Neue Osnabrücker Zeitung Manuela Schwesig: Wir brauchen eine neue Arbeitszeit für Familien

Neue Osnabrücker Zeitung: Frau Schwesig, Forscher haben 150 ehe- und familienpolitische Leistungen untersucht und sie zum Teil scharf kritisiert. Sie haben gesagt, es werde nicht alles so bleiben, wie es ist. Was wird sich denn nun ändern?

Manuela Schwesig: Mit dem neuen Kita-Gesetz gibt es mehr Geld für den Bau von Betreuungsplätzen. Zusätzlich gibt der Bund den Ländern durch die Bafög-Entlastung Geld, um die Qualität der Betreuung in den Kitas zu verbessern und um Ganztagsschulplätze zu bauen. Die Studie hat außerdem gezeigt, dass es Sinn macht, mit dem Elterngeld die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu unterstützen.

Neue Osnabrücker Zeitung: Und was wird aus dem umstrittenen Ehegatten-Splitting?

Manuela Schwesig: Die Studie kritisiert zu Recht, dass nicht jede Geldleistung bei den Familien ankommt. Es ist eine enorme steuerliche Förderung, die aber mehr als drei Millionen Familien gar nicht erreicht. Wir haben Paare mit und ohne Trauschein, Alleinerziehende, Patchwork-Familien, Regenbogen-Familien. Auch diese Familien müssen wir unterstützen. Es geht mir nicht darum, einen Kampf gegen die Ehe zu führen. Es geht darum, ein Modell für die Zukunft zu erarbeiten, bei dem steuerliche Förderung bei allen Familien ankommt.

Neue Osnabrücker Zeitung: Und was sagt der Finanzminister?

Manuela Schwesig: Finanzminister Wolfgang Schäuble und ich sind uns einig, dass wir die Untersuchung der Familienleistungen auswerten müssen. Ich möchte darüber sprechen, wie wir das Steuerrecht gerechter gestalten können, sodass die Unterstützung bei allen Familien ankommt. Die Zeit der ideologischen Grabenkämpfe sollte endlich vorbei sein.

Neue Osnabrücker Zeitung: Zur Verbesserung der Kita-Qualität haben Sie neue Bund-Länder-Gespräche angekündigt. Mit welchen Vorstellungen gehen Sie in diese Gespräche?

Manuela Schwesig: Ich möchte zuerst einmal erreichen, dass dieses Thema überhaupt auf der Tagesordnung steht. Dass Bund und Länder über Qualitätsaspekte in der Kinderbetreuung sprechen, gab es noch nie. Bisher wurde intensiv über die Zahl der Kitaplätze gesprochen, nie über die Qualität. Alle Länder bemühen sich um Verbesserungen der Betreuung, aber alle haben unterschiedliche Ausgangssituationen, was die Gruppengröße angeht oder auch die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern. Im Übrigen gibt es durchaus Spielraum für Verbesserungen, denn der Bund entlastet die Länder durch die Übernahme von Bafög-Zahlungen in Milliardenhöhe. Diese Chance sollten die Länder nutzen - so wie Niedersachsen klar sagt, wir werden mit diesem Geld eine dritte pädagogische Fachkraft in den Kitas finanzieren. Das ist der richtige Weg.

Neue Osnabrücker Zeitung: Die Bundesregierung hat eine "Allianz für Menschen mit Demenz" geschmiedet. Was können Betroffene und Angehörige erwarten?

Manuela Schwesig: Wir brauchen ein Bündel von Maßnahmen für die Betroffenen selbst, aber auch für deren Angehörige, die nicht nur unter der Krankheit selbst leiden, sondern in ihrem Alltag oft auch isoliert sind. Es sind jetzt schon 1,5 Millionen Menschen dement. Und wir rechnen in 2050 mit der doppelten Zahl. Mit der bereits im Kabinett beschlossenen Pflegereform von Gesundheitsminister Gröhe werden deshalb die allgemeinen Leistungen verbessert.

Neue Osnabrücker Zeitung: Aber das ist nicht alles...

Manuela Schwesig: Zudem wird es das neue Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Pflege und Beruf geben. Wenn plötzlich jemand pflegebedürftig wird, gibt es künftig eine zehntägige Auszeit mit Lohnersatzleistung, um zum Beispiel den Angehörigen nach Hause zu holen oder das richtige Pflegeheim zu suchen. Außerdem soll es künftig mit einem Rechtsanspruch möglich sein, bis zu sechs Monate aus dem Job auszusteigen oder die Arbeitszeit zu reduzieren - bis zu 24 Monate lang. Da besteht dann die Möglichkeit, ein zinsloses Darlehen zur finanziellen Unterstützung zu bekommen. Dritte Maßnahme ist, dass es vor Ort ein unterstützendes Angebot gibt. Wir werden 1250 Anlaufstellen schaffen in Deutschland, unter anderem in 450 Mehrgenerationen-Häusern.

Neue Osnabrücker Zeitung: Der Sozialverband VdK unterstützt Verfassungsbeschwerden, weil er der Ansicht ist, der Staat vernachlässige seine Schutzpflicht gegenüber Pflegebedürftigen. Zu Recht?

Manuela Schwesig: In den letzten Jahren haben sich die Probleme in der Pflege gehäuft, weil viel zu lange nichts getan worden ist. Viele, die in der Pflege tätig sind, sind hochgradig frustriert, weil sie zu wenig Zeit für die Patienten haben und auch noch schlecht bezahlt werden. Da kann ich die grundsätzliche Kritik an den bestehenden Zuständen sehr gut nachvollziehen. Andererseits ist die neue Bundesregierung bereits tätig geworden. So haben wir die erste Stufe der Pflegereform im Kabinett verabschiedet. Dadurch werden die Leistungen der Pflegeversicherung deutlich verbessert. In einem zweiten Schritt werden wir die Pflegebedürftigkeit neu definieren. Hinzu kommen das schon erwähnte neue Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Pflege und die gemeinsame Agenda der Bundesregierung mit den Kassen und den Kommunen zur besseren Versorgung von Dementen vor Ort. Es tut sich also einiges, um den Reformstau aufzulösen.

Neue Osnabrücker Zeitung: Heftige Kritik gab es auch an Ihren Plänen für eine Familienarbeitszeit, Stichwort 32-Stunden-Woche. Vor allem die Arbeitgeber haben Bedenken. Was sagen Sie den Kritikern?

Manuela Schwesig: Ich möchte junge Familien unterstützen. Vor allem die Rushhour zwischen dem 25. und 45. Lebensjahr, in der man seinen beruflichen Weg gehen will, sich gleichzeitig für Kinder entscheidet und dann vielleicht auch noch pflegebedürftige Eltern Hilfe erwarten, müssen wir entzerren. Die Wirtschaft betont zu Recht, dass es an Fachkräften mangelt und mehr Frauen, die oft sehr gut ausgebildet sind, einen Job übernehmen sollten. Dazu muss die Wirtschaft aber auch familienfreundlicher werden.

Neue Osnabrücker Zeitung: Was schwebt Ihnen vor?

Manuela Schwesig: Derzeit lösen es viele Paare so, dass der Mann Vollzeit und die Frau gar nicht arbeitet oder nur wenige Stunden. Dadurch hat die Frau ein niedriges Einkommen, schlechte berufliche Perspektiven und eine schlechte Rente. Gleichzeitig fehlen der Wirtschaft Arbeitskräfte. Deshalb sage ich: Wir brauchen eine neue Arbeitszeit für Familien. Das können 32 Stunden sein oder auch 35. Aber zweimal 32 ist doch auf jeden Fall mehr als einmal 40. Dieses Rechenmodell müsste jedem in der Wirtschaft aufgehen.

Neue Osnabrücker Zeitung: Sie starten Anfang kommenden Jahres das neu ausgerichtete Bundesprogramm "Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit". Wird es auch die neuen Herausforderungen durch islamistische Gewalttäter berücksichtigen?

Manuela Schwesig: Wir geben jetzt 30,5 Millionen Euro für das gesamte Programm aus, davon drei Millionen Euro für Projekte gegen Radikalisierungstendenzen auch im Bereich des Islamismus. Angesichts der vielen Probleme, die in den letzten Jahren sichtbar zugenommen haben in den Bereichen Rechtsextremismus, Antisemitismus, Islamismus, Radikalisierung werbe ich im Parlament für eine Aufstockung des Bundesprogramms. Wir können nicht zulassen, dass junge Leute, die in Deutschland aufgewachsen sind, in ein anderes Land gehen, um sich dem Terrorismus anzuschließen. Da müssen wir auch präventiv arbeiten.