Ursula von der Leyen im Interview mit der sz-online

Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen äußert sich im Interview mit der sz-online zum geplanten Elterngeld.

sz-online: Ihr Koalitionspartner, die SPD, hält die geplanten Steuererleichterungen für die Kinderbetreuung für ungerecht. Sitzen Sie mit ihrer Politik schon in der Gerechtigkeitsfalle?

Ursula von der Leyen: Die Ziele, die das Kabinett formuliert hat, sind ganz klar: Wir können begrenzt Geld investieren und damit gezielt Beschäftigung rund um Haushalt und Familie fördern. Dass dabei die Vereinbarkeit von Beruf und Familie einen gewaltigen Schub bekommt, ist gut und richtig. Aber die Diskussionen gehen weit über das Ziel hinaus.

sz-online: Der wesentliche Vorwurf lautet: Warum muss der Staat die, denen es sowieso schon besser geht, noch besser stellen?

Ursula von der Leyen: Mir geht es um die so genannte horizontale Gerechtigkeit. Wir müssen verschiedene Paare mit gleichem Einkommen vergleichen. Die einen erarbeiten ihr Einkommen, erziehen Kinder und haben deshalb hohe Betreuungskosten. Die anderen haben keine Kinder und deshalb keine Kosten. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, dass nicht beide gleich hoch besteuert werden. Eines ist dabei aber ganz klar: Von Steuerermäßigungen können nur die profitieren, die Steuern zahlen.

sz-online: Die, die keine Steuern zahlen, weil ihr Einkommen so niedrig ist, können nicht profitieren.

Ursula von der Leyen: Ihnen können wir im Steuersystem nicht helfen. Sie können nur bei der Höhe der Kindergartenbeiträge entlastet werden.

sz-online: Hat die Bundesregierung das falsch erklärt? SPD-Chef Platzeck sagt jetzt, es müsse nur noch um Familien-, und nicht mehr um Beschäftigungspolitik gehen.

Ursula von der Leyen: Auf der Klausur in Genshagen ist das Ziel, neue Arbeitsplätze zu schaffen, klar formuliert worden. Das Kabinett hat das im Beisein der Partei- und Fraktionsvorsitzenden einvernehmlich beschlossen. Nach Genshagen ist dann eine Grundsatzdebatte über Familie und Kinder entbrannt, die tatsächlich nur noch wenig mit den geplanten Steuerermäßigungen zu tun hat. Das ist allerdings eine fruchtbare Debatte, denn über die Rahmenbedingungen, die jungen Menschen wieder Mut zu Kindern geben, ist zu lange der Mantel des Schweigens gedeckt worden.

sz-online: Diese "fruchtbare Debatte" vermurkst Ihnen jetzt allerdings Ihr Beschäftigungsprogramm.

Ursula von der Leyen: Nein, die Grundprinzipien der Beschlüsse stehen. Es bleibt bei der Vorgabe: Wir wollen neue Arbeitsplätze schaffen, und der Rahmen von 460 Millionen Euro kann nicht überschritten werden.

sz-online: Kanzlerin Merkel will die Steuererleichterungen auf Alleinverdiener ausdehnen.

Ursula von der Leyen: Die Bundeskanzlerin hatte den Wunsch geäußert, dass wir auch Modelle für Alleinverdiener prüfen. Als Familienministerin kann ich nur sagen, wenn die Grundziele erhalten bleiben - neue Arbeitsplätze rund um Familie -, kann ich das nur begrüßen.

sz-online: Freuen Sie sich schon auf die Gerechtigkeitsdebatte zum geplanten Elterngeld? Auch da werden Eltern, die ein höheres Einkommen haben, mehr Geld vom Staat bekommen.

Ursula von der Leyen: Auch hier geht es um die Frage: Wie behandeln wir Menschen, die Ja sagen zum Kind, im Vergleich zu Menschen, die sich gegen Kinder entscheiden? Das Elterngeld ist ein ganz starkes Signal, dass es der Gesellschaft nicht gleichgültig ist, ob sich Menschen für ein Kind entscheiden. Zum ersten Mal werden wir Teile des Gehaltes zahlen, das Eltern im ersten Lebensjahr ihres Kindes nicht verdienen können.

sz-online: Aber müssen die, die ohnehin höhere Einkommen haben, stärker staatlich gefördert werden als diejenigen, die kein oder wenig Einkommen haben?

Ursula von der Leyen: Studien zeigen uns, dass vor allem Alleinerziehende und Geringverdiener vom Elterngeld profitieren. Denn bei ihnen stellt sich besonders schroff die Frage: Wovon soll ich in den nächsten Monaten leben, wenn ich jetzt ein Kind bekomme? Hier hilft das Elterngeld ganz gezielt. Die Berechnungen zeigen auch: Je höher das Einkommen, desto geringer ist der Vorteil, der dadurch geschaffen wird. Das Elterngeld beträgt ja höchstens 1800 Euro. Das heißt: Wir unterstützen die Mittelschicht der arbeitenden Bevölkerung, der sonst mit der Geburt eines Kindes ein Teil der Existenzgrundlage entzogen wird.

sz-online: Nochmal: Warum brauchen Akademikerfamilien mehr Geld als Friseure und Sekretärinnen, die sich für Kinder entscheiden?

Ursula von der Leyen: Wir dürfen nicht vergessen, dass Kinder geboren werden, wenn die Menschen jung sind. Es geht ja nicht um Topmanager, sondern um Menschen, die in der Regel am Anfang ihrer Berufslaufbahn stehen und deren Gehälter noch klein sind. Das gilt für Assistenzärzte ebenso wie für Gabelstaplerfahrerinnen. All diesen Menschen wird das bisherige Einkommen durch das Elterngeld zu zwei Dritteln ersetzt. Es geht wieder um die horizontale Frage. Wir müssen Menschen gleichen Einkommens - mit und ohne Kinder - vergleichen, wenn wir die Gerechtigkeitsfrage beantworten wollen.

sz-online: Der SPD-Sozialexperte Karl Lauterbach kritisiert, das Elterngeld führe zu einer "Kommerzialisierung der Elternschaft".

Ursula von der Leyen: Das ist eine absurde Phantomdebatte. Wir sollten nicht anfangen, die schwindende Zahl von Menschen, die überhaupt noch den Mut haben, ein Kind in die Welt zu setzen, schlecht zu reden, weil der Staat überlegt, ihnen zu helfen.

sz-online: Aber Sie erwarten von Ihrem Koalitionspartner, dass er zum Elterngeld steht?

Ursula von der Leyen: Wenn wir uns die Länder anschauen, in denen mehr Kinder geboren werden, eine geringere Arbeitslosigkeit und höheres Wirtschaftswachstum herrscht, in denen die Kinder in der Schule besser abschneiden als in Deutschland, sehen wir: In diesen Ländern wird Elterngeld gezahlt. Das weiß auch die SPD. Elterngeld allein löst die Probleme nicht, aber es ist ein erster, wichtiger Schritt.

sz-online: Wann kommt das Gesetz?

Ursula von der Leyen: Wir werden den Entwurf Mitte des Jahres vorlegen. Das Gesetz soll zum 1. Januar 2007 in Kraft treten.

sz-online: Und erwarten Sie einen Babyboom zum Jahresbeginn?

Ursula von der Leyen: In Schweden hat es jedenfalls einen kleinen Baby-Boom gegeben, als dort das Elterngeld eingeführt wurde. Vielleicht schaffen wir das auch.

Das Interview ist am 27. Januar in der sz-online erschienen. Interview: Sven Siebert