Süddeutsche Zeitung Manuela Schwesig über die geplante Einführung der Familienpflegezeit

Manuela Schwesig, Bildnachweis: Bundesregierung / Denzel
Manuela Schwesig© Bildnachweis: Bundesregierung / Denzel

Süddeutsche Zeitung: Frau Schwesig, wie geht es Ihren Eltern?

Manuela Schwesig: Meine Eltern sind einerseits noch jung, meine Mutter 60, mein Vater 62 Jahre alt. Allerdings kann mein Vater, der viele Jahre schwer auf Baustellen gearbeitet hat, kaum noch laufen. Da fragen wir uns schon, wie geht es weiter, wenn es meinem Vater noch schlechter geht.

Süddeutsche Zeitung: Käme es für Sie infrage, Ihre Eltern eines Tages zu pflegen?

Manuela Schwesig: Ich möchte für meine Eltern da sein, erst recht, wenn es schwierig wird. Es geht da ja nicht nur um die medizinische Pflege, sondern auch um die Sorgearbeit. Dass man Zeit miteinander verbringt. Ich finde, ein Mix aus privater Pflege und professionellen Angeboten wie Tagespflege und ambulanten Pflegediensten wäre das Richtige.

Süddeutsche Zeitung: Sie sind ein typischer Vertreter der Sandwich-Generation. Kümmern sich jetzt um Ihr Kind, machen Karriere...

Manuela Schwesig: ...und in Gedanken ist man schon bei den Eltern!

Süddeutsche Zeitung: Spüren Sie diesen Druck von beiden Seiten?

Manuela Schwesig: Ich erlebe persönlich, was die Sandwich-Generation erlebt. Dass man sich Kinder wünscht, dass beide Partner im Beruf gefordert sind, und sich aber gleichzeitig die Frage stellt, wie man sich um seine Eltern kümmern kann. Das trifft vor allem die Frauen. Mein Mann und ich teilen uns die Erziehung unseres Sohnes, schmeißen zusammen den Haushalt. Er ist derjenige, der die Arbeitszeit reduziert hat, damit ich das Ministeramt ausfüllen kann. Das ist nicht überall so üblich. Meist sind es die Frauen, die das bewältigen müssen. Für die Frauen ist das eine massive Doppelbelastung - viele werden selbst krank aufgrund der hohen Anforderungen. Die Frauen und Männer der Sandwich-Generation sind Leistungsträger in unserer Gesellschaft, zahlen Steuern und leisten Sozialabgaben. Darum ist es wichtig, dass wir uns Gedanken machen, wie wir auch diese Generation entlasten können.

Süddeutsche Zeitung: Mit einer Auszeit vom Job. Ist das denn der richtige Weg? Immer weniger Menschen können und wollen selbst ihre Eltern pflegen. Braucht es nicht eher Angebote, damit ich weiter arbeiten und trotzdem für meine Eltern da sein kann?

Manuela Schwesig: Wir brauchen beides. Mit der Pflegereform wird ja gerade das Angebot von Kurzzeitpflege und Tagespflege ausgebaut. Das ist die Möglichkeit, dass die Eltern für eine Zeit in einer Einrichtung betreut werden, wenn man berufstätig ist. Die Familien brauchen aber noch weitere Unterstützung. Stellen Sie sich vor, der Vater hat einen Schlaganfall. Die Familie steht plötzlich vor der Frage: was nun? Künftig besteht für die Angehörigen die Möglichkeit, bis zu zehn Tage aus dem Job auszusteigen, um akut eine Lösung zu finden. Neu ist, dass diese zehn Tage finanziell unterstützt werden. Das ermöglicht allen - unabhängig vom Einkommen - sich zu kümmern. Das ist für mich eine Gerechtigkeitsfrage. Wir lassen die Familie nicht alleine.

Süddeutsche Zeitung: Das ist sicher hilfreich. Aber Sie ermöglichen auch, dass Arbeitnehmer über zwei Jahre ihre Arbeit auf 15 Stunden reduzieren und später wieder aufstocken dürfen. Ist das der richtige Anreiz? Wer Angehörige pflegt, wird häufiger krank und hat ein erhöhtes Armutsrisiko.

Manuela Schwesig: Sinn und Zweck ist ja nicht, dass einer über Jahre hundert Prozent aussteigt. Weil das eben bedeutet, raus aus dem Job, weniger Geld, weniger Rente. Die Unternehmen verlieren ihre Fachkräfte. Es geht darum, die überschaubaren Auszeiten zu unterstützen. Denn auf ein Arbeitsleben gerechnet sind es doch nur kurze Zeiten, die man mal mehr für seine Kinder braucht oder eben, um die Pflege der Eltern zu begleiten oder zu organisieren…

Süddeutsche Zeitung: Das kommt drauf an. Die Pflege kann auch mal sieben oder acht Jahre dauern.

Manuela Schwesig: Durchschnittlich sind Menschen etwa 3,5 Jahre pflegebedürftig. Die Rückkehrgarantie in den Job gilt für zwei Jahre, sie soll eine Unterstützung sein. Es ist möglich, dass sich mehrere Familienmitglieder die Pflege teilen: dass ich als Tochter die Familienpflegezeit in Anspruch nehme, und danach mein Bruder. Auch, um längere Pflegephasen abzudecken, um für den Angehörigen da zu sein. Das ist die Antwort für die Frauen. Es kann nicht sein, dass die Tochter alleine sieben Jahre pflegt und damit wieder alles bei der Frau liegt.

Süddeutsche Zeitung: Schöne Idee, de facto sind es aber meistens die Frauen, die pflegen.

Manuela Schwesig: Das Gesetz zielt jedenfalls darauf ab, dass mehrere Angehörige sich gemeinsam kümmern. Das müssen nicht nur die Kinder sein. Der Angehörigen-Begriff ist weit - wir haben nun weitere Lücken geschlossen: Künftig ist es möglich, eine Pflegeauszeit zu nehmen, wenn der Stiefvater oder die Stiefmutter, Schwager oder Schwägerin pflegebedürftig sind. Und: Die neuen Regelungen gelten auch für homosexuelle Paare, die nicht verheiratet sind.

Süddeutsche Zeitung: Ist es denn überhaupt noch zeitgemäß, die Pflege so stark auf Angehörigen abzuladen? Oder ist es vor allem billig für die Pflegeversicherung? Die Kassen haben ja deutlich geringere Kosten, wenn die Familie einspringt.

Manuela Schwesig: Der Wunsch vieler Menschen ist es, möglichst lange in den eigenen vier Wänden zu bleiben. Ich finde es deshalb wichtig, dass professionelle Pflege und Pflege durch die Familie unterstützt wird.

Süddeutsche Zeitung: Wem das Geld in der Pflegezeit knapp wird, der soll künftig ein zinsloses Darlehen beantragen können. Aber auch das muss man ja später wieder zurückzahlen. Ist das eine Regel für Besserverdiener?

Manuela Schwesig: Nein, das Darlehen soll helfen, den Verdienstausfall abzupuffern. Das nutzt gerade denen, die sich einen kompletten Verdienstausfall nicht leisten können. Und für die Pflegenden kann es in dieser Zeit ja auch Pflegegeld geben.
Süddeutsche Zeitung: Haben Sie schon mal über eine Art Elterngeld für die Pflege nachgedacht, also einen Verdienstausgleich für eine längere Zeit?

Manuela Schwesig: Ja. Die SPD hatte das in den Koalitionsverhandlungen vorgeschlagen. Aber das war nicht durchsetzbar. Wir haben uns dann mit der Union auf den Lohnersatz und das Darlehen geeinigt.

Süddeutsche Zeitung: Und künftig? Könnten Sie sich einen Lohnausgleich für pflegende Angehörige vorstellen?

Manuela Schwesig: Mir liegt als Ministerin erst mal am Herzen, dass dieses Gesetz ankommt. Dann schauen wir uns an, wie es weiterentwickelt werden muss. Wichtig ist, dass wir endlich anfangen, die Familien besser zu unterstützen.