Neue Osnabrücker Zeitung Verdeckte Armut verringern und Kindern gute Startchancen ermöglichen

Bundesfamilienministerin Lisa Paus sitzt in einem Stuhl
Bundesfamilienministerin Lisa Paus© Lawrence Chaperon

Neu Osnabrücker Zeitung (NOZ): Frau Paus, Sie wollen zwölf Milliarden Euro mehr für die Kindergrundsicherung haben, Finanzminister Christian Lindner hält das für zu viel. Wie wollen Sie ihn noch überzeugen?

Lisa Paus: In der Kindergrundsicherung sollen mehrere Leistungen für Kinder zusammengeführt werden, wie Kindergeld, Kinderzuschlag und Ansprüche nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Auch ohne die Kindergrundsicherung müsste für diese Leistungen 2025 mehr ausgegeben werden als 2024. Das liegt schlicht an der Inflation. Da sind die zwei Milliarden, die Herr Lindner anbietet, schnell weg, ohne dass wir eine strukturelle Verbesserung erzielt haben.

NOZ: Was erwarten Sie also?

Lisa Paus: In den Koalitionsverhandlungen hatten alle drei Parteien die Kindergrundsicherung auf ihren Zetteln, sie ist also ein Gemeinschaftsvorhaben. Alle wollen Kindern bessere Startchancen eröffnen. Gerade angesichts des Fachkräftemangels in Deutschland brauchen wir perspektivisch selbstbewusste, resiliente Menschen. Die Kindergrundsicherung ist daher eine sinnvolle Investition in die Zukunft.

NOZ: Der Bundesfinanzminister sieht das Projekt eher als Digitalisierungsprojekt, bei dem am Ende die bisherigen Leistungen endlich bei allen ankommen. Kindergeld und Kinderzuschlag wurden gerade erst erhöht…

Lisa Paus: Ja, es ist wichtig, dass die Leistungen bei allen Familien ankommen. Mit der Kindergrundsicherung müssen wir endlich die Kinder erreichen, die heute zwar schon einen Anspruch auf Unterstützung haben, diesen aber nicht wahrnehmen, weil alles so kompliziert ist. Wenn wir nur diese Familien mit dem Kindergrundsicherungs-Portal und dem Kindergrundsicherungs-Check einbeziehen - was im Übrigen auch Herr Lindner will - bedeutet es Mehrkosten von um die fünf Milliarden Euro. Wir wollen verdeckte Armut verringern. Wir müssen aber ebenso die Arbeitsanreize für Eltern stärken, denn letztlich ist Erwerbstätigkeit der Eltern der beste Schutz vor Kinderarmut. Heute bleiben von 100 Euro mehr Bruttoeinkommen oft nur fünf oder zehn Euro mehr netto übrig - zu wenig. Und schließlich müssen wir bei der Zusammenführung der bestehenden Leistungen auch schauen, dass es an den bisherigen Schnittstellen keine Verschlechterungen für Familien gibt. Die zwölf Milliarden sind schon knapp kalkuliert.

NOZ: Wie kommen Sie konkret auf zwölf Milliarden Euro?

Lisa Paus: In der Armutsforschung werden noch ganz andere Summen genannt. Zwölf Milliarden Euro sind eher am unteren Ende dessen, was man benötigen würde, um Kinderarmut in Deutschland deutlich zu verringern. Und wie bereits gesagt, brauchen wir einen Großteil des Geldes schon für den Inflationsausgleich und die höhere Inanspruchnahme. Ich möchte endlich eine Trendwende einleiten: Die Kindergrundsicherung ist ein Paradigmenwechsel, nicht nur technisch, sondern möglichst auch mit einer deutlich spürbaren Erhöhung der Leistungen für Kinder in ärmeren Familien.

NOZ: Haben Sie einen Vorschlag, wie es finanziert werden könnte?

Lisa Paus: Ich mache einen konkreten Vorschlag zur Gegenfinanzierung. Es ist absurd, dass wohlhabende Familien über die Kinderfreibeträge deutlich stärker entlastet werden als ärmere Familien, die nur das Kindergeld erhalten. Ich rate dazu, den Teilbetrag für Betreuung, Erziehung oder Ausbildung abzusenken. Mit den Steuermehreinnahmen könnten wir einen Teil der Kindergrundsicherung finanzieren. Es wäre ein Durchbruch, diese Ungerechtigkeit im System endlich zu beseitigen.

NOZ: Wie viel Geld braucht denn ein Kind, damit es nicht mehr in Armut aufwachsen muss?

Lisa Paus: Ich lege mich nicht fest, aber von den Summen, die Kinderschutzorganisationen aufrufen, sind wir auch mit den zwölf Milliarden noch weit entfernt. Es geht mir um erste Verbesserungen. Darum, dass Kinder nicht bei jeder Freizeitaktivität außen vor sind.

NOZ: Wie wollen Sie Fehlanreize verhindern?

Lisa Paus: Es soll einen Garantiebetrag für alle und einen einkommensabhängigen Zusatzbetrag geben. Wir werden sicherstellen, dass sich Erwerbstätigkeit von Eltern finanziell lohnt. Zusätzliches Erwerbseinkommen soll die Leistung - auch im Zusammenspiel mit anderen Leistungen - nicht zu schnell und nicht zu stark absinken lassen. Damit soll sichergestellt werden, dass eine Familie netto immer mehr hat, als wenn die Eltern nicht arbeiten würden.

NOZ: Umstritten in der Koalition ist auch das Demokratiefördergesetz aus Ihrem Haus, mit dem Projekte, die sich für Vielfalt und Demokratie engagieren, dauerhaft unterstützt werden sollen. Die FDP will stärker prüfen, wer das Geld bekommt. Stichwort Extremismusklausel. Warum nehmen Sie das nicht auf?

Lisa Paus: Weil es nicht notwendig ist, denn es ist bereits geregelt. In Bundesprogrammen wie "Demokratie leben!" und "Zusammenhalt durch Teilhabe" ist sichergestellt, dass das Grundgesetz von allen Beteiligten zu achten ist. Eine Zuwiderhandlung im Zuge von Förderprojekten gilt als Zweckentfremdung und kann entsprechend geahndet werden. Auch im Demokratiefördergesetz gibt es dazu klare Regelungen. Wir wollen diejenigen stärken, die sich für unsere Demokratie und gegen Rassismus und Antisemitismus engagieren statt sie unter Generalverdacht zu stellen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass der Gesetzentwurf so beschlossen wird und damit Projekte zur Demokratieförderung langfristig bestehen können.

NOZ: Sie selbst haben sich bereits für die Abschaffung des Paragrafen 218 ausgesprochen. Sehen Sie nicht die Gefahr, dass der Schutz ungeborenen Lebens künftig zu wenig berücksichtigt wird?

Lisa Paus: Ich habe mich dafür ausgesprochen, den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuchs zu regeln. Um die komplexen Fragen zu klären, wird Ende des Monats eine unabhängige Kommission ihre Arbeit aufnehmen. Ich erhoffe mir Vorschläge, wie der Schwangerschaftsabbruch in Zukunft geregelt werden kann. Schon jetzt haben wir Lücken bei der ärztlichen Versorgung. Und dass das so ist, hat eben auch mit der derzeit geltenden gesetzlichen Regelung zu tun, die nicht nur Frauen, sondern auch Ärztinnen und Ärzte stigmatisiert. Deshalb brauchen wir eine neue Regelung in Deutschland.