Berlin Manuela Schwesig zum Internationalen Frauentag

Sehr geehrter Herr Präsident!
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete!

Der Internationale Frauentag ist mehr als 100 Jahre alt; wir haben gerade den 103. gefeiert. In diesen über 100 Jahren haben viele Frauen und einige Männer vieles erkämpft, was für Frauen heute selbstverständlich ist: Frauen können wählen und werden gewählt. Sie haben erreicht, was Clara Zetkin schon gefordert hat, bevor es den ersten Frauentag gab: keine Sonderrechte, sondern Menschenrechte. Es geht in dieser Debatte um die Gleichstellung von Frauen und Männern nicht um Sonderrechte für Frauen, sondern darum, dass die Menschenrechte auch für Frauen gelten.

Bei aller gesetzlichen Gleichstellung, die Frauen auch mithilfe von Männern für sich errungen haben: Wir müssen weiter für gleiche Chancen von Frauen und Männern kämpfen; denn die rechtliche Gleichstellung muss auch in der Lebenswirklichkeit von Frauen und Männern ankommen. Zurzeit ist das noch nicht so. Deshalb ist es wichtig, dass Frauen nicht nur das Gleiche verdienen wie Männer, sondern auch wirklich das Gleiche bekommen. Frauen sollen die Möglichkeit haben, mit ihrem Partner Beruf und Familie so aufzuteilen, wie sie es wollen. Frauen sollen ihre Qualifikationen auch in Führungspositionen einbringen können. Frauen sollen vor allem auf eigenen Beinen stehen können und befreit von Abhängigkeiten sein.

Gleichstellung ist für mich ein zentrales Thema, wenn es um Gerechtigkeit geht, weil die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern Grundvoraussetzung für einen gesellschaftlichen Zusammenhalt ist. Gleichstellung ist für mich auch ein zentrales Thema gesellschaftlicher Solidarität; denn eine Gesellschaft kann nur solidarisch sein, wenn beide Geschlechter die gleichen Aufstiegsmöglichkeiten und die gleichen Beteiligungsmöglichkeiten haben.

Gleichstellung ist auch ein zentrales Freiheitsthema; denn nur wer selbstbestimmt lebt, ist wirklich frei. Deshalb ist die Gleichstellung eine Frage von gesellschaftlichem Fortschritt. Diesen Fortschritt wird es nur geben, wenn die gesetzliche Gleichstellung von Frauen und Männern für beide Geschlechter in der Lebenswirklichkeit ankommt. Da gibt es noch eine ganze Menge zu tun. Fakt ist, dass die Lohnunterschiede bei Frauen und Männern immer noch sehr groß sind. Frauen erhalten 22 Prozent weniger als Männer, obwohl sie das Gleiche verdienen. Der Anteil von Frauen in Führungspositionen ist immer noch extrem gering. Selbst die Vereinigten Arabischen Emirate liegen in Bezug auf den Anteil von Frauen in Führungspositionen vor Deutschland. Auch die Gewalt gegen Frauen steht immer noch auf der Tagesordnung; sie darf kein Tabuthema sein. Diese und viele andere Ungerechtigkeiten sind ein Problem für die Frauen, aber auch ein Problem für unsere Gesellschaft; denn die Fähigkeit unserer Gesellschaft, die Fragen der Zukunft zu meistern, hängt davon ab, wie gleichberechtigt Frauen und Männer zusammen leben und arbeiten.

Um diese Ungerechtigkeiten zu bekämpfen, müssen wir neue Wege gehen. Diese neuen Wege werden im Ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung mit der sogenannten Lebensverlaufsperspektive aufgezeigt. Es werden Brüche, Entscheidungen und Momente des Übergangs im Leben von Männern und Frauen beschrieben, an denen sich Handlungsmöglichkeiten erweitern oder auch verengen. Wir müssen die Gleichstellungspolitik an dieser Lebensverlaufsperspektive orientieren. Ich möchte deshalb den Gleichstellungsbericht aus der Schublade holen und freue mich, dass der Antrag der Regierungskoalition genau an diesen Gleichstellungsbericht anknüpft.

Was bedeutet das für Frauen und Männer, die sich heute diese Debatte zum 103. Frauentag anhören? Was erwarten sie von ihrem Gesetzgeber?

Sie erwarten, dass wir die zwischen Frauen und Männern bestehende Lohnlücke schließen, indem wir die indirekte Lohndiskriminierung beseitigen, indem vor allem typische Frauenberufe wie Pfleger und Erzieher aufgewertet werden, indem wir die Möglichkeit schaffen, dass Frauen nicht in der Teilzeitfalle hängen bleiben. Deswegen begrüße ich, dass die Arbeitsministerin angekündigt hat, das Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit durchzusetzen.

Wir müssen aber auch die direkte Lohndiskriminierung angehen. Wir haben uns deshalb darauf verständigt, die direkte Lohndiskriminierung zwischen Frauen und Männern mit gesetzlichen Regelungen zu beseitigen, indem zukünftig Unternehmen ab 500 Beschäftigte verpflichtet werden, einen Bericht zur Entgeltgleichheit vorzulegen. Das wird dazu führen, dass sich viele Unternehmen mit diesem Thema beschäftigen und dass man nachhaken kann. Wir wollen ein individuelles Auskunftsrecht einführen; auch das ist wichtig. Zudem werden wir verbindliche Verfahren regeln, wie Unternehmen diese Entgeltdiskriminierung beseitigen können. Das sind gesetzliche Regelungen, für die in diesem Jahr die Eckpunkte erarbeitet und die dann nachhaltig, unbürokratisch und wirkungsvoll gemeinsam auf den Weg gebracht werden sollen.

Was können wir noch tun, um die Lebenswirklichkeit zu verbessern? Wir wollen vor allem die Partnerschaftlichkeit stärken. Frauen und Männer wollen heute eine Partnerschaft auf Augenhöhe führen. Sie wollen sich Erziehungsarbeit und die Arbeit im Erwerbsleben teilen. Um diese Herkulesaufgabe "Familie und Beruf" vereinbaren zu können, wünschen sich 60 Prozent der Paare mit kleinen Kindern, es gemeinsam zu schaffen. Leider gelingt das nur 14 Prozent der Paare. Die Realität ist: Die Männer arbeiten 40 Stunden plus Überstunden, die Frauen bleiben oft mit wenig Stunden in der Teilzeitfalle hängen. Beide haben nicht die Möglichkeit, der Erziehungsarbeit und der regulären Arbeit auf Augenhöhe nachzugehen. Deshalb ist es wichtig, dass wir über die partnerschaftliche Aufteilung der Familienarbeit diskutieren, dass wir aber auch etwas tun, zum Beispiel mit dem ElterngeldPlus. Das ElterngeldPlus wird dazu führen, dass wir die Benachteiligung der Paare, die wieder früh in den Beruf einsteigen und sich die Elternzeit teilen, aufheben. Damit wollen wir die Partnerschaftlichkeit fördern.

In meiner ersten Rede im Plenum hatte ich versprochen, auch auf die Argumente der Opposition einzugehen. Ich weiß nicht, ob Herr Wunderlich heute da ist. - Ja. Hallo, Herr Wunderlich! Sie hatten ja gesagt:

"Gut, das Blümchen "ElterngeldPlus" soll es geben. Ich glaube, das fällt bei den Blumen, um in diesem Genre zu bleiben, in die Rubrik Stinknelke."

Herr Wunderlich, ich muss Ihnen sagen: Ich werde von vielen Familien angeschrieben, die sich wünschen, dass das ElterngeldPlus auf den Weg kommt, um diese Benachteiligung aufzuheben und mit einem Partnerschaftsbonus die Partnerschaftlichkeit zu stärken. Sie sehen also: Das ist mehr als eine Stinknelke. Seien Sie froh, dass Sie kein Florist geworden sind, sonst müssten Sie jetzt Insolvenz anmelden.

Dritter wichtiger Schwerpunkt: mehr Frauen in Führungspositionen. Der Anteil von Frauen in Führungspositionen ist beschämend gering. Das liegt nicht daran, dass wir zu wenige qualifizierte Frauen haben. Es liegt daran, dass es immer noch die sogenannte gläserne Decke gibt. Diese wollen wir durchstoßen, ich gemeinsam mit Justizminister Heiko Maas, mit einem gemeinsamen Gesetz zur Förderung von Frauen in Führungspositionen. Wir erarbeiten derzeit die rechtlichen Leitlinien dafür, um sie dann mit der Wirtschaft, mit den Gewerkschaften, mit denen, die davon betroffen sind, zu diskutieren und gemeinsam weiterzuentwickeln.

Wir werden erstens eine verbindliche Quote von mindestens 30 Prozent für Aufsichtsräte von börsennotierten und voll mitbestimmungspflichtigen Unternehmen einführen. Zweitens werden wir Unternehmen, die mitbestimmungspflichtig und börsennotiert sind, dazu verpflichten, selbst Vorgaben für ihre Aufsichtsräte, Vorstände und oberste Etagen zu machen. Drittens wollen wir natürlich im öffentlichen Bereich mit gutem Beispiel vorangehen; denn wir können nicht der Wirtschaft Dinge vorschreiben, die wir selber nicht einhalten. Da gibt es noch eine Menge zu tun.

Ich bin sicher, dass diese Quote zu mehr Gerechtigkeit und mehr Gleichstellung von Frauen und Männern führt, was der Gesellschaft guttut. Die Quote wird nicht den Untergang des Abendlandes bringen. Im Gegenteil: Sie wird unser Land aufblühen lassen. Es muss nur der erste Dominostein fallen.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, die Redezeit reicht nicht, um auf alle Punkte einzugehen, aber ich möchte eines sagen: Wir werden am 23. Mai den 65. Jahrestag des Grundgesetzes feiern. Im Grundgesetz ist die gleichberechtigte Teilhabe von Männern und Frauen verankert. Dort steht auch, dass wir sie aktiv fördern müssen. Ich möchte das tun, und ich bitte Sie dabei um Unterstützung.