Sehr geehrter Herr Dr. Kreuter,
sehr geehrte Frau Roesgen,
sehr geehrte Herren Abgeordnete Dörflinger und Rix,
sehr geehrter Herr Dr. Seiters,
sehr geehrter Herr Schmidt,
meine sehr verehrten Damen und Herren!
Ich freue mich sehr, dass heute hier in Hannover der Fachkongress "Zivildienst als Chance!" stattfindet. Die große Überschrift, die über dem Kongress steht, ist: "Zivildienst hat Zukunft". Sie wissen, dass es in den vergangenen Jahren nicht immer selbstverständlich war, dass der Zivildienst Zukunft hat. Wir haben jetzt aber durch den Koalitionsvertrag und durch das klare Bekenntnis der beiden Regierungsparteien zur allgemeinen Wehrpflicht diese Sicherheit. Ich denke, es tut allen am Zivildienst Beteiligten schlicht und einfach gut, dass wir nun diese Planungssicherheit haben. Dieses eindeutige Bekenntnis zum Zivildienst ist eine Grundlage, die Ihnen die Arbeit leichter macht. Gerade für die Verbände, die den Zivildienst tragen, ist es ganz wichtig zu wissen, dass in Parlament und Regierung der konsequente Wille vorhanden ist, den Zivildienst weiter aufrecht zu erhalten.
"Zivildienst als Lerndienst", diese Formulierung klang für viele sicher anfangs noch ungewohnt. Ich finde es selbst interessant, mir vor Augen zu führen, was sich getan hat in diesen über 45 Jahren Zivildienst. Die hohe gesellschaftliche Akzeptanz, die der Zivildienst heute hat, ist ja keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Ich erinnere mich, dass viele Zivildienstleistende auch noch Anfang der 80er Jahre eher als Drückeberger galten. Wenn man heute das Wort "Zivi" in unserer Gesellschaft benutzt, dann hat es dagegen einen ganz warmen, einen liebevollen Klang, und es hat vor allen Dingen inzwischen eine ganz hohe gesellschaftliche Akzeptanz.
Dies, meine Damen und Herren, ist auch das Ergebnis der Arbeit, des Einsatzes von 2,5 Millionen jungen Männern, die in den letzten 45 Jahren Zivildienst geleistet haben. Ich finde diese Zahl beeindruckend. Diese Zivildienstleistenden haben ihren Dienst geleistet in Krankenhäusern, in Altenpflegeheimen, im Krankentransport, im Rettungsdienst, bei der Schwerstbehindertenbetreuung. Sie arbeiten aber auch im Umweltschutz, bei der Begleitung Sterbender und in vielen anderen Bereichen. Ich meine, sie sind gar nicht mehr wegzudenken in der ganz eigenen Art und Weise ihres persönlichen Einsatzes
Hier sind heute viele aktive und auch ehemalige Zivildienstleistende und deshalb möchte ich Ihnen aus tiefer Überzeugung sagen: Dank Ihrer Arbeit haben Sie die Menschen im Land überzeugt, dass sich Zivildienstleistende in der Tat nicht drücken. Sie leisten viel, sie sind bereit zu geben, sie verdienen Anerkennung, sie werden gebraucht, unsere Gesellschaft hat etwas davon. Deshalb möchte ich Ihnen stellvertretend für die große Zahl von 2,5 Millionen Zivildienstleistenden danken!
Der Zivildienst ist etwas ganz Besonderes: Er ist mit Sicherheit kein Beruf und als Pflichtdienst ist er auch nicht etwas, was man im eigentlichen Sinne freiwillig tut. Und jeder Zivildienstleistende weiß besser als ich - die ich keinen solchen Dienst geleistet habe - dass der Anfang des eigenen Dienstes für viele mühsam und von ganz vielen zwiespältigen Gefühlen geprägt ist. Aber es ist eben auch ein Dienst mit Menschen und am Menschen. Und die jungen Wehrpflichtigen, die aus Gewissensgründen keinen Dienst an der Waffe leisten wollen, müssen sich dafür entscheiden, dass sie gerade diesen besonderen Dienst am Menschen leisten wollen. Es ist eine ganz aktive Entscheidung, dieses sich Einlassen für neun Monate auf diese Arbeit, auf diese Menschen. Das heißt auch, dass die Menschen sich auf die Zivildienstleistenden verlassen können. Ein Zivi kann nicht ohne Weiteres sagen: "Ich habe keine Lust, ich mache nicht mehr weiter". Der Zivildienst ist ein Pflichtdienst, aber dieser Pflichtdienst hat keinen Makel. Im Gegenteil: das Anderen-Menschen-Dienen ist etwas, was die Besonderheit und das Kostbare am Zivildienst ausmacht.
Der Zivildienst hat in unserem Land viele Spuren hinterlassen. Für mich war neu, dass das Berufsbild des Rettungsassistenten aus dem Zivildienst entstanden ist. Als Ärztin war es eine Selbstverständlichkeit für mich. Jetzt erst als Ministerin habe ich gelernt, dass dieses Berufsbild aus der Existenz des Zivildienstes und der Zivildienstleistenden, aus ihrer Arbeit heraus, entwickelt worden ist. Heute sind 40 Prozent der Rettungsassistenten ehemalige Zivildienstleistende.
Auch wenn wir daran denken, wie ambulante Dienste bundesweit errichtet und erweitert worden sind und heute arbeiten, ist der Zivildienstleistende dort gar nicht mehr wegzudenken.
Ein weiterer Punkt ist mir sehr wichtig: Die Zivildienstleistenden, d.h. 2,5 Millionen junge Männer im Laufe der Jahre, sind klassischerweise in Tätigkeitsbereichen, die eigentlich als typisch weiblich gelten, eingesetzt. Fürsorge, Pflege, soziales Engagement sind Tätigkeiten, die meist von Frauen ausgeübt werden. Ich denke, dass die Selbstverständlichkeit, mit der Zivildienstleistende in diesen Tätigkeiten gesehen und erlebt werden, im Laufe der Zeit die Akzeptanz dafür erhöht hat, dass diese Arbeit, diese sozialen Dienstleistungen selbstverständlich sein können auch für Männer.
Diese Akzeptanz sollte durchaus noch wachsen. Ich sage das ganz bewusst vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung. Ich will Ihnen noch einmal die europäischen Zahlen nennen: Wir haben zurzeit 460 Millionen Menschen in Europa. Wir werden im Jahr 2050 durch den demographischen Wandel "nur" 10 Millionen weniger haben. Aber das wird sich so vollziehen, dass bei den 15- bis 65-Jährigen 50 Millionen Menschen fehlen werden, während die über 80-Jährigen sich in der Anzahl verdreifachen werden. Wenn man sich dies vor Augen hält, dann muss uns klar sein, dass wir die Herausforderungen durch die Lebensverlängerung nur bewältigen können, wenn sie nicht alleine auf den Schultern der Töchter lastet. Wir werden die Söhne in diesem Feld ebenfalls brauchen. Um so wichtiger ist es, in der als männlich akzeptierten Rolle dieses "weibliche Moment" selbstverständlicher zu machen. Denn dieses Land wird sich nicht um Kinder oder um die ältere Generationen kümmern können, wenn es dafür nur Mütter und Töchter hat. Es wird auch die Väter und die Söhne dringend brauchen.
Es freut mich, wie selbstverständlich junge Männer im Zivildienst in diese sozialen Rollen wechseln. Sicherlich sind sie am Anfang ihrer Zeit auch oft nicht einverstanden mit ihrer neuen Rolle. Es gibt die nette Geschichte der älteren Dame, die ihren Zivi vom mobilen sozialen Hilfsdienst zum ersten Mal empfängt und ihn mit der Frage konfrontiert: "Können Sie denn überhaupt richtig bügeln?" Vielleicht konnte der junge Mann das auch gar nicht, aber er konnte es lernen. Durch das Lernen, angeleitet durch die ältere Dame, kann er in Beziehung treten mit ihr. Auch dies ist etwas unendlich Wichtiges im demographischen Wandel: Wir werden das Verschieben der Anteile der Generationen im Verhältnis zueinander nur bewältigen können, wenn es uns gelingt, gerade die Beziehungsfähigkeit zwischen den Generationen selbstverständlicher zu machen und zu intensivieren.
Meine Damen und Herren, mit diesen Beispielen wollte ich darauf hinweisen, wie viel die Zivildienstleistenden uns geben. Das bedeutet aber auch, dass sie etwas dafür zurückbekommen sollten - und zwar mehr als die Anerkennung, die sie sich systematisch im Laufe der Zeit erarbeitet und erworben haben.
Die Zivildienstleistenden sind in der Regel 18 bis 20 Jahre alt, junge Männer, die im Leben ihren Platz noch suchen. Das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun, am Anfang ihres Erwachsenseins gebraucht zu werden, ist eine ganz starke Motivation für junge Menschen. Genau deshalb sind wir heute hier. Wenn junge Menschen neun kostbare Monate ihres Lebens für den Zivildienst geben, kann uns das doch nicht gleichgültig sein, im Gegenteil: Es sollte uns ein Antrieb sein dafür zu sorgen, dass diese Zeit möglichst sinnvoll ausgefüllt ist.
"Zivildienst als Lerndienst", was kann sich dahinter verbergen? Wir haben unter anderem an den Zivildienstschulen und an den Lehrinstituten der Verbände Modellprojekte gestartet. Ein Ziel ist es, eine Begleitung der Zivildienstleistenden über die gesamte Zivildienstzeit zu gewährleisten. Sie sollen die Möglichkeit haben, das, was sie täglich erleben, womit sie konfrontiert werden, auch die Ambivalenz ihrer Gefühle, zu reflektieren. Sie müssen Zeit haben innezuhalten, Zeit haben darüber zu reden. Denn nur aus der Reflektion erwächst im Laufe der Zeit das, was wir Erfahrung nennen. Erfahrung heißt auch, dass man sich mit anderen austauschen kann, dass man wahrnehmen kann, wie sie die Situation empfinden und vor allem, dass man lernt, dass es anderen in belastenden Situationen auch so geht wie einem selbst. Themen wie Ekel, Abwehr oder Angst muss man auch benennen können, Gefühle, die diese jungen Zivildienstleistenden durchaus in ihrem Dienst haben können, deren sie sich aber nicht zu schämen brauchen, weil sie selbstverständlich mit dem Dienst einhergehen. Reflektionselemente im Zivildienst sollten so gestaltet sein, dass die im Dienst erworbenen sozialen Kompetenzen verfestigt werden und dass die Zivis hoch motiviert in den Dienst zurückkehren, dass sie aber auch etwas mitnehmen, was über die Dienstzeit hinaus trägt.
Darüber hinaus hat sich der Zivildienst mit seinen Rahmenbedingungen auseinanderzusetzen, und auch da haben wir bereits einiges entrümpelt und entbürokratisiert. So sind vor wenige Wochen neue Anerkennungsrichtlinien in Kraft gesetzt worden, von denen wir uns viel erwarten.
Ich nenne aber auch die neuen Einsatzfelder für Zivildienstleistende. Wenn sich Gesellschaft weiter entwickelt, wenn es neue Bedürfnisse gibt auf sozialen Feldern, die bisher nicht typische Zivildienstfelder waren, also etwa in der Jugendarbeit oder in der Schule, dann wollen wir diese für Zivildienstleistende erproben, damit sie auch dort ihre Fähigkeiten entwickeln können.
Als drittes Beispiel nenne ich die Verpflegungsgeldregelung, die wesentlich vereinfacht worden ist. Hier sind vier Seiten auf nur noch acht Sätze gekürzt worden. Ich glaube, es tut dem Zivildienst schlicht und einfach gut, wenn er auf diese Weise bürokratisch entstaubt und entrümpelt wird.
Meine Damen und Herren, dieser Prozess der Weiterentwicklung und Entbürokratisierung steht sinnbildlich dafür, den Zivildienst nicht im Status quo einzufrieren, sondern zu modernisieren, anzupassen an das, was in der Welt geschieht. Ich bin entschlossen, diesen Prozess der Weiterentwicklung, der Innovation im Zivildienst nicht bremsen zu lassen.
Sie wissen alle, dass in den nächsten Monaten drei Zivildienstschulen benannt werden müssen, die geschlossen werden müssen. Natürlich sind dadurch im Bereich der Zivildienstschulen Verunsicherungen entstanden, das ist vollkommen verständlich. Es geht aber darum, Betten abzubauen, die jetzt schon Überkapazitäten sind, d.h. die jetzt schon nicht mehr genutzt werden. Deshalb bleibe ich dabei, was ich Ihnen gewissermaßen als Versicherung mitgeben möchte: Der Zivildienst hat ganz ohne Wenn und Aber und unseren Vereinbarungen im Koalitionsvertrag gemäß Zukunft. Es ist mir ein wichtiges Anliegen, neben der Reduktion der Bettenkapazität auf das, was tatsächlich heute noch genutzt werden kann, parallel dazu die innere Qualität des Zivildienstes zu entwickeln. Dies ist sicherlich auch ein Anliegen, was wir den jungen Männern schulden, die ihre Zeit investieren. Nur durch einen harmonische Dreiklang von Einführungslehrgängen, Einweisung am konkreten Zivildienstplatz und Reflektion, also durch eine kontinuierliche Begleitung der Zivildienstleistenden, wird der Zivildienst sich als lebendiges Ganzes, als Lerndienst entwickeln können.
Damit bin ich bei einem weiteren Punkt, der mir besonders am Herzen liegt: Wenn wir davon ausgehen, dass im Zivildienst die geschilderten Kompetenzen erworben werden können, dann müssen diese Kompetenzen auch sichtbar werden, sich für die jungen Männer lohnen. Zunächst einmal brauchen wir schlicht und einfach die Kenntnis und ein Einverständnis darüber, welche Aufgaben jeder einzelne Zivildienstleistende konkret vor Ort ausübt. Dazu dienen die neuen Tätigkeitsbeschreibungen. Diese schaffen - auch wenn sie vielleicht am Anfang ungewohnt sind - Klarheit bei allen Beteiligten, was die Zivis tun, und damit auch eine Verbesserung der Nachweisbarkeit. Sie bieten die Grundlage dafür, auch in der Zivildienstzeit berufliche Qualifizierung möglich zu machen. Angedacht ist die Anerkennung des Zivildienstes z. B. für die Ausbildung in der Altenpflege. Einige Länder haben Interesse angemeldet auch in Bezug auf die Ausbildung zum Altenpflege- und Krankenpflegehelfer. Aber auch unabhängig von einer ganz spezifischen Ausbildung soll der Zivildienst in jedem Fall im Lebenslauf positiv zu Buche schlagen. Sie alle kennen dies von einem anderen Feld, das wir immer wieder diskutieren: Die Frage, wie wir ehrenamtlich Tätige zertifizieren können, damit sie auch im Berufsleben von ihrem Engagement einen Nutzen haben.
Ähnlich ist der Gedankengang, wenn wir in einem Modellversuch die individuelle Zertifizierung von Zivildienstleistungen durch die TÜV-Akademie Rheinland erproben. Der Zivildienstleistende erhält nach Ablegung einer Prüfung durch diese TÜV-Akademie das Zertifikat "Zertifizierter Helfer für soziale Dienste". Dies ist noch eine sperrige Bezeichnung. Wir können uns noch relativ wenig darunter vorstellen. Aber wenn ich noch ein Mal den Blick zurückwerfen darf auf den Rettungsassistenten, dann hat auch dieser irgendwann einmal seinen Anfang genommen, als vielleicht zu Beginn nur eine vage Vorstellung da war, aber noch wenig Konkretes im Vergleich zu dem, was wir heute selbstverständlich als Beruf wahrnehmen.
Warum streben wir so etwas an? Wir möchten etwas verändern. Früher stießen junge Männer auf Vorbehalte, wenn sie bei einem Bewerbungsgespräch auf die Frage: "Wo haben Sie gedient?" antworteten: "Ich habe Zivildienst gemacht". Nicht selten wurde die Bewerbung bei Seite gelegt nach dem Motto: "nicht brauchbar für diesen Betrieb". Es hat sich inzwischen ein Trend entwickelt - und den wollen wir systematisch positiv unterlegen - dass keineswegs mehr Vorbehalte zum Tragen kommen, wenn im Lebenslauf der Zivildienst steht. Es kommt vielmehr die Assoziation: Das ist jemand, der ist belastbar, der hat Fähigkeiten, auch Durststrecken durchzuhalten, der hat Empathie entwickelt, der hat die Fähigkeit, in schwierigen Situationen zu kommunizieren. Das alles sind Werte, die nicht nur in den sozialen Diensten dringend gebraucht werden, sondern das sind Werte, die selbstverständlich im Wirtschaftsleben heute auch für Führungskräfte gebraucht werden. Wir möchten im Zivildienst Instrumente entwickeln, die sozialen und emotionalen Kompetenzen, die junge Männer dort entfalten können, greifbarer, sichtbarer zu machen. Das gilt insbesondere für benachteiligte Jugendliche, damit ihnen diese Kompetenzen, die sie erworben haben, als weiteres Plus, als Prädikat den Weg ebnen können.
Wir sind heute am Anfang des Kongresses. Wir sind auch am Anfang der Weiterentwicklung des Zivildienstes als Lerndienst. Ich möchte diese Diskussion mit Ihnen bewusst ganz offen gestalten, denn wir werden bei der Weiterentwicklung des Zivildienstes vieles auf den Prüfstand stellen. Gedanklich müssen wir vieles weiterentwickeln und dafür brauchen wir dringend Sie. Hier und heute bitten wir Sie, Ideen zu entwickeln, kreativ zu sein, sich auf ein Brainstorming einzulassen. Denn nur im Zusammenspiel zwischen ministerieller Erfahrung und der Erfahrung dessen, was "draußen" bei Ihnen in den Zivildienstschulen oder in den Zivildienststellen passiert, können wir das Bild vollständig zeichnen, dessen grobe Konturen ich eben skizziert habe.
Deshalb, meine Damen und Herren, lassen Sie mich Ihnen zum Schluss eines meiner liebsten Sprichworte mit auf den Weg geben. Es ist ein chinesisches Sprichwort. Viele werden es kennen, es lautet:
"Wenn der Wind des Wandels weht, dann bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen."
In der Tat, der Wind des Wandels weht, auch im Zivildienst. Lassen Sie uns gemeinsam nach den Windmühlen suchen, die wir errichten können, damit wir den Wind des Wandels auch darauf lenken können.
Vielen Dank.