Kindgerechte Justiz: Nationaler Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen im Dialog mit der Justizministerkonferenz

Im Nationalen Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichenarbeiten Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Fachpraxis sowie Betroffene in der Arbeitsgruppe „Kindgerechte Justiz“ daran, Gerichtsverfahren für gewaltbetroffene Kinder und Jugendliche kindgerechter und sensibel zu gestalten.

Gestern stellten Mitglieder des Nationalen Rats den gemeinsam entwickelten „Praxisleitfaden zur Anwendung kindgerechter Kriterien für das familiengerichtliche Verfahren“ in einem Gespräch mit dem Vorsitzenden der 93. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister, dem bayerischen Staatsminister der Justiz Georg Eisenreich, und weiteren Vertreterinnen und Vertretern der Justizministerkonferenz vor. Der Leitfaden wird heute veröffentlicht.

Lisa Paus, Bundesfamilienministerin:„Die Verfahren vor Familiengerichten können für junge Menschen sehr belastend sein. Daher ist es wichtig, dass Kinder und Jugendliche in Justiz und Verwaltung auf Menschen treffen, die einfühlsam und altersgerecht mit ihnen umgehen. Deshalb begrüße ich den Leitfaden, den der Nationale Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen erarbeitet hat, denn er zeigt Spielräume für eine sensiblere und kindgerechtere Ausgestaltung von familiengerichtlichen Verfahren auf.“

 Der Vorsitzende der 93. Justizministerkonferenz und bayerische Justizminister Georg Eisenreich: „Der Schutz von Kindern hat höchste Priorität. Wir müssen die Schwächsten unserer Gesellschaft schützen. Es ist Aufgabe des Staates, die ungestörte Entwicklung und ein gewaltfreies Aufwachsen von Kindern zu gewährleisten. Ich freue mich, dass mit dem Praxisleitfaden zur Anwendung von kindgerechten Kriterien für das familiengerichtliche Verfahren die Familiengerichte bundesweit weiter vernetzt werden.“

Kerstin Claus, Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM): „Gerade von sexueller Gewalt betroffene Kinder und Jugendliche erleben die Verfahren in den Familiengerichten oft als sehr belastend und auch traumatisierend. Damit sie sich gut und sicher begleitet fühlen, müssen die gerichtlichen Verfahren an ihren Bedürfnissen ausgerichtet werden. Hierfür müssen die Kinder und Jugendliche bei allen Verfahrensschritten altersgemäß und betroffenenzentriert aufgeklärt, begleitet und angehört werden. Mit dem „Praxisleitfaden zur Anwendung kindgerechter Kriterien für das familiengerichtliche Verfahren“ geben wir Familienrichterinnen und Familienrichtern und weiteren am Verfahren beteiligten Berufsgruppen konkrete Empfehlungen, wie sie die verschiedenen Verfahrensschritte im Interesse und zum Wohle der Kinder und Jugendlichen gestalten können. Auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit und der Ausbau und die Wahrnehmung von Qualifizierungsangeboten müssen mit Blick auf die Sensibilisierung aller Beteiligten weiter gestärkt werden. Der heutige Austausch zwischen Justizministerkonferenz und Vertreterinnen und Vertretern des Nationalen Rates zu dem neuen Praxisleitfaden setzt ein wichtiges Signal an die Länder, Justiz kindgerechter und betroffenensensibler zu gestalten.“

Betroffenenrat bei der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs: „Auf der Grundlage von Studien muss endlich eine Prüfung der Verfahrensverläufe an den Familiengerichten vorgenommen werden. Im Familienrecht steht zwar das Wohl betroffener Kinder im Mittelpunkt, jedoch zeigt die Praxis, dass dieses Recht durch kindgerechte Verfahren viel zu selten gewährleistet wird. Insbesondere an Familiengerichten müssen Verfahren für Kinder, die massive Gewalt erlebt haben, ein sicherer und kindgerechter Ort sein. In den gesetzlichen Grundlagen hat sich inzwischen viel getan. Aber in den persönlichen Anhörungen betroffener Kinder durch Richter*innen in Anwesenheit des Verfahrensbeistandes muss den Worten der Kinder geglaubt werden. Wir fordern, dass Verdachtsmomenten auf sexualisierte Gewalt in familienrechtlichen Verfahren konsequent nachgegangen wird.“

Der neue Praxisleitfaden richtet sich in erster Linie an Familienrichterinnen und Familienrichter. Zugleich spricht er aber auch die weiteren wichtigen Verfahrensakteure an, nämlich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendämter, Verfahrensbeistände sowie Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte. Der Leitfaden ist das Ergebnis mehrerer Anhörungen und Fachgespräche, an denen Justiz und Anwaltschaft, Verfahrensbeistände, die Kinder- und Jugendhilfe, Beratungsstellen, Kinderschutzorganisationen, Gesundheitswesen, Wissenschaft, Justizverwaltungen und der Betroffenenrat der UBSKM teilgenommen und ihre Beiträge eingebracht haben.

Dem Nationalen Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen gehören Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Wissenschaft, Betroffene sowie Verantwortliche aus der Zivilgesellschaft und der Fachpraxis an. Vorsitzende des Nationalen Rats sind Bundesfamilienministerin Lisa Paus und Kerstin Claus, Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs. Seit Dezember 2019 arbeitet der Nationale Rat mit insgesamt etwa 300 Mitwirkenden in fünf thematischen Arbeitsgruppen: Schutz, Hilfen, Kindgerechte Justiz, Schutz vor Ausbeutung und internationale Kooperation sowie Forschung und Wissenschaft.

Der „Praxisleitfaden zur Anwendung kindgerechter Kriterien für das familiengerichtliche Verfahren“ ist hier abrufbar und auch als Druckexemplar zu bestellen: https://www.nationaler-rat.de/de/ergebnisse   

Weitere Informationen unter:

www.bmfsfj.de

www.beauftragte-missbrauch.de