Berlin Lisa Paus gratuliert den Preisträgerinnen des Helene Weber-Preises

Es gilt das gesprochene Wort.

Heute ist ein besonderer Tag. Warum? So wie die Olympischen Spiele nur alle vier Jahre stattfinden, so wird der Helene Weber-Preis nur einmal in der Legislaturperiode verliehen. Als Bundesfrauenministerin ist es für mich Ehre und Freude zugleich, den Preis an 15 beeindruckende Kommunalpolitikerinnen zu verleihen. Sie kommen aus ganz Deutschland, aus allen Parteien, aus großen und kleinen Städten und Gemeinden. Sie sind zwischen 24 und 59 Jahre alt, arbeiten beispielsweise als Lehrerin, Unternehmerin, bei der Polizei, als Musikerin oder studieren noch. Sie sind in Deutschland, Somalia, Pakistan oder Belarus geboren. Vielfältiger könnte der Kreis nicht sein. 

Gemeinsam ist Ihnen, dass Sie sich alle ehrenamtlich in der Kommunalpolitik engagieren. Als Stadt- oder Gemeinderätin, als Stadt- oder Bezirksverordnete. Als Fraktionsvorsitzende und Bürgermeisterin. Sie gehören zu den 30 Prozent Frauen in der Kommunalpolitik und den nur neun Prozent, die an der Spitze eines Rathauses stehen. Damit sind Sie nicht nur außergewöhnlich in Ihrem politischen Engagement, sondern auch Vorbild. Die mehr als 100 Vorschläge, die uns über die Abgeordneten des Bundestages erreicht haben, beweisen dies. Ihre Politik wirkt! 

Nur ein paar Beispiele: Sie setzen sich für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein. Sie knüpfen Netzwerke für Integration und gegen Rassismus. Sie entscheiden im Haupt- und Finanzausschuss, wohin das Geld geht. Sie wissen, wie wichtig Geld in der Kommune ist, und haben darum zum Beispiel einen Fördermittel-Monitor bei der Beantragung von Mitteln für Projekte vor Ort initiiert. Oder ein eigenes Budget für Ortsvorsteherinnen und Ortsvorsteher durchgesetzt. Außerdem setzen Sie sich für mehr und bessere Rad- und Fußwege ein und Sie kämpfen erfolgreich für erneuerbare Energien. Sie verbessern damit konkret die Lebensqualität in Ihren Gemeinden. Das machen Sie auch, wenn Sie erreichen, dass Ausbildungen bei der Stadtverwaltung in Teilzeit angeboten werden. Und damit verhindern, dass junge Mütter eine Ausbildung abbrechen. Oder wenn Sie neue Stellen im Kita-Bereich schaffen und damit die Betreuungssituation erheblich verbessern. Oder wenn Sie gleich drei weitere Frauen für die Kreistagsfraktion gewinnen. Dann verändern Sie alle, liebe Preisträgerinnen, dauerhaft etwas in Ihren Gemeinden. Und das gerade in Zeiten, wo der Ton rauer wird. So geben laut einer jüngeren Befragung zu ehrenamtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister im ländlichen Raum  56 Prozent an, bereits Erfahrungen mit Hass und Hetze gemacht zu haben - ein Fünftel sogar mehrfach. Mit Ihrer politischen Arbeit setzen Sie damit ein Zeichen für die Demokratie. Gerade deshalb sage ich Danke für Ihr Engagement. Danke für Ihre Arbeit. Danke für Ihren Mut.

Der 2009 erstmals vergebene Helene Weber-Preis ist nach einer der sogenannten "vier Mütter des Grundgesetzes" benannt. Er ist mehr als nur eine Auszeichnung: Er ist eine Hommage an herausragende Politikerinnen und ein Plädoyer für ihre Sichtbarkeit über Parteigrenzen hinweg. Helene Weber selbst erkannte die Bedeutung von Frauen in der Politik - und in ihrem Sinne setzen wir uns dafür ein, mehr Frauen für die Politik zu gewinnen. Noch nie gab es ein Parlament in Deutschland, das auch nur annähernd paritätisch mit Frauen und Männern besetzt war. Warum ist das so? Antworten geben Politikerinnen in einer Studie der Europäische Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft Berlin e.V. (EAF). 65 Prozent der Politikerinnen sind danach der Meinung, dass an sie andere Erwartungen gestellt werden als an Politiker, zum Beispiel in Bezug auf ihr Verhalten, ihre Leistung oder ihr Aussehen. Knapp die Hälfte gibt an, dass ihre Wortmeldungen und Äußerungen weniger ernst genommen werden. Auch sexuelle Belästigung wird genannt, zum Beispiel im Sinne unerwünschter und unangemessener Bemerkungen, Blicke oder Berührungen. Und: Frauen und Männer unterscheiden sich deutlich in der Bewertung, warum es weniger Frauen in der Politik gibt. So nennen Frauen zum Beispiel späte Sitzungszeiten oder die hart geführten Auseinandersetzungen. Die Mehrheit der Männer hingegen meint, dass Frauen schlicht weniger Interesse an Politik hätten. 

Vieles davon habe ich selbst erlebt. Ich bin seit 25 Jahren in der Politik. Ich war Abgeordnete im Land und im Bund. Ich war im Finanz-, Wirtschafts- und Haushaltsausschuss. Am Tisch mir gegenüber saßen immer mehr Männer als Frauen. Ich bin überzeugt: Wenn Gleichstellung unser Ziel ist, dann müssen wir Frauen dorthin, wo viele Männer sind. Darum gefällt mir das Motto des Helene Weber-Preises auch so gut: Frauen Macht Politik. Etwas hat mich jedoch als alleinerziehende Mutter in der Politik besonders gestört: Familienfreundlich ist sie nicht - die Politik. Ich fände es zum Beispiel gut, im Bundestag auf namentliche Abstimmungen nach 20 Uhr zu verzichten. Ich fände es auch gut, wenn ich digital abstimmen könnte. Außerdem plädiere ich seit langem dafür, den Sonntag frei von Politik-Terminen zu halten. Da bin ich mir mit anderen Politikerinnen einig. Wir setzen uns gemeinsam im Bundestag für das Recht auf Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Politik ein. Als Ministerin habe ich einige politische Hebel, um bei der Gleichstellung voranzukommen.

Diese Hebel sind die drei R: Ressourcen. Rechte. Und: Repräsentation. Mit Blick auf die Zeit will ich nur drei Beispiele nennen. Stichwort Ressourcen: Wir müssen den Gender Pay Gap schließen - mit 18 Prozent immer noch zu hoch. Das heißt salopp gesagt: Keine Diskriminierung von Frauen. Aber auch Schutz vor Gewalt, Machtmissbrauch und Sexismus. Deshalb lade ich Sie herzlich ein, mit mir Schulter an Schulter Sexismus zu bekämpfen: Auch Städte und Gemeinden können sich dem Bündnis "Gemeinsam gegen Sexismus" anschließen! Mehr als 570 Organisationen sind schon dabei. Wo es freiwillig nicht voran geht, da helfen Quoten. Wir sehen bei Vorständen und Aufsichtsräten großer Unternehmen: Die Quote wirkt. Und in der Politik? Auch hier haben wir noch viel Luft nach oben. Mit dem Helene Weber-Preis und dem daran anknüpfenden Helene Weber-Kolleg - haben wir nachhaltige Strukturen und Netzwerke für mehr Frauen in der Politik geschaffen.

Der Helene Weber-Preis ist nicht nur eine Auszeichnung für Erreichtes wie die Medaillen bei den Olympischen Spielen. Der Preis ist auch ein Appell. Allen Frauen sage ich: Lassen Sie sich inspirieren! Die mehr als 100 Bewerberinnen und die heutige Preisverleihung beweisen, dass jede Frau etwas ändern kann. Jeden Tag, überall. Damit komme ich zum Schluss. Zuvor noch ein herzlicher Dank an die zwölf Mitglieder der Jury, die mehr als 100 umfangreiche Bewerbungen gesichtet und bewertet haben. Und an Sie, liebe Frau Mahler Walther, dass Sie und die EAF den Helene Weber-Preis organisieren. Auch danke ich den Abgeordneten des Deutschen Bundestages: Denn jede Bewerberin wurde von einem oder einer Abgeordneten vorgeschlagen. Jetzt kommen wir zum spannenden Teil des Nachmittags - der Preisverleihung! Vielen Dank.