BUNTE Lisa Paus: "Gewalt gegen Frauen hat nichts mit Liebe zu tun."

Bundesfamilienministerin Lisa Paus sitzt in einem Stuhl
Bundesfamilienministerin Lisa Paus© Lawrence Chaperon

BUNTE: Frau Ministerin, darf ich Ihnen ein paar Sätze von mörderischen Männern vorlesen, die sich vor Gericht so rechtfertigen? "Sie war keine gute Frau."; "Sie hat mich provoziert."; "Meine Frau hat mich rasend gemacht."; "Es war Mord aus Liebe."

Lisa Paus: Das ist absurd. Mord aus Liebe gibt es nicht. Gewalt hat nichts mit Liebe zu tun, sondern mit Macht. Solche Taten nenne ich Femizide. Frauen werden umgebracht, weil sie Frauen sind und zu einem Ding, einer Sache degradiert werden. Noch immer glauben viel zu viele Männer, dass Frauen ihnen gehören.

BUNTE: Ist der Begriff Femizid endlich in der Politik angekommen? Seit 2020 steht er im Duden.

Lisa Paus: Wenn Innenministerin Nancy Faeser und ich ihn verwenden, dann ist das so. Von einer "Familientragödie" oder einem "Eifersuchtsdrama" zu reden, ist völlig verfehlt. Das ist eine krasse Verharmlosung, bei der die Verantwortung des Täters im Dunkeln bleibt. Nahezu jeden dritten Tag wird eine Frau von einem Mann umgebracht. Jede Stunde werden in Deutschland durchschnittlich 13 Frauen Opfer von Gewalt durch ihren Partner oder Ex-Partner, alle sechs bis sieben Minuten verzeichnet die Statistik einen gewaltsamen Übergriff auf Frauen. Die Dunkelziffer ist ungleich höher.

BUNTE: Ist die Familie der gefährlichste Ort für Frauen? Und nicht der böse Fremde?

Lisa Paus: Das ist leider tatsächlich so. Das Patriarchat lebt auch in Deutschland. Männer sind oft gekränkt und ertragen es nicht, wenn Frauen sie verlassen wollen. Dabei ist das ein Menschenrecht. Bis in die Neunzigerjahre war Vergewaltigung in der Ehe straffrei, Friedrich Merz hat damals im Bundestag noch gegen die überfällige Reform gestimmt. Heute sind wir da deutlich sensibler, auch durch die #MeToo-Debatte.

BUNTE: Was tun Sie gegen diese fürchterlichen Zahlen?

Lisa Paus: Wir wollen mit den Ländern die Zahl der Frauenhäuser und Beratungsstellen deutlich ausbauen. Auch auf dem flachen Land muss Hilfe überall erreichbar sein. 6500 Plätze gibt es derzeit in Frauenhäusern, es wird geschätzt, dass man 20.000 braucht. Es kann doch nicht sein, dass in einem reichen Land wie Deutschland Frauen abgewiesen werden. So etwas darf es natürlich nicht geben. Seit diesem Jahr gilt die Istanbul-Konvention endlich auch in Deutschland vollständig, auch auf Druck meiner Partei. Ich bin auch gegen die gängige Praxis, dass meist die Frauen aus der gemeinsamen Wohnung flüchten, obwohl der Grundsatz "Wer schlägt, der geht" seit mehr als 20 Jahren im Gewaltschutzgesetz und in den Polizeigesetzen verankert ist. Täterarbeit ist auch wichtig: Die Volkssolidarität in Berlin zum Beispiel berät Männer, wie sie aus der Gewaltspirale aussteigen können.

BUNTE: Es gibt die Vorstellung, dass nur Menschen aus bildungsfernen Schichten Frauen schlagen. Ein Klischee?

Lisa Paus: Leider ja. Männer aus allen Schichten schlagen Frauen. Gewalt gegen Frauen gibt es keineswegs nur am Rand der Gesellschaft, sondern auch in der Mitte, das zieht sich durch alle Milieus und Gruppen. Die Vorstellung, dass die Frau mir gehört, steckt immer noch in vielen herrischen Köpfen, der Machismo lebt. Wissen Sie, ich komme vom Dorf, aber auch da gibt es keine heile Welt. Eine Freundin von mir hat einen Hilfsverein gegen Gewalt gegründet, weil so viel unter den Teppich gekehrt wird. Das gibt es auf dem Land und in der Stadt, hinter vielen Haustüren, denen man von außen nicht ansieht, was dahinter passiert. Es kann jede Frau treffen.

BUNTE: Sind uns andere Länder voraus?

Lisa Paus: In Spanien bekommen die Täter eine elektronische Armbinde, die Polizisten und Frauen warnt, wenn sich die Täter wieder nähern. Die Femizid-Zahlen wurden damit halbiert. In Frankreich gibt es Demos gegen Männergewalt. Mit der französischen Gleichstellungsministerin tausche ich mich regelmäßig aus, wir setzen klare Signale. Mein Ziel ist es, auch in Deutschland die Zahlen zu reduzieren, aber derzeit müssen wir daran arbeiten, dass es nicht schlimmer wird. Es liegt noch vieles im Argen.

BUNTE: Ein Beispiel dafür?

Lisa Paus: Bei uns in Deutschland spielt Gewalt gegen Frauen im Umgangs- und Sorgerecht kaum eine Rolle, das finde ich unmöglich. Gerade der Moment, wenn der Mann die Kinder übernimmt, kann hochgefährlich sein. Die derzeitigen Regelungen funktionieren da im Ernstfall nicht. Frauen und die Kinder müssen besser geschützt werden. Das sagt sich leicht. Wenn ein Mann zu seiner Frau sagt "Ich bringe dich um" passiert meist gar nichts. Bis er nach der Drohung zur Tat schreitet. Die Frau kann ihn anzeigen. Eigentlich bräuchte sie Polizeischutz, aber den können wir nicht für jede Frau bereitstellen. Wenn eine Frau bedroht wird, ist es wichtig, dass alle, die das bemerken, einschreiten. Gewalt ist keine Privatangelegenheit. Wenn wir wegschauen, geht es immer weiter.