Bild am Sonntag: In Deutschland fehlen für eine gute Kinderbetreuung 120.000 Erzieher, hat die Bertelsmann-Stiftung errechnet. Was tut die Bundesregierung?
Manuela Schwesig: Der Bedarf an Kitaplätzen, besonders mit Ganztagesbetreuung, steigt ständig und es gibt immer noch Eltern, die leer ausgehen. Deshalb stocken wir in dieser Legislaturperiode die Mittel zum Kitaausbau auf eine Milliarde Euro auf. Wir wollen mehr Kitaplätze schaffen und modernisieren. Mit einem Gesetz, das diesen Monat im Kabinett verabschiedet wird, legen wir den Schwerpunkt auf Ganztagskitas. Von dem Geld sollen auch Küchen und Sporträume gebaut werden. Außerdem geben wir jedes Jahr 800 Millionen Euro für Betriebskosten aus und damit auch für Qualität. Zusätzlich fließen 120 Millionen Euro pro Jahr in die gezielte Sprachförderung. Davon profitieren bundesweit 4.000 Kitas.
Bild am Sonntag: Reicht das?
Manuela Schwesig: Wir brauchen eine Debatte in Deutschland, wie viel uns die frühkindliche Bildung wert ist. Dazu gehören ein guter Personalschlüssel mit Fachkräften, gute Bezahlung und eine Überprüfung der Gebühren, die viele Eltern belasten. Ich möchte mit den Ländern Gespräche über die Verbesserung der Qualität in den Kitas führen, im November gibt es dazu die erste Konferenz. Leider konnten wir uns in den Koalitionsverhandlungen mit der Union und den Ländern nicht auf ein Qualitätsgesetz einigen. Auch, weil es sehr teuer ist. Allein ein bundeseinheitlicher Personalschlüssel von einer Erzieherin auf vier Kinder in der Krippe kostet pro Jahr 1,6 Milliarden Euro. Wir müssen darüber reden, was zur Qualität gehört und wie wir es bezahlen.
Bild am Sonntag: Was erwarten Sie von den Ländern?
Manuela Schwesig: Der Bund entlastet die Länder mit der Übernahme der Bafög-Kosten um eine Milliarde Euro jährlich. Niedersachsen steckt diese freien Mittel in mehr Kita-Personal. Es ist absurd, dass dies den Ländern verboten werden soll. Bildung beginnt in der Kita. Das muss die Bildungspolitik in Deutschland endlich erkennen.
Bild am Sonntag: Warum wird der frühkindlichen Bildung ein so geringer Stellenwert beigemessen?
Manuela Schwesig: In den letzten Jahren ging es ja vor allem um den Bau von Kitaplätzen, weniger um die Qualität. Das möchte ich verändern. Da stehen wir gerade am Anfang der Diskussion. Mein Sohn ging selbst in eine Ganztagskita. Auch wenn dort der Personalschlüssel noch nicht optimal war, habe ich gesehen, wie viel Förderung in der Kita passiert. Definitiv habe ich meinen Sohn mit einem guten Gefühl in die Kita gegeben. Trotzdem müssen wir die frühkindliche Bildung mit mehr Fachkräften stärken. Es ist nicht egal, wer Kinder betreut.
Bild am Sonntag: Die Wirtschaft gibt den Kitas die Schuld am Frauenmangel in den Chefetagen. Wegen der kurzen Öffnungszeiten könnten viele Mütter nicht Vollzeit arbeiten. Der DIHK verlangt, dass die Politik für ein passendes Betreuungsangebot sorgt. Mit Recht?
Manuela Schwesig: Richtig ist, dass wir mehr Ganztagsplätze brauchen. Gerade für bestimmte Branchen, etwa für Menschen, die im Schichtdienst arbeiten wie im Krankenhaus oder in der Pflege ist es wichtig, dass wir auch Randzeitenangebote haben. Es hat aber auch alles seine Grenzen: Es darf nicht verlangt werden, dass wir nur noch Rundum-die-Uhr-Kitas anbieten, damit die Leute 24 Stunden pro Tag dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Die Arbeitswelt kann nicht erwarten, dass die Familien immer flexibler werden. Es muss umgekehrt sein: Die Wirtschaft muss sich auch endlich den Bedürfnissen der Familien anpassen.
Bild am Sonntag: Das Deutsche Jugendinstitut hat ermittelt, dass Eltern mit geringer Bildung und Migrationshintergrund das Betreuungsgeld überproportional in Anspruch nehmen. Ist das Betreuungsgeld bildungspolitisch also falsch?
Manuela Schwesig: Diese Studie bestätigt meine Skepsis und Kritik am Betreuungsgeld. Leider konnten wir uns in den Koalitionsverhandlungen nicht mit der Union darauf verständigen, das Betreuungsgeld abzuschaffen und das Geld stattdessen in die Kita-Qualität zu stecken. Wir werden uns die Auswirkungen des Betreuungsgeldes weiter anschauen. Zudem wird es eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Zukunft des Betreuungsgeldes geben.