren erleben müssen, wie Kollegen der Union bei der Debatte der Situation von Alleinerziehenden sagten: So was muss man doch nicht auch noch staatlicherseits unterstützen!

BRIGITTE: Wenn man vom aktuellen Stand ausgeht, würden Sie sagen, Kinder sind Karrierekiller?

Lisa Paus: Ja, die Gefahr besteht leider immer noch. Selbst wenn sich ein Paar verspricht, die anfallenden Aufgaben grundsätzlich partnerschaftlich zu teilen, verfällt es oft in alte Rollenmuster, sobald das erste Kind da ist. In Deutschland ist das oft noch stärker als in anderen Ländern, teilweise arbeiten die Väter sogar mehr als vorher. Die Frauen arbeiten dagegen oft weniger und in Teilzeit, was eine Karriere zumindest nicht einfacher macht und Folgen hat, die erst viel später spürbar werden. Deshalb setze ich mich dafür ein, die Rahmenbedingungen für eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf und eine partnerschaftliche Aufgabenverteilung zu verbessern.