Öko-Test: Sie sind erst 2003 in die SPD eingetreten, gut zehn Jahre später sind Sie Bundesministerin. Turbokarriere statt Ochsentour durch die Niederungen der Partei – mit welchen Attributen würden Sie Ihren Werdegang beschreiben? (Fleiß, Glück, Selbstvertrauen, Durchsetzungskraft, gutes Timing, die richtigen Mentoren)?
Manuela Schwesig: Ich habe den Glauben, etwas verändern zu können und den Mut, etwas verändern zu wollen. Das treibt mich an.
Öko-Test: Ihre politische Karriere wird gern mit dem Begriff der "Quote" (Frau, aus dem Osten etc.) in Verbindung gebracht. Wie sehr ärgert Sie das?
Manuela Schwesig: Zu Beginn meiner Karriere musste ich gegen viele Vorurteile ankämpfen. Inzwischen bin ich eine feste Größe in der Partei und nehme meine Verantwortung als Bundesministerien sehr ernst: Ich möchte eine moderne Gesellschaftspolitik für das 21. Jahrhundert machen.
Öko-Test: Sie haben an der FH für Finanzen studiert, etliche Jahre im Finanzamt gearbeitet. Sehr früh schon waren Sie aber innerhalb Ihrer Partei Sprecherin für Kinder-, Familien- und Frauenpolitik. Das erste Vernunft geleitet, das andere ein Herzensthema?
Manuela Schwesig: Ich wollte schon immer mit Kindern arbeiten und eigentlich Kinderheimerzieherin werden. Durch die Wende wurden meine ursprünglichen Pläne durcheinandergewirbelt. Ich habe dann erst einmal Abitur gemacht und war gut in Mathe, so kam ich zu meinem Finanzstudium. Und am Ende siegte dann doch die Familienpolitik. Ja, für mich ist das wirklich ein Herzensthema.
Öko-Test: Der Untertitel unseres ÖKO-TEST-Magazins heißt "Richtig gut leben". Bitte beschreiben Sie, was "Richtig gut leben" für Sie persönlich bedeutet!
Manuela Schwesig: Dass die Menschen wieder mehr Zeit für ihre Familie haben, dabei aber auch ihren Beruf nicht vernachlässigen möchten ist ein Wunsch, den ich mit vielen Eltern teile. Wenn eine gute Balance gelingt zwischen Beruf und Familie, dann ist das "Richtig gut leben".
Öko-Test: Dass es ein Spagat ist, Familienleben und Beruf zu vereinbaren, muss kaum noch erwähnt werden. Wie sieht dieser Spagat für Sie und Ihre Familie konkret aus?
Manuela Schwesig: Mein Mann und ich leben in dem gleichen Spagat wie viele andere Familien auch. Wir möchten unsere Jobs gut machen und Zeit für unsere Familie haben. Die Balance zu halten ist nicht immer leicht. Aber es gelingt mir und meinem Mann ganz gut, weil wir uns die Erziehungs- und die Hausarbeit partnerschaftlich teilen. Es gibt außerdem feste Freiräume für meine Familie. In der Regel hole ich mittwochs meinen Sohn von der Schule ab und der Nachmittag und der Abend gehören uns. Die Sonntage versuche ich frei von Politik zu halten, ebenso die Urlaube.
Öko-Test: Im Zusammenleben mit Kindern sind Unwägbarkeiten, Ausnahmesituationen an der Tagesordnung. Was, wenn Ihr Sohn Montag früh plötzlich Fieber hat?
Manuela Schwesig: Dann bleiben mein Mann oder ich zu Hause und kümmern uns um ihn. Solche Ausnahmesituationen kennen alle Familien aus ihrem Alltag nur zu gut. Klar ist: man kann nicht alles durchplanen und organisieren, man braucht in solchen Fällen Flexibilität - sowohl in der Familie, als auch vom Arbeitgeber.
Öko-Test: Wann haben Sie das letzte Mal in einem Erziehungsratgeber geblättert und in welchem?
Manuela Schwesig: Erst kürzlich habe ich mich durch die Broschüre "Flimmo- Fernsehen mit Kinderaugen" über kindgerechte Filme und Internetseiten informiert. Meiner Meinung nach müssen Eltern ihre Kinder im Medienumgang begleiten, indem sie auf altersgerechte TV-Sendungen, Computerspiele, Webseiten und Apps achten und sich auch über Sicherheitseinstellungen informieren. Viel wichtiger als die Dauer des Medienkonsums der Kinder ist doch die Frage, welche Sendungen schauen sie im Fernsehen und welche Seiten besuchen sie im Internet.
Öko-Test: Sie haben einen siebenjährigen Sohn. Wenn Sie an Ihre Kindheit zurückdenken – was sind die größten Unterschiede zwischen Ihrer eigenen Erziehung und der Ihres Kindes?
Manuela Schwesig: Ich glaube, als Kinder hatten wir früher mehr Freiräume und standen nicht unter einem solchen Leistungsdruck wie die Kinder heute. Auf der anderen Seite habe ich den Eindruck, dass Kinder sehr viel behüteter aufwachsen als früher.
Sicherlich haben sich die Erziehungsstile im Laufe der Zeit verändert: Heute ist die Erziehung stärker auf Aushandeln und Erklären ausgerichtet. Das Kind wird in seinen Bedürfnissen und Gefühlen geachtet. Was nicht bedeutet, dass es nicht auch klare Grenzen gibt und geben muss.
Öko-Test: Zeit am Computer oder vorm Fernseher, Schlafenszeit, Süßigkeitenkonsum – wer von Ihnen ist Verhandlungsführer gegenüber Ihrem Sohn?
Manuela Schwesig: Nun haben wir keinen Fernseher zu Hause, so dass sich das Problem hier nicht stellt (lacht). Ansonsten versuchen mein Mann und ich, gemeinsame Regeln aufzustellen. Dass es Süßigkeiten zum Beispiel erst am Nachmittag gibt und dass Zähneputzen vor dem Zubettgehen nicht verhandelbar ist. Kinder brauchen klare Regeln und Grenzen. Dabei ist wichtig, dass die Regeln nicht beliebig sein dürfen. Heute so und morgen anders. Wir haben bei uns zu Hause wenige Regeln, aber die versuchen wir konsequent einzuhalten.
Öko-Test: Wie verhält sich Ihr Sohn, wenn Sie nach längerer Abwesenheit wieder nach Hause kommen?
Manuela Schwesig: Er freut sich, dass ich da bin. Und dann gilt meine gesamte Aufmerksamkeit auch meiner Familie.
Öko-Test: Sie machen sich für den Ausbau von Ganztagsschulen und perspektivisch auch für Ganztagskitas stark. Was entgegnen Sie Kritikern, die sagen, dass Eltern damit den Erziehungsauftrag zunehmend dem Staat überlassen?
Manuela Schwesig: Eltern geben ihre Erziehungsverantwortung nicht an der Kita- oder Schultür ab. Familien sind wichtig für die Persönlichkeits- und Charakterbildung, für das Entstehen von Vertrauen und Bindung. Auf der anderen Seite profitieren Kinder sehr, wenn sie Zeit mit Gleichaltrigen in der Kita oder der Schule verbringen. Das sehen mein Mann und ich bei unserem Sohn. Er war in der Kita und besucht heute nach der Schule den Hort. Wir haben damit sehr gute Erfahrungen gemacht.
Auch die Eltern profitieren von guter Kinderbetreuung: Sie soll Mütter und Väter dabei unterstützen, dass sie Familie und Beruf besser vereinbaren können. Dass sie nicht mehr länger vor der Wahl stehen "entweder Arbeit oder Familie". Viele Familien wünschen sich genau das: Zum einen Zeit für die Familie zu haben aber eben auch, ihren Beruf weiter ausüben zu können.
Öko-Test: Auch Ihre Kabinettskollegen wie Sigmar Gabriel, Andrea Nahles und Ursula von der Leyen haben Kinder, legen Wert auf feste Zeiten mit der Familie und arbeiten zum Teil vom heimischen Büro aus. Wenn das in einer Regierung möglich ist – warum ist es in der Wirtschaft nicht schon viel selbstverständlicher?
Manuela Schwesig: Weil in vielen Unternehmen eine starke Präsenzkultur herrscht. In vielen Unternehmen gilt: Nur wer ständig präsent ist, gilt als Leistungsträger. Wer mehr Zeit mit der Familie verbringen möchte, wird als Weichei gesehen. Gerade bei Männern ist das oft so.
Aber zwischenzeitlich scheinen immer mehr Unternehmen die Zeichen der Zeit erkannt zu haben. Denn den meisten Eltern sind familienfreundliche Angebote genauso wichtig wie die Höhe des Gehalts. Darauf reagieren die Unternehmen nun langsam. Doch trotz dieser insgesamt positiven Entwicklung gibt es noch viel Luft nach oben. Gerade für Frauen und Männer in Fach- und Führungspositionen ist es nach wie vor schwierig, Beruf und Familie zu vereinbaren und genug Zeit für ihre Kinder zu haben. Daher gehört für mich die Förderung einer familienfreundlichen Arbeitswelt weiterhin ganz oben auf die Agenda. Die Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt, flexible Arbeitszeiten und ein bedarfsgerechtes Angebot an Betreuungsplätzen sind der Schlüssel, um Familien den Rücken zu stärken.
Öko-Test: Seien Sie mal ehrlich: Wenn eine für Sie wichtige Mitarbeiterin schwanger
wird und dann Teilzeit arbeiten will: Ist das wirklich gar kein Problem für Sie?
Manuela Schwesig: Nein. Im Gegenteil. Ich finde es schwierig, dass es als Problem angesehen wird, wenn sich ein Kind ankündigt. Das ist doch etwas ganz Tolles! Dem muss sich alles andere unterordnen.
Natürlich muss die Arbeit umorganisiert werden, wenn eine Mitarbeiterin nach der Geburt eines Kindes eine Zeitlang nicht an ihrem Arbeitsplatz ist und danach wieder in Teilzeit arbeiten möchte. Aber ich bin überzeugt, dass das auch machbar ist.
Öko-Test: Würden Sie sich persönlich wohlfühlen, wenn Sie wüssten, dass Sie einen bestimmten Job nur der Quote wegen bekommen haben?
Manuela Schwesig: Mit diesem Argument versucht man, Frauen ein schlechtes Gewissen einzureden. Die Quote ist lediglich ein Instrument, damit die hervorragend qualifizierten Frauen in Deutschland die gläserne Decke durchbrechen können und Führungspositionen übernehmen. Freiwillige Vereinbarungen und Initiativen in der Vergangenheit haben einfach zu wenig bewirkt. Wenn Sie sich vor Augen führen, dass der Frauenanteil bei den Hochschulabsolventen in vielen Fächern den Männeranteil weit übersteigt und dass der Frauenanteil in den Vorständen der 200 größten Unternehmen in Deutschland bei unter fünf Prozent liegt, in den Vorständen der DAX-30 Unternehmen sogar wieder rückläufig ist, bleibt uns kein anderer Weg. Im Übrigen ist längst bewiesen, dass gemischte Teams gerade in der Wirtschaft besonders erfolgreich sind. Deswegen braucht sich keine Frau in einer Führungsposition unwohl zu fühlen, wenn sie durch eine Quote dorthin gelangt ist. Denn sie ist aufgrund ihrer guten Qualifikation dahin gekommen. Frauen sollten vielmehr das Selbstbewusstsein haben und die Quote einfordern.
Öko-Test: Dass eine Frau und Mutter eine so steile Karriere macht wie Sie, ist hierzulande noch immer die große Ausnahme. Welchen Preis zahlen Sie persönlich dafür?
Manuela Schwesig: Immer wieder diese Frage gestellt zu bekommen (lacht). Ich liebe meine Familie und meinen Job. Für mich gehört beides zusammen. Ich zahle keinen Preis, im Gegenteil. Ich empfinde es als ein Geschenk eine gesunde Familie zu haben und als eine große Chance, unsere Gesellschaft mitzugestalten. Auch wenn es mich manchmal viel Kraft kostet.