Namensartikel von Sven Lehmann Transsexuellengesetz abschaffen - Gleiche Rechte für alle!

Porträt von Sven Lehmann
Sven Lehmann, Queer-Beauftragter der Bundesregierung und Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesfamilienministerin© Bundesregierung/Steffen Kugler

Seit mehr als 40 Jahren gibt es in Deutschland das Transsexuellengesetz. Und seither verletzt dieses Gesetz die Würde des Menschen und die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Denn diese umfassen auch, dass Menschen in dem Geschlecht anerkannt werden, mit dem sie sich identifizieren.

Bereits sechs Mal seit Inkrafttreten des Gesetzes 1981 hat das Bundesverfassungsgericht einzelne Vorschriften für verfassungswidrig erklärt. So mussten transgeschlechtliche Menschen noch bis 2008 die Scheidung einreichen und waren bis 2011 gezwungen, sich sterilisieren und geschlechtsangleichende Operationen vornehmen zu lassen, damit ihr falscher Geschlechtseintrag korrigiert werden konnte. Laut Bundesverband Trans* e. V. betraf das in Deutschland mehr als 10.000 Menschen. Aber auch nach wie vor werden gesunde Menschen durch das Gesetz pathologisiert: Für keine andere Gruppe in der Gesellschaft gilt ein derart diskriminierendes Sondergesetz. Dabei hat die Weltgesundheitsorganisation schon vor einigen Jahren deutlich gemacht: Transgeschlechtlichkeit ist keine Krankheit, sondern eine natürliche Variante der geschlechtlichen Entwicklung. Krank ist vielmehr ein Gesetz, das Menschen für krank erklärt, die nur in Freiheit und Würde leben wollen.

Schon seit vielen Jahren kämpfen die Betroffenen und die queere Community für die Abschaffung des Transsexuellengesetzes (TSG) zugunsten eines modernen Selbstbestimmungsgesetzes - und endlich ist mit dem Regierungswechsel hin zur Ampelkoalition dieses Ziel zum Greifen nah. Die Bundesregierung arbeitet derzeit mit Hochdruck daran. Es ist die längst überfällige Beendigung einer in Gesetz gegossenen Menschenrechtsverletzung zugunsten von Selbstbestimmung und Anerkennung der real existierenden geschlechtlichen Vielfalt.

Der Leidensdruck bei trans Menschen ist hoch. Sie werden gezwungen, zwei psychiatrische Gutachten vorzulegen, um ihren Personenstand im Pass ändern zu dürfen. Diese Verfahren sind langwierig, teuer und vor allem entwürdigend. In den Fragebögen für die Begutachtung tauchen unter anderem solche Fragen auf: Wie oft masturbieren Sie durchschnittlich innerhalb eines Monats? Und: Falls Sie das Erscheinungsbild eines Mannes haben, tragen Sie dann weibliche Unterwäsche, um sich zu stimulieren? Abgefragt werden auch gelebte Sexualität und sexuelle Fantasien. Und ob Hobbys und Alltagsgestaltung mit - übrigens längst überholten – Geschlechterstereotypen übereinstimmen.

Die meisten trans Menschen sehen sich dieser Begutachtung schutzlos ausgeliefert, da die Gutachten oft ausschlaggebend sind für die Entscheidung über die beantragte Personenstandsänderung. Aber geschlechtliche Identität kann gar nicht von außen begutachtet werden. Darüber kann nur eine Person Auskunft geben, und das ist jeder Mensch selber. Welchem Geschlecht sich jemand zugehörig fühlt, das ist keine Entscheidung von Richter*innen, Mediziner*innen und Psycholog*innen. Auch vonseiten der Gutachter*innen wird verstärkt gefordert, die Begutachtungspflicht abzuschaffen. Die Begutachtung kommt nur in unter einem Prozent der Fälle zu dem Ergebnis, dass keine Transgeschlechtlichkeit vorliegt - so das Ergebnis einer vom Bundesfamilienministerium in Auftrag gegebenen Studie. Ähnliches zeigt sich im Ausgang der Gerichtsverfahren: In 99 Prozent der Fälle entscheiden die Gerichte im Sinne der Antragsteller*innen. Wir wissen zudem von Verbänden aus der Community, dass die Zahl der "Regretter", also derjenigen, die mit der Entscheidung hadern und sie stoppen oder wieder rückgängig machen möchten, bei nur rund einem Prozent liegt. Dem gegenüber stehen die enorme Diskriminierung und das Leid transgeschlechtlicher Personen, das wir nicht länger in Kauf nehmen dürfen.

Die Bundesregierung arbeitet an einem einfachen Verfahren zur Änderung von Name und Personenstand ohne pathologisierende Zwangsgutachten. In der aktuellen Diskussion über die Reform wird immer wieder die Frage aufgeworfen, ob die Altersgrenze des vollendeten 14. Lebensjahres angemessen ist, um mit Zustimmung der Eltern einen Vornamens- und/oder Personenstandswechsel vorzunehmen. Meine Meinung ist: Viele Jugendliche wissen oft seit Jahren, einige schon seit frühester Kindheit, dass das ihnen zugewiesene Geschlecht nicht ihrer Identität entspricht. Sie müssen eine Handhabe bekommen, damit sie nicht gegen ihren Willen in der Schule oder im Sportverein mit falschem Namen oder Geschlecht angesprochen werden. Dabei möchte ich betonen: Das geplante Selbstbestimmungsgesetz regelt ausschließlich den Geschlechtseintrag in Ausweisdokumenten neu. Alle medizinischen Fragen wie Hormonbehandlungen oder Operationen werden nicht gesetzlich geregelt. Dafür gibt es bereits spezielle fachärztliche Leitlinien. Die gesundheitliche Versorgung von trans Menschen muss indes auch verbessert werden. Derzeit müssen viele die Finanzierung von Operationen oder Hormonbehandlungen über Klagen erstreiten. Auch die Beratungsstrukturen sollen ausgebaut werden. Es ist wichtig, dass viel mehr Anlaufstellen wie zum Beispiel Jugendämter Sensibilität und Kompetenzen zum Thema geschlechtliche Vielfalt aufbauen. Jugendliche und ihre Eltern müssen auch in ihrer Nähe gute Unterstützung finden können. Außerdem möchten wir die Peer-basierten Angebote aus der Trans-Community stärken, weil sie es sind, die das vertiefte Wissen und das nötige Einfühlungsvermögen für die Begleitung von Transitionen mitbringen.

Trans Menschen sind Menschen wie alle anderen auch, sie folgen keinem Modephänomen. Für eine Änderung des Geschlechtseintrages brauchen sie viel Mut. Sie müssen es sich selbst eingestehen, es ihrem Umfeld erklären, Partnern, Familie und am Arbeitsplatz. Diesen Schritt macht sich niemand leicht, denn er kann mit viel Diskriminierung verbunden sein. Dennoch sehen wir, dass die Zahl derjenigen, die offen trans sind, von Jahr zu Jahr steigt. Dies hängt damit zusammen, dass das gesellschaftliche Klima offener gegenüber trans Personen geworden ist. Deshalb trauen sich immer mehr, zu dem Geschlecht zu stehen, das ihrer Identität entspricht, darunter auch viele Jugendliche. Sie brauchen auf ihrem Weg Unterstützung vom Elternhaus, von der Schule, von Ärzt*innen, sie brauchen gute Beratung und Vertrauen. Was sie nicht brauchen, das sind Fremdbestimmung und Schikane. Trans Frauen sind Frauen. Und trans Männer sind Männer. Punkt. Alles andere ist transfeindlich.

Wie Carolin Wiedemann in ihrem Debattenbeitrag im Feuilleton der ZEIT vor einigen Wochen geschrieben hat, schließt der größte Teil der feministischen Bewegung trans Menschen und den Einsatz für deren Rechte ein. Wenn in der aktuellen Diskussion über das TSG nun einige, die sich selber Feministinnen nennen, transgeschlechtlichen Frauen das Frau-Sein absprechen und beschwören, sie seien eine Gefahr für safe spaces, dann ist das der Versuch einer Spaltung und ein gefährlicher Geschlechterkampf zwischen cis und trans Frauen. Es ging und geht im Feminismus immer um Selbstbestimmung und um das Zurückdrängen des Patriarchates. Daher bin ich überzeugt, dass Feministinnen und trans Menschen ähnliche Ziele haben. Einen Aufbruch für Vielfalt, Selbstbestimmung und gleiche Rechte werden wir nur schaffen, wenn wir zusammenhalten. Ich freue mich, dass Organisationen wie der Deutsche Frauenrat oder die Frauenhauskoordinierung in Deutschland das auch sehr deutlich klargemacht haben. Was wird sich ändern, wenn das Selbstbestimmungsrecht in Kraft tritt? Werden Menschen, wie es Selbstbestimmungsgegner*innen derzeit als Schreckgespenst aufplustern, dann dauernd ihren Geschlechtseintrag hin- und herwechseln? Für die Antwort hilft ein Blick über den Tellerrand: In den Staaten, die ähnliche Selbstbestimmungsregelungen bereits eingeführt haben, wie Argentinien (2012), Dänemark (2014), Malta (2015), Irland (2015), Norwegen (2016) und Belgien (2018), gibt es keine Berichte über derartige Fälle.

Ich bin der festen Überzeugung: Vielfalt macht eine Gesellschaft freier und damit auch stärker. Sie kann die Gesellschaft sogar einen - wenn es gelingt, Andersartigkeit zu akzeptieren. Wir müssen daher sehr viel stärker die Chancen und den Wert von Vielfalt sehen und das auch politisch unterstützen. Schon im Sommer will die Bundesregierung daher den Startschuss zum ersten bundesweiten Aktionsplan für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt geben. Und zur Abschaffung des Transsexuellengesetzes. Endlich!