Bundesfamilienministerin Kristina Schröder im Interview mit dem Main-Echo

Bundesfamilienministerin Dr. Kristina Schröder gab dem Main-Echo (Erscheinungstag 27. Juni 2012) das folgende Interview:

Frage: Nach der OECD warnen im neuen Bildungsbericht von Bund und Ländern auch deutsche Wissenschaftler vor der Einführung des Betreuungsgeldes. Warum hält die Bundesregierung daran fest?

Dr. Kristina Schröder: Sowohl in der OECD-Studie als auch in der neuen Studie zum Bildungsbericht geht es primär um Kinder über drei Jahre. Bei dieser Altersgruppe ist es unbestritten, dass Kinder vom Besuch einer Kindertagesstätte profitieren. Beim Betreuungsgeld geht es um die Zeit zwischen dem ersten und dem dritten Geburtstag. In dieser frühen Phase sind die Familien, die Werte in den Familien und vor allem die Kinder sehr unterschiedlich. Da ist es einfach nur richtig, den Familien zu sagen: "Ihr könnt hier unterschiedliche Wege gehen und verdient es, dass die Politik euch auf den unterschiedlichen Wegen unterstützt".

Frage: Kritiker sagen, das Betreuungsgeld schaffe falsche Anreize, die Eltern aus bildungsfernen Schichten davon abhalten, ihr Kleinkind in eine Kita zu schicken. Was entgegnen Sie Ihnen?

Dr. Kristina Schröder: Hinter dieser Kritik steckt die Anmaßung, dass es nur einen richtigen Weg gibt. Genau das lehne ich ab! Ich finde es als Familienministerin absolut falsch, vorzugeben, was der einzig richtige Weg sein soll, wie Familien ihr Zusammenleben organisieren. Das ist das, was mich an der Debatte in der deutschen Familienpolitik furchtbar nervt: Egal, wie man lebt, man macht es angeblich immer falsch.

Frage: Das heißt?

Dr. Kristina Schröder: Wenn man als Frau sagt, man will die ersten drei Jahre zu Hause bleiben, dann ist man – siehe die Debatte über das Betreuungsgeld – das Heimchen am Herd. Wenn man sagt, man will voll arbeiten, ist man die egoistische Karrieremutter. Wenn man sagt, man will beides miteinander vereinen, ist man – je nach Blickwinkel – die Rabenmutter oder die Latte-Macchiato-Mutter. Ich kämpfe dagegen, dass wir uns permanent vorwerfen, das falsche Leben zu führen. Die Politik sollte Familien nicht sagen, wie sie leben sollen. Wir müssen Familien dabei unterstützen, dass sie so leben können, wie sie leben wollen. Wenn sie einen Kita-Platz suchen, ist es wichtig, dass sie einen finden. Deswegen wird es einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz geben. Und wenn sie das anders organisieren wollen, dann haben sie auch dafür Unterstützung und vor allem Respekt verdient.

Frage: Die Bundestagsabstimmung zum Betreuungsgeld vergangene Woche ist geplatzt. Vor der Sommerpause wird nicht mehr darüber entschieden. Hat Sie das Verhalten der Opposition und der über 100 Abgeordneten der Koalition geärgert?

Dr. Kristina Schröder: Es war ja anders als viele glauben keine Abstimmung über das Betreuungsgeld. Es war eine Debatte der Opposition zum Wettbewerbsrecht. Dadurch, dass die Abgeordneten der Opposition bei der Stimmzählung einfach außerhalb des Sitzungssaals geblieben sind, war die Beschlussfähigkeit des Bundestags nicht gegeben. Diese Beschlussunfähigkeit war also ungefähr so echt wie damals Gerhard Schröders Vertrauensfrage. Das war eine fingierte Beschlussunfähigkeit. Das ist nach der Geschäftsordnung des Bundestags erlaubt, aber weit entfernt von parlamentarischem und kollegialem Anstand.

Frage: Wo waren Sie eigentlich während der Abstimmung?

Dr. Kristina Schröder: Ich stand im Stau, wie auch mehrere meiner Ministerkollegen. Wir waren von den Ministerien auf dem Weg zum Bundestag. Da die Straße des 17. Juni und die Friedrichstraße gesperrt sind, wurden wir Opfer des Verkehrschaos.

Frage: Ihr Buch heißt "Danke, emanzipiert sind wir selber!". Wer ist denn "wir"?

Dr. Kristina Schröder: Damit meine ich alle Frauen in Deutschland, die genervt sind von der ewigen Leitbilddebatte. Frauen, die sagen, wir möchten unsere eigenen Wertentscheidungen treffen und darin respektiert werden. Und die von der Politik erwarten, dass sie für unterschiedliche Lebensentwürfe Angebote macht.

Frage: Sind Sie als Chefin ein Vorbild? Oder anders gefragt: Wie familienfreundlich arbeitet es sich im Familienministerium?

Dr. Kristina Schröder: Im Ministerium bieten wir das ganze Spektrum familienfreundlicher Arbeitsbedingungen an. Jeder kann von zu Hause aus arbeiten, jeder kann seine Arbeitszeit zwischen 50 und 100 Prozent selbst festlegen. Wir haben eine kleine Betriebs-Kita im Familienministerium. Ich bemühe mich selbst, da ich eine kleine Tochter habe, jede Art unnützer Präsenzkultur zu vermeiden. Mir geht es nämlich nicht um Präsenz, sondern um Effizienz. Ich mache, wenn es geht, keine wichtigen Besprechungen nach 17 Uhr. Ich versuche ein Klima zu schaffen, in dem Mitarbeiter offen sagen können: "Ich gehe jetzt mit meinen Kindern zum Laternenumzug." Ich bin dagegen, dass jemand das Licht und den Rechner anlässt, damit die Kollegen denken, er sei nur mal kurz um die Ecke und käme noch mal wieder.

Frage: Drei von vier Vätern trauen sich nicht, Vätermonate zu nehmen. Viele Arbeitgeber stellen sich quer und teilen jungen Männern mit, dass sie sich die Vätermonate abschminken können. Muss die Politik solche Arbeitgeber nicht stärker sanktionieren?

Dr. Kristina Schröder: Ich würde die Perspektive anders wählen. Vor der Einführung der Elternzeit vor sechs Jahren waren es gerade mal 2,3 Prozent der Männer, die eine familienbedingte Auszeit genommen haben. Jetzt sind es gut 25 Prozent. Mir fallen nicht viele politische Maßnahmen ein, die in kurzer Zeit so viel bewegt haben. Was aber stimmt: Die Arbeitgeber können immer noch deutlich stärker dazu beitragen, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für beide Geschlechter verbessert wird.

Frage: Wie kann das klappen?

Dr. Kristina Schröder: Ich habe ein Programm aufgelegt, das es Unternehmen ermöglicht, vom Staat unterstützt Betriebs-Kitas bauen zu können und Tagesmütter einzustellen. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt hat sinngemäß gesagt, Kitas seien nur Sache des Staates und nicht der Unternehmer. Da habe ich mich sehr geärgert. Wenn Arbeitgeber sagen, wir brauchen die gut ausgebildeten Frauen, dann sollen sie etwas dafür tun, dass Familie und Beruf vereinbar sind. Eine Geht-mich-nichts-an-Haltung ist da völlig unangebracht.

Frage: Warum hat das nicht geklappt, die Vätermonate von zwei auf vier zu erhöhen, wie im Koalitionsvertrag geplant?

Dr. Kristina Schröder: Wie alle Maßnahmen, die im Koalitionsvertrag stehen, unterliegt auch das dem Finanzierungsvorbehalt. Aber wir haben ja noch ein bisschen Zeit in der Legislaturperiode.

Frage: Das heißt, das kommt noch?

Dr. Kristina Schröder: Es steht sehr viel unter Finanzierungsvorbehalt, das muss man einfach realistisch sehen.

Frage: Mir hat die Idee gefallen.

Dr. Kristina Schröder: Die ist auch gut. Finanzminister Wolfgang Schäuble würde wahrscheinlich sagen: Kannst Du gerne machen, aber dann müssen wir das nötige Geld durch Kürzungen an anderer Stelle gegenfinanzieren. Damit wäre den Familien ja nicht geholfen.

Frage: Welche familienpolitische Debatte soll Ihre Tochter, wenn Sie erwachsen ist, nicht mehr führen müssen?

Dr. Kristina Schröder: Sie soll nicht mehr darüber diskutieren müssen, wie ein richtiges Frauenleben aussieht. Ich wünsche mir, dass sie in einer Kultur des Respekts vor jeder Entscheidung, die Paare und Familien treffen, aufwächst. Auch in dem Bewusstsein, das jede Entscheidung auch Nachteile hat und es keinen allein selig machenden Weg gibt. Es geht beim Thema Familie um etwas Existenzielles. Ich habe von sehr wenigen Menschen gehört, die auf dem Sterbebett betrauert haben, dass sie zu wenig Zeit im Büro verbracht haben. Aber zu wenig Zeit für die Familie zu haben, das fühlen sehr viele.