Lagebild Häusliche Gewalt Zahl der Opfer von häuslicher Gewalt steigt deutlich an

Petra Söchting, Holger Münch, Lisa Paus und Nancy Faeser (von links) bei der Bundespressekonferenz in Berlin
Der Präsident des Bundeskriminalamtes Holger Münch, Bundesfrauenministerin Lisa Paus und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (von links) stellen bei der Bundespressekonferenz in Berlin das neue Lagebild Häusliche Gewalt vor© © Photothek/Janine Schmitz

Am 11. Juli haben Bundesfrauenministerin Lisa Paus, Bundesinnenministerin Nancy Faeser und der Präsident des Bundeskriminalamtes Holger Münch in Berlin das neue Lagebild Häusliche Gewalt vorgestellt. 240.547 Menschen waren im Jahr 2022 Opfer von häuslicher Gewalt. Die Zahl ist damit um 8,5 Prozent im Vergleich zum Jahr 2021 gestiegen. Viele Taten werden allerdings nicht bei der Polizei angezeigt. Die Dunkelziffer könnte deshalb wesentlich höher sein.

Bundesfrauenministerin Lisa Paus: "Fast alle zwei Minuten wird in Deutschland ein Mensch Opfer von häuslicher Gewalt. Jede Stunde werden mehr als 14 Frauen Opfer von Partnerschaftsgewalt. Beinahe jeden Tag versucht ein Partner oder Expartner eine Frau zu töten. Die deutlich gestiegenen Zahlen zeigen die traurige Realität: Gewalt gegen Frauen ist ein gesamtgesellschaftliches und alltägliches Problem. Sie wird ausgeübt, um Macht über Frauen aufrechtzuerhalten. Ich setze mich dafür ein, die Lücken im Netz der Frauenhäuser und Beratungsstellen zu schließen. Ich bin sehr froh, dass wir trotz schwieriger Haushaltslage die Finanzierung von Baumaßnahmen von Frauenhäusern und Frauenberatungsstellen in diesem Jahr um zusätzliche zehn Millionen Euro stärken können und im kommenden Jahr auf dem Niveau von 30 Millionen Euro fortschreiben. Notwendig ist ein flächendeckendes, niedrigschwelliges Unterstützungsangebot, in der Stadt genauso wie auf dem Land. Frauen müssen überall in Deutschland einen sicheren Zufluchtsort und kompetente Beratung und Hilfe finden."

Bundesinnenministerin Nancy Faeser: "Das Lagebild sollte jeden aufrütteln: Häusliche Gewalt ist Alltag in Deutschland. Niemand darf die Betroffenen damit allein lassen. Häusliche Gewalt ist keine Privatsache, sondern ein gravierendes Problem in allen gesellschaftlichen Gruppen. Gewalt im engsten Umfeld betrifft viele Frauen, aber auch Kinder oder Pflegebedürftige. Gewalt fängt auch nicht erst mit Schlägen oder Misshandlungen an, es geht auch um Stalking und Psychoterror. Wir wollen die Betroffenen stärken und sie ermutigen, Taten anzuzeigen. Nur so können mehr Täter strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Wir müssen helfen, das Schweigen zu brechen.

Zu einer besseren Prävention gehört eine verstärkte Aus- und Fortbildung in der Polizei, um bei Taten schnell und sensibel zu reagieren. Gewalttäter dürfen nicht schnell wieder vom Radar verschwinden. Sie müssen nach dem ersten gewaltsamen Übergriff aus der Wohnung verwiesen werden. Das muss konsequent kontrolliert werden, damit Täter nicht schnell wieder zurückkehren. Jede und jeder Betroffene muss sich sicher fühlen können vor erneuter Gewalt."

Neues Lagebild bietet umfassende Übersicht

Das neue Lagebild Häusliche Gewalt ist eine Fortschreibung und Ergänzung der früheren Kriminalstatistischen Auswertung "Partnerschaftsgewalt". Diese wurde seit dem Berichtsjahr 2015 jährlich durch das Bundeskriminalamt (BKA) veröffentlicht. Neben der Partnerschaftsgewalt werden nun auch die Delikte der sogenannten innerfamiliären Gewalt von und gegen Eltern, Kinder, Geschwister und sonstige Angehörige mitbetrachtet, sodass eine Lageübersicht zur häuslichen Gewalt insgesamt gegeben wird.

Zahlen zur Partnerschaftsgewalt

Im Bereich der Partnerschaftsgewalt stieg die Anzahl der Opfer um 9,1 Prozent auf 157.818 Opfer. Ganz überwiegend trifft Gewalt im häuslichen Kontext Frauen:

  • 80,1 Prozent der Opfer von Partnerschaftsgewalt und 71,1 Prozent der Opfer häuslicher Gewalt insgesamt sind weiblich.
  • Von den Tatverdächtigen bei Partnerschaftsgewalt sind 78,8 Prozent Männer, im Gesamtbereich der häuslichen Gewalt 76,3 Prozent.
  • Die Hälfte der Opfer lebte mit der tatverdächtigen Person zusammen.
  • Die Mehrheit sowohl der Opfer als auch der Tatverdächtigten waren zwischen 30 und 40 Jahre alt, im Bereich der innerfamiliären Gewalt waren unter 21-Jährige Opfer am häufigsten betroffen.
  • 133 Frauen und 19 Männer sind im Jahr 2022 Opfer von Partnerschaftsgewalt mit tödlichem Ausgang geworden. 

Über 700 Tötungsdelikte registriert

Opfer von häuslicher Gewalt insgesamt wurden im Jahr 2022 (jeweils vollendete und versuchte Delikte): 

  • Opfer von Tötungsdelikten: 702 Opfer (248 männlich und 454 weiblich), davon 239 Opfer von vollendeten Tötungsdelikten (58 männlich und 181 weiblich) und 463 Opfer von versuchten Tötungsdelikten (190 männlich, 273 weiblich)
  • Opfer von vorsätzlicher einfacher Körperverletzung: 135.502 Opfer (39.766 männlich und 95.736 weiblich)
  • Opfer von Bedrohung, Stalking und Nötigung: 57.376 Opfer (13.332 männlich und 44.044 weiblich)
  • Opfer von Freiheitsberaubung: 2.575 Opfer (437 männlich und 2.138 weiblich)
  • Opfer von gefährlicher Körperverletzung: 28.589 Opfer (11.277 männlich und 17.312 weiblich)

Studie soll das Dunkelfeld beleuchten

Die Zahlen von polizeilich registrierter häuslicher Gewalt steigen nahezu kontinuierlich an, in den letzten fünf Jahren um 13 Prozent. Doch viele Taten werden der Polizei nicht gemeldet, etwa aus Angst oder Scham. 

Wie groß dieses sogenannte Dunkelfeld ist, soll die Studie "Lebenssituation, Sicherheit und Belastung im Alltag" (LeSuBiA) herausfinden. Die großangelegte Untersuchung wird vom Bundesfrauenministerium, dem Bundesinnenministerium sowie dem Bundeskriminalamt verantwortet. Deutschlandweit sollen 22.000 Menschen befragt werden. Erste Ergebnisse werden 2025 vorliegen.

Informationen zum Studiendesign

Die Teilnehmenden an der Studie werden zufällig aus den Einwohnermelderegistern ausgewählt. Befragt werden sie zur aktuellen Lebenssituation, zu Sicherheit und zu Belastungen im Alltag. Ein Schwerpunkt liegt auf der Erhebung von Gewalterfahrungen in Paarbeziehungen sowie Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt und digitaler Gewalt. Zudem enthält die Studie Fragen zu Erfahrungen mit Polizei, Medizin, Gerichten und Opferhilfeeinrichtungen.  

Zwanzig Jahre nach der letzten Opferbefragung des Bundesfrauenministeriums liefert die Studie nicht nur aktuelle, repräsentative, bundesweite Daten zur Gewaltbelastung von Frauen, sondern erstmals auch von Männern. Mit der Durchführung von Zusatzstichproben werden zudem repräsentative Aussagen zur Gewaltbelastung in Partnerschaften, sexualisierter und digitaler Gewalt von Menschen mit Migrationshintergrund ermöglicht.

Die Studie ist angesichts ihres Umfangs, der anspruchsvollen Methode sowie des geschlechtsübergreifenden Ansatzes in Deutschland bislang einmalig. Die Ergebnisse sollen dazu beitragen, effiziente und wirksame politische Strategien zu entwickeln und die erforderlichen Gewaltschutzmaßnahmen passgenauer zu gestalten.

Für die wissenschaftliche Begleitung des Projekts wurde ein Forschungsbeirat einberufen, dem zehn Expertinnen und Experten aus den Bereichen Gewalt-, Gender- und Umfrageforschung sowie Opferhilfe und Medizin angehören.