Focus Manuela Schwesig: Meine Aufgabe als Ministerin ist es, die Familien zu unterstützen

Focus: Egal, wer regiert: Die Deutschen kriegen einfach nicht mehr Kinder. Die Geburtenrate stagniert bei 1,4. Sind Sie als Familienministerin traurig darüber?

Manuela Schwesig: Meine Aufgabe als Ministerin ist ja nicht, auf die Geburtenraten zu starren, sondern die existierenden Familien zu unterstützen.

Focus: Auch jene, die erst eine Familie werden wollen?

Manuela Schwesig: Ich unterstütze diejenigen, die sich Kinder wünschen. Wir müssen es ernst nehmen, dass auch Paare mit Kinderwunsch in Deutschland zunehmend keinen Nachwuchs bekommen.

Focus: Woran liegt das?

Manuela Schwesig: Viele Paare erleben massive Unsicherheit in der Arbeitswelt. Mehr als jeder zweite neu abgeschlossene Arbeitsvertrag ist befristet. Da fehlt vielen die Planungssicherheit. Befristete Jobs wirken wie die Anti-Baby-Pille. Es ist bitter, wenn Paare, die Kinder wollen, erst einmal keine Perspektive sehen.

Focus: Gibt es noch andere Gründe?

Manuela Schwesig: Es fehlen immer noch Ganztagesplätze zur Betreuung von Kindern. Mir erzählen viele Eltern, wie dankbar sie über den Kitaplatz waren. Aber wenn ihr Kind dann in die Schule kommt, macht die oft am Mittag dicht.

Focus: Was können Sie da tun?

Manuela Schwesig: Ich freue mich, dass wir diese Woche im Kabinett beschließen, die Mittel für den Kita-Ausbau um weitere 550 Millionen Euro auf eine Milliarde Euro aufzustocken. Auch hier liegt der Fokus auf dem Ausbau für Ganztagesplätze. Auch soll die Qualität verbessert werden - deshalb können von dem Geld auch Küchen und Sporträume eingerichtet werden.
Außerdem übernimmt der Bund die Bafög-Kosten der Länder. Die frei werdenden Mittel können somit in die Qualität der Kitas und den Ausbau der Ganztagsschulen investiert werden.

Focus: In vielen Berufen bleibt nur Teilzeit, wenn der Nachwuchs bis 16 Uhr irgendwo abgeholt werden muss.

Manuela Schwesig: Wichtig ist mir, dass Teilzeit keine Sackgasse sein darf. Die meisten Frauen wollen zügig nach der Geburt wieder einsteigen, aber eben keine volle Stelle übernehmen. Leider herrscht in vielen Betrieben der Irrglaube, dass nur jene Leistungsbereitschaft zeigen, die permanentverfügbar sind.

Focus: Was muss sich da in den Unternehmen ändern?

Manuela Schwesig: Meist sind gerade diejenigen, die sich neben ihrer Arbeit noch um Kinder oder pflegebedürftige Angehörige kümmern, wahre Organisationstalente. Sie dürfen nicht ins Abseits gestellt werden. Deshalbwird meine Kollegin Andrea Nahles im Bundesarbeitsministerium ja auch das Recht auf Rückkehr in Vollzeit verwirklichen.

Focus: Verprellen Sie mit zu vielen Vorschriften nicht gerade die Unternehmen, die sich freiwillig auf die Bedürfnisse von Familien ausrichten?

Manuela Schwesig: Manche machen das in der Tat schon vorbildlich, andere aber gar nicht. Wir brauchen da mehr Tempo. Es fordern ja glücklicherweise auch viele Männer mehr Zeit für die Familie ein. Viele wollen nicht nur zum Gutenachtkuss zu Hause sein. Deshalb werden wir mit dem neuen ElterngeldPlus den Paaren mehr Flexibilität bieten. Heute wollen die jungen Familien ja beides - eine gute Arbeit und Zeit für die Familie.

Focus: In diese Richtung geht auch Ihre Idee einer reduzierten Familienarbeitszeit für Kinder- und Pflegephasen, mit der Sie aber zunächst abgeblitzt sind. Sehen Sie dafür noch Chancen?

Manuela Schwesig: Aber natürlich. Ich freue mich sehr, dass die Wirtschaft wie der DIHK und die IG Metall meine Idee unterstützen. Fakt ist doch: Mütter arbeiten im Schnitt nur 19 Stunden in der Woche, Väter sind dagegen zu 96 Prozent in Vollzeit. Sie wollen oft weniger arbeiten, die Mütter meist mehr. Bei der Familienarbeitszeit würden beide zum Beispiel für eine gewisse Zeit 32 Stunden in der Woche arbeiten und bekämen von der Gesellschaft etwas dazu. Diese Rushhour des Lebens müssen wir entstressen.

Focus: Rushhour - der Stress, Familie und Beruf in Einklang zu bringen, interessiert Politiker oft wenig.

Manuela Schwesig: Deshalb mache ich es zu einem Thema. Es kann nicht sein, dass Frauen Vollzeit arbeiten, Kinder erziehen, den Haushalt schmeißen und sich um pflegebedürftige Angehörige kümmern. Meine moderne Familienpolitik setzt da auf Partnerschaftlichkeit. Ich finde, der Gesellschaft sollte es etwas wert sein, dass junge Paare arbeiten und Kinder erziehen. Sie zahlen doppelt in unsere Sozialsysteme ein. Deshalb verfolge ich meine Idee einer Familienarbeitszeit weiter. Sie belohnt diejenigen, die früher in den Job zurückkommen und sich die Familienarbeit gleichberechtigt teilen.

Focus: Wollen Sie solche Fiftyfifty-Lebensmodelle verordnen?

Manuela Schwesig: Um Gottes willen! Ich verordne überhaupt nichts. Wir leben in einem freien Land, wo jeder sich frei entscheiden kann. Die Familien haben unterschiedliche Bedürfnisse. Ich reagiere mit meiner Politik nur auf die Wünsche junger Eltern: 60 Prozent der jungen Paare mit Kindern unter drei Jahren wollen Jobs und Erziehung gleichberechtigt regeln. Nur 14 Prozent tun es. Es ist Aufgabe der Politik, gute Rahmenbedingungen zu schaffen.

Focus: Leben Sie dieses Modell selbst?

Manuela Schwesig: Ja, mein Mann und ich kümmern uns beide um unseren Sohn und den Haushalt. Mal tritt der eine beruflich zurück, mal der andere. Bislang klappt das auch ganz gut. Wir sind ja beide so aufgewachsen, dass die Berufstätigkeit beider Eltern akzeptiert war.

Focus: In Deutschland tobt seit Langem ein ideologischer Kampf, der im Nachbarland Frankreich Stirnrunzeln auslöst: Berufstätige Frauen mit Kindern werden oft als "Rabenmutter" und Hausfrauen als "Heimchen am Herd" abgeurteilt. Halten Sie es für schlecht, wenn sich Frauen ganz für die Arbeit zu Hause entscheiden?

Manuela Schwesig: Nein. Ich lehne kein Modell ab, bei dem es den Kindern gutgeht. Die Sehnsucht, viel Zeit mit den Kindern zu verbringen, kann ich gut nachvollziehen, auch aus persönlicher Erfahrung. Immer mehr Paare wünschen sich Zeit für die Familie, aber eben auch Zeit für den Beruf. Deshalb werbe ich für die Familienarbeitszeit.

Focus: Aber nicht mehr für die Hausfrau?

Manuela Schwesig: Auch dieses Lebensmodell akzeptiere ich natürlich. Allerdings sehe ich es als meine Pflicht an, im Interesse der Frauen darauf hinzuweisen: Wenn ihr euch für dieses Modell entscheidet, nehmt ihr auch handfeste Nachteile in Kauf. Es ist leider so, dass Frauen, die länger aus dem Beruf aussteigen, nur sehr schwer wieder reinkommen. Außerdem beziehen sie nur eine geringe Rente, und ihre Unterhaltsansprüche reichen im Falle einer Scheidung oft nicht aus, um die Existenz zu sichern.

Focus: Der Staat fördert Familien und Ehen mit rund 200 Milliarden Euro im Jahr. Demnächst wollen Sie verkünden, welche Konsequenzen Sie aus der wissenschaftlichen Evaluation der rund 160 familienpolitischen Leistungen ziehen. Worauf setzen Sie?

Manuela Schwesig: Über die Schlussfolgerungen müssen wir in der Koalition noch diskutieren. Aber es gibt schon Zwischenergebnisse, zum Beispiel, dass Zahl und Qualität der Kinderbetreuung wohl die höchste Auswirkung auf die Geburtenrate haben. Da setze ich einen Akzent meiner Amtszeit. Bislang wurde die Bildung und Förderung von Kindern während der ersten sechs Lebensjahre von der Politik vernachlässigt. Ich will die Infrastruktur für die Familien verbessern und ihnen mehr Zeit ermöglichen.

Focus: Welche Geldspritzen wollen Sie dafür abschaffen?

Manuela Schwesig: Wir brauchen für die Familien immer einen Mix aus Geld, Zeit und Infrastruktur. Das Kindergeld etwa halte ich für sehr wichtig. Es hilft gegen Kinderarmut. Familien mit niedrigem und mittlerem Einkommen sind auf das Kindergeld angewiesen. Zusätzliche Geldleistungen sollten wir auf diejenigen konzentrieren, die es am nötigsten haben: Eltern mit niedrigem Einkommen und Alleinerziehende.

Focus: Das Ehegattensplitting, sonst vielen aus Ihrer Partei ein Dorn im Auge, wollen Sie beibehalten?

Manuela Schwesig: Daran will ich bei allen, die bereits verheiratet sind, nicht mehr rütteln. Denn sie sollen sich aus Gründen des Vertrauensschutzes darauf verlassen können. Allerdings berücksichtigt das Ehegattensplitting viele Familien mit Kindern nicht. Das ist ungerecht. Es ist bedauerlich, dass wir uns mit dem Koalitionspartner nicht auf eine gerechtere Besteuerung der Familien einigen konnten.