Ursula von der Leyen im Interview mit der Bild am Sonntag

Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen im Interview mit der Bild am Sonntag über das geplante Elterngeld und die Rolle der Väter in der Kindererziehung.

Bild am Sonntag: Frau Ministerin, Matthias Platzeck hat die Belastung als SPD-Chef nicht verkraftet. Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als er seinen Rücktritt bekanntgegeben hat?

Ursula von der Leyen: Er hat genau das Richtige getan. Matthias Platzeck hat seine persönlichen Grenzen über die Politik gestellt. Seinen Rückzug vom SPD-Vorsitz habe ich auch als Mahnung aufgenommen: Politik ist wichtig, aber es gibt Dinge, die im Leben wichtiger sind - Gesundheit und Familie.

Bild am Sonntag: Sie haben als Ärztin gearbeitet, bevor Sie in die Politik gegangen sind. Was ist Ihre Diagnose? Macht Politik krank?

Ursula von der Leyen: Politische Führungspositionen kosten enorm viel Kraft. Der Termindruck hört nie auf: 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche, 52 Wochen im Jahr kann ein Politiker auf Terminen unterwegs sein. Da ist es entscheidend, Ruhephasen ernst zu nehmen, in denen man aus dem Hamsterrad treten und den Blick ins Weite werfen kann. Das tut auch der Sacharbeit gut. Für wichtig halte ich außerdem, daß man Politik nicht um der Macht willen betreibt, sondern sein Thema mit Leidenschaft verfolgt. Dann geht der Beruf nicht so schnell an die Substanz.

Bild am Sonntag: Gibt es Kollegen, denen Sie raten würden kürzerzutreten?

Ursula von der Leyen: Ja. Ich habe Ärzte erlebt und erlebe nun Politiker, die ihren Beruf über alles stellen und sich von ihm auffressen lassen. Manchen Kollegen sieht man die Überanstrengung und die ungesunde Lebensweise an. Sie schlafen zuwenig, rauchen zuviel, treiben kaum Sport.

Bild am Sonntag: Sagen Sie denen das?

Ursula von der Leyen: Als Ärztin sprechen mich meine Kollegen auch zu Gesundheitsfragen an. Aber was ich mit wem berede, fällt unter die ärztliche Schweigepflicht, die ich nach wie vor sehr ernst nehme.

Bild am Sonntag: Wie wichtig ist eine intakte Familie?

Ursula von der Leyen: Für mich ist sie überlebensnotwendig. Mein Mann und meine Kinder schaffen eine natürliche Distanz zum Beruf und verhindern, daß ich meine politische Aufgabe zu verbissen sehe.

Bild am Sonntag: Sie sind Familienministerin - und siebenfache Mutter. Ihre Familie lebt in Hannover, Sie arbeiten in Berlin. Wie vereinbaren Sie das?

Ursula von der Leyen: Als Politikerin verzichte ich auf den unterhaltsamen Teil: Feste, Empfänge, Abendessen. Das ist jedesmal ein gewonnener Abend fürs Kinder-ins-Bett-Bringen. Im Privatleben entfällt alles, was nicht Familie ist: Freunde, Kino oder persönliche Hobbys. Ich bemühe mich jeden Tag, Prioritäten zu setzen. Aber ich will nicht verschweigen, daß es extrem harte Phasen gibt. An manchen Abenden fühle ich mich erschöpft und überfordert.

Bild am Sonntag: Frau von der Leyen, ist Deutschland ein familienfreundliches Land?

Ursula von der Leyen: Deutschland ist zumindest kein elternfreundliches Land. Wir senden das Signal aus: Wer Kinder bekommen will, hat es im Beruf schwerer. Gleichzeitig sollen junge Menschen mehr für ihre Zukunft vorsorgen. Da darf sich niemand wundern, wenn immer mehr junge Menschen zögern, Kinder zu bekommen. Deutschland ist Schlußlicht in Europa bei der Geburtenrate. Es ist höchste Zeit, daß wir jungen Menschen, die sich für Kinder entscheiden, den Rücken stärken...

Bild am Sonntag: ...mit einem Elterngeld, das vom Einkommen abhängig ist?

Ursula von der Leyen: Das Elterngeld wird zum 1. Januar 2007 kommen. Das Konzept werden wir Ende April vorstellen und vor der Sommerpause im Kabinett beschließen. Junge Eltern sollen sich Zeit nehmen können, ohne finanzielle Sorgen in die Vater- oder Mutterrolle hineinzuwachsen. Deshalb wollen wir zwei Drittel des ausfallenden Einkommens ein Jahr lang ersetzen - bis zu einer Obergrenze von 1.800 Euro im Monat.

Bild am Sonntag: Besserverdienende bekommen mehr Geld fürs Kinderkriegen. Ist das sozial gerecht?

Ursula von der Leyen: Ich teile die Bedenken nicht. Geringverdiener profitieren doch in besonderer Weise. Sie können die Zweidrittelförderung ausschöpfen, ohne an eine Obergrenze zu stoßen.

Bild am Sonntag: Das Elterngeld soll nur dann volle zwölf Monate gezahlt werden, wenn auch der Vater mindestens zwei Monate Erziehungsurlaub nimmt. Wie wollen Sie Ihre konservativen Parteifreunde davon überzeugen?

Ursula von der Leyen: Es geht um die Generation unserer Töchter und Söhne. Es ist in Ordnung, Vater und Erzieher zu sein. Wir wollen jungen Vätern den Rücken stärken, die eine Elternzeit nehmen möchten, aber finanzielle Einbußen fürchten - so haben wir es im Koalitionsvertrag vereinbart.

Bild am Sonntag: Mächtige Unionspolitiker machen massiv Front gegen Ihre Pläne. Sie sagen: Es ist nicht Aufgabe des Staates, den Leuten vorzuschreiben, wie sie ihre Kinder aufziehen sollen...

Ursula von der Leyen: Das will auch niemand. Aber heute sind die meisten Frauen, wenn sie das erste Kind bekommen, berufstätig. Die jungen Frauen sind gut ausgebildet und wollen Kontakt zum Beruf halten. Die jungen Männer sind bereit, eine aktive Rolle beim Großziehen ihrer Kinder zu übernehmen. Wenn wir das nicht anerkennen, riskieren wir, daß bald überhaupt niemand mehr Kinder haben möchte.

Das Interview ist am 16.4.2006 in der Bild am Sonntag erschienen.