Rede im Deutschen Bundestag von Bundesfamilienministerin Dr. Kristina Schröder Einführung anlässlich des Internationalen Frauentages am 8. März 2012, in Berlin

Es gilt das gesprochene Wort.

Herr Präsident!

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Das vergangene Jahr war in mehrfacher Hinsicht ein wichtiges Jahr für Frauen. In Deutschland ging es dabei vor allen Dingen um die Frage, wie wir mehr Frauen Chancen auf Führungspositionen eröffnen können. Wir haben hart um den besten Weg gerungen, und wir werden auch weiterhin darum ringen. Ich denke, die unterschiedlichen Positionen dabei sind klar; da müssen und da werden wir auch nicht drum herumreden.

Wir können heute wieder vor allen Dingen darüber reden, was alles nicht geht. Besser wäre es, in den Mittelpunkt zu stellen, was möglich ist. Und da stellen wir fest: Allein durch die Debatten, die wir, auch in diesem Parlament, immer wieder geführt haben, ist in den Unternehmen eine Menge in Bewegung gekommen.

Wenn ich mit den Personalvorständen der DAX 30 spreche, dann sagen die mir etwa, dass ihr Wort heute innerhalb des Unternehmens ein ganz anderes Gewicht hat als noch vor wenigen Jahren. Vor kurzem wurden sie noch belächelt, wenn sie zum Thema Frauenförderung gesprochen haben. Heute werden die Personalvorstände um Strategien gebeten.

Die Flexiquoten für alle Führungsebenen unter dem Vorstand, die durch die DAX 30 im Jahr 2011 eingeführt wurden, waren ein wichtiger Schritt in Richtung faire Chancen. Leider haben diesen Fortschritt nur wenige gewürdigt. Viele haben sich über die Zielmarken sogar lustig gemacht. Damit sind sie genau denjenigen in den Rücken gefallen, die in den Unternehmen den Wandel gestalten.

Dabei ist es doch viel schwieriger, den Frauenanteil in allen Führungsebenen auf 25 Prozent zu erhöhen als zum Beispiel nur im Vorstand, der vielleicht nur vier Köpfe umfasst. 25 Prozent von 500 hilft mehr Frauen als 25 Prozent von 4.

Deshalb sage ich: Wir dürfen hier keine reine Elitendiskussion führen, sondern es geht um faire Chancen für alle Frauen in Führungspositionen.

Meine Damen und Herren, ein wichtiges Jahr für Frauen war das vergangene Jahr aber auch außerhalb Deutschlands. Vor gut einem Jahr begann in Tunesien das, was wir heute arabischer Frühling nennen. Fast überall kämpfen Frauen in vorderster Reihe für Freiheit, Teilhabe und Demokratie.

Sie riefen über Facebook und Twitter zu Demonstrationen auf. Sie prangerten in ihren Blogs gesellschaftliche Missstände an. Sie gingen genauso wie Männer für ihre Rechte auf die Straße. Sie ließen sich nicht einschüchtern von Gewalt und Terror. Sie spürten, dass es auf ihre Kraft ankommt im Ringen um gesellschaftlichen Fortschritt.

Ich war deshalb gestern anlässlich des Weltfrauentages gemeinsam mit Abgeordneten in Tunesien. Wir waren in Tunesien, um uns selbst ein Bild von den Entwicklungen zu machen; denn ich bin überzeugt: Wenn Frauen in der arabischen Welt es schaffen, ihre Rechte durchzusetzen, dann ist das ein Signal für Frauen in der ganzen Welt.

Der letzte Friedensnobelpreis ging an drei Frauen, die in ihren Ländern die Gesellschaft verändert haben. Dasselbe Selbstbewusstsein, dieselbe Kraft habe ich gestern in Tunesien gespürt. Wir haben aber auch Skepsis und Ängste gespürt, das Gewonnene wieder zu verlieren oder sogar einen Rückschritt zu erleben.

Ich habe mit Präsident Marzouki gesprochen, der wegen seines Engagements für Freiheitsrechte jahrelang im Exil lebte. Ich habe mit weiblichen Mitgliedern der verfassunggebenden Versammlung gesprochen, die hart darum ringen, ob die Scharia tragender Teil der Verfassung wird. Ich habe mit Frauenrechtlerinnen gesprochen, die seit den 80er-Jahren fordern, dass Frauenrechte vorbehaltlos gelten. Und ich habe jungen Bloggerinnen zugehört.

Diese jungen Frauen haben mit ihren Tastaturen eine Diktatur erschüttert und sturmreif geschrieben. Jetzt wollen diese Frauen ihr Land mit gleichen Rechten und guten Chancen in einer freien Demokratie aufbauen.

Diese Frage stellt sich in vielen Ländern, gerade auch am Internationalen Frauentag. Deutschland steht hinter all den Frauen in der Welt, die sich in ihren Ländern für Gleichberechtigung, für Demokratie und für Menschenrechte einsetzen.

Auch in Deutschland ist Gleichberechtigung der Frauen noch nicht überall verwirklicht, obwohl sie seit über 60 Jahren im Grundgesetz steht. Doch ihre Verankerung im Grundgesetz hat es ermöglicht, über Jahrzehnte hinweg kontinuierlich an ihrer Verwirklichung zu arbeiten. Ohne dieses permanente Ringen um Gleichberechtigung wäre es um Wohlstand, um Zusammenhalt, um Demokratie in unserer Gesellschaft sicherlich sehr viel schlechter bestellt.

Ich denke, die Botschaft, die am heutigen Internationalen Frauentag von Deutschland ausgehen sollte, lautet: kein gesellschaftlicher Fortschritt ohne faire Chancen für Männer und Frauen.