Welt am Sonntag: Frau Schwesig, Sie gehen in einer Woche in die Babypause - freuen Sie sich darauf?
Manuela Schwesig: Ja, ich freue mich sehr auf den Mutterschutz und die Zeit, wenn das Baby da ist. Diese Zeit braucht man auch als Familie. Ich freue mich aber auch, wenn ich Anfang Mai wieder zurückkomme. Wir haben noch viel vor in diesem Jahr.
Welt am Sonntag: Wird es ein Junge oder ein Mädchen?
Manuela Schwesig: Wir freuen uns auf ein Mädchen. Der Name steht noch nicht fest - aber mein Sohn und ich sind uns schon sehr einig.
Welt am Sonntag: Bundesministerin, das ist ein Hochleistungsjob - ist das zu schaffen?
Manuela Schwesig: Mir geht es sehr gut, die Schwangerschaft verleiht mir tatsächlich noch etwas mehr Energie. Ich habe viele wichtige Vorhaben auf den Weg gebracht, wie den Entwurf für ein Lohngerechtigkeitsgesetz, die Reform der Pflegeberufe oder die Reform des Mutterschutzes. Sie sollen auch weiterlaufen und beraten werden während meiner Abwesenheit. Das ist mir wichtig.
Welt am Sonntag: Die Schwangerschaft Ihrer Vorgängerin Kristina Schröder war noch eine Sensation. Alle fragten: Wie kann das gehen, Ministeramt und Baby? Das ist bei Ihnen kein Thema mehr. Warum?
Manuela Schwesig: In einer Zeit so riesiger Herausforderungen stehen andere Themen im Vordergrund als meine Schwangerschaft. Mein Mann und ich haben uns schon lange ein zweites Kind gewünscht, unser achtjähriger Sohn sowieso. Aber es war immer klar, dass ich weiter meinen Aufgaben hier nachkommen will.
Welt am Sonntag: Befürchten Sie nicht, dass Ihre Abwesenheit ausgenutzt wird?
Manuela Schwesig: Ich habe mit meinem Team im Ministerium alles gut vorbereitet. Mein Staatssekretär Ralf Kleindiek und die parlamentarischen Staatssekretärinnen werden mich vertreten. Wir werden auch regelmäßig telefonieren, um Dinge zu entscheiden und voranzubringen. Ich habe viel Unterstützung für meine Themen - sowohl hier im Haus als auch in der SPD. Insofern kann ich entspannt sein. Aber man darf sich nichts vormachen: Ministerin zu sein heißt schon, präsent sein zu müssen. So eine kleine Auszeit geht, aber länger ginge es nicht. Ich werde ab Mai dann wieder richtig anpacken. Es nutzt also nichts, wenn der Koalitionspartner versucht, meine Vorhaben hinauszuzögern.
Welt am Sonntag: Ihr Mann nimmt diesmal Elternzeit. Ist er einer der wenigen Betamänner, die ihren Alphafrauen den Rücken freihalten?
Manuela Schwesig: Ohne meinen Mann könnte ich den Spagat zwischen Beruf und Familie in diesem Amt nicht so gut hinbekommen. Wir haben von Anfang an eine Partnerschaft gelebt, in der sich jeder in Verantwortung für das Kind sieht. Als unser Sohn zur Welt kam, war mein Mann beruflich sehr eingespannt, da bin ich in Elternzeit gegangen. Jetzt nimmt er sie. Ich freue mich für ihn, weil es eine sehr schöne Zeit ist. Auch mein Mann ist in einer Führungsposition - auch er musste mit seinem Team genau planen, wie sie sich aufstellen.
Welt am Sonntag: Familien brauchen Zeit füreinander,sagen Sie. Andererseits nennen Sie Teilzeitarbeit und lange Erziehungsauszeiten ein Armutsrisiko. Wollen Sie den Frauen Angst machen?
Manuela Schwesig: Nein. Ich möchte ehrlich sein. Es geht nicht darum, den Leuten ein Lebensmodell vorzuschreiben. Das müssen sie selbst entscheiden. Aber Fakt ist, dass Frauen, die nicht oder nur wenig erwerbstätig sind, eine schlechtere Rentenperspektive haben. Meine Aufgabe ist es, den Frauen die Konsequenzen ihres Handelns aufzuzeigen. Mir tut es weh, wenn mir Frauen schreiben: Ich bin jetzt Anfang 50, die Ehe ist am Ende, ich habe mich jahrelang um die Kinder gekümmert und stehe jetzt ohne Job und ohne Unterhalt da. Das kann der Staat nicht vollständig ausgleichen.
Welt am Sonntag: Dennoch ist Teilzeitarbeit beliebt.
Manuela Schwesig: Teilzeit ist eine gute Lösung, wenn man Kinder aufzieht oder Angehörige pflegt. Sie darf nur keine Sackgasse sein. Darum unterstütze ich Arbeitsministerin Andrea Nahles bei dem Plan, ein Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit gesetzlich zu verankern. Und mit meiner Idee einer Familienarbeitszeit setze ich mich dafür ein, dass Eltern ihre Arbeitszeit reduzieren können - mit staatlichen Zuschüssen.
Welt am Sonntag: Mit diesen Projekten sind Sie zur Lieblingsnervensäge von Finanzminister Wolfgang Schäuble geworden. In seinem Haus gelten Sie als sperrige Verhandlungspartnerin.
Manuela Schwesig: Die Zeiten, in denen das Familienministerium kleingehalten wurde, sind vorbei. Es zeigt aber auch die Kurzsichtigkeit in der Finanzpolitik. Die Investition, Beruf und Familie vereinbaren zu können, hilft ja auch dem Finanzminister. Die Mehreinnahmen, die Herr Schäuble jetzt hat, haben vor allem damit zu tun, dass die Erwerbstätigkeit im Land gestiegen ist - vor allem durch Frauen.
Welt am Sonntag: Sie sind nicht nur Familien-, sondern auch Frauenministerin und als solche mit einem ganz neuen Kriminalitätsphänomen konfrontiert: massenhafter sexueller Belästigung von Frauen durch Zuwanderer. Was tun?
Manuela Schwesig: Was diese Frauen durchmachen mussten, ist schockierend. Dass in einem bislang sicher geglaubten öffentlichen Raum massenhaft solche Taten begangen wurden, gab es noch nie. Frauen wurden wie Freiwild behandelt. Das führt zu einer großen Verunsicherung in der Bevölkerung, das sehe ich mit Sorge. Die Tatsache, dass die Täter aus dem Ausland kamen, ist Wasser auf die Mühlen von Rechtsradikalen und Rassisten. Das darf aber nicht dazu führen, dass Politik und Behörden etwas verschweigen. Es wird jetzt debattiert, ob sexuelle Gewalt ernst genug genommen wird. In der Vergangenheit war das klar nicht der Fall. Wir haben Lücken im Sexualstrafrecht, die nun geschlossen werden. Das unterstütze ich sehr. Was wir nicht brauchen, sind Verhaltensregeln für Frauen. Frauen haben sich große Freiheit in Deutschland erkämpft. Diese Freiheit dürfen wir uns nicht nehmen lassen.
Welt am Sonntag: Sie unterstützen die feministische Aktion #ausnahmslos, die sich gegen eine "Islamisierung" sexueller Gewalt wendet. Zieht man das nicht zu sehr ins Allgemeine? Ist das nicht eine Relativierung der Kölner Vorfälle?
Manuela Schwesig: Ich habe den Aufruf unterstützt, weil er zwei wichtige Botschaften enthält: dass die Übergriffe nicht dazu benutzt werden dürfen, alle unter Generalverdacht zu stellen. Und zweitens, dass sexualisierte Gewalt für viele Frauen Alltag ist. Für mich ist jeder Übergriff einer zu viel - egal von wem und egal an welcher Frau. Viele finden es übertrieben, dass wir die Gesetze anschärfen. Das sehe ich nicht so. Ich finde es richtig, dass die Bundesregierung alle rechtlichen Mittel nutzt, um Leute, die hier Gewalttaten verüben, schnell zurückzuschicken. Die Rechte von Frauen sind ein wichtiger Wert in unserem Land. Die Menschen, die zu uns kommen, müssen diese Werte akzeptieren.
Welt am Sonntag: Waren wir zu naiv? Wollten wir nicht so richtig hinschauen?
Manuela Schwesig: Nein, aber offensichtlich wurden die Probleme unterschätzt. Die große Aufnahmebereitschaft, die sich im vorigen Jahr entwickelt hat, gilt ja den Kriegsflüchtlingen, die bei uns Schutz suchen. Man kann jetzt nicht alle Flüchtlinge unter Generalverdacht stellen. Wir müssen genau schauen, wer kommt. Wer kein Schutzrecht hat, muss zügig zurückgeführt werden. Und bei kriminellen Handlungen muss der Staat noch viel klarer zeigen, wo Schluss ist. Sonst wird auch die große Hilfsbereitschaft der Bevölkerung infrage gestellt.
Welt am Sonntag: Sie haben früh betont, dass wir die deutsche Bevölkerung nicht überfordern dürfen. Ist das ein Plädoyer für eine wie auch immer geartete Obergrenze?
Manuela Schwesig: Richtig ist, dass wir innerhalb Europas eine Lösung brauchen, damit Deutschland nicht die Belastungsgrenze überschreitet. Aber die Forderung nach einer Obergrenze ist nicht seriös. Sie suggeriert eine einfache Lösung, die keine ist. Wir müssen die Lage der Flüchtlinge in den Krisenregionen verbessern, die EU-Außengrenzen sichern und Flüchtlingskontingente vereinbaren. Das bedeutet, es kommt nicht jeder ungesteuert ins Land, sondern wir schauen, wem wir zuerst helfen. An dieser Lösung wird jetzt gearbeitet.
Welt am Sonntag: Wenn Sie Kontingente sagen, müssen die anderen Europäer mitziehen. Tun sie aber nicht.
Manuela Schwesig: Die Gespräche haben erst angefangen. Es ist sicher eine schwierige Aufgabe. Aber wir müssen zu einer Steuerung der Flüchtlingspolitik kommen.
Welt am Sonntag: Im Kabinett liegt ein Plan zur Begrenzung des Familiennachzugs auf dem Tisch. Syrer, deren Familien in einem sicheren Drittland leben wie der Türkei, dürften Frauen und Kinder nicht mehr nachholen. Was sagen Sie dazu?
Manuela Schwesig: Das wäre ein großer Fehler für die Integration. Es ist etwas anderes, 100 Familien zu integrieren als 100 allein reisende Männer. Kinder haben eine hohe Integrationskraft. Sie leben sich schnell in Kita und Schule ein und bauen ihren Familien Brücken. Wir müssen darauf achten, dass auch die Frauen an Integrationskursen teilnehmen - nicht nur die Männer. Das Thema Gleichberechtigung wird in den Kursen noch viel zu wenig beachtet. Es muss ein Schwerpunktthema werden.
Welt am Sonntag: Dagegen wirkt die Frauenquote, die seit dem 1. Januar in Kraft ist, wie ein Luxusprojekt. Erste Ergebnisse sind wenig ermutigend, oder?
Manuela Schwesig: Die Frauenquote ist kein Luxusprojekt, sondern notwendig für die Gleichstellung in unserem Land. Hier haben wir noch viel zu tun. Deshalb erwarte ich von den Betrieben, dass sie es ernst meinen und sich Ziele setzen. Eine vollständige Bilanz können wir erst im Frühjahr ziehen. Es kann sich aber niemand leisten, das Gesetz zu ignorieren.
Welt am Sonntag: In der Politik gilt die Quote schon lange. Wären Karrieren wie die von Angela Merkel - oder Ihre eigene - ohne die Quote möglich gewesen?
Manuela Schwesig: Ich glaube nicht. Dadurch, dass Frauen in der Politik frühzeitig Thema waren, kamen sie schon früh in Führungspositionen. Es kann sich aber keine Frau dort nur wegen der Quote halten. Sie muss dann auch liefern.
Welt am Sonntag: Angela Merkel ist also entdeckt worden und hat dann geliefert?
Manuela Schwesig: Ich kann nur für mich sprechen. Angela Merkel ist ihren Weg gegangen. Ich finde es wichtig, dass wir das Jahr 2016 nutzen, um die Rechte von Frauen zu stärken. Wir brauchen gleichen Lohn für gleiche Arbeit, mehr Frauen in Führungspositionen und mehr Schutz für Frauen gegen Gewalt. Ich hoffe sehr, dass diejenigen, die jetzt den Kampf für die Frauenrechte entdeckt haben, dann auch noch an Bord sind.