Mit FOCUS sprach Bundesfamilienministerin Kristina Schröder über den Unternehmenswettbewerb "Erfolgsfaktor Familie 2012" und betonte die Bedeutung von familienfreundlichen Arbeitgebern.
FOCUS: Haben Sie seit der Entbindung von Ihrer Tochter einen neuen Blick auf die Bedürfnisse von berufstätigen Müttern und Vätern?
Kristina Schröder: Eigentlich nicht, denn ich war schon lange vorher mit dem Thema konfrontiert, bei meinem Bruder, meinen Freundinnen, und auch als Abgeordnete. Da hatte ich drei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ständig wurde jemand Mutter oder Vater. Was meinen Tagesablauf angeht, hatte ich noch nie einen Hang zu Präsenzritualen. Seit ich Mutter bin, gehe ich aber noch sorgfältiger mit der Zeit um, die ich nicht mit meiner Familie verbringen kann. Da überlege ich mir noch genauer, ob dieser oder jener abendliche Empfang meine Anwesenheit erfordert.
FOCUS: Kommende Woche eröffnen Sie mit Arbeitgeberpräsident Hundt den Wettbewerb Erfolgsfaktor Familie. Unternehmen können sich mit familienfreundlichen Konzepten bewerben. Woran hapert es denn?
Kristina Schröder: Jedes Unternehmen kann etwas tun. Der größte Missstand sind immer noch allzu starre Arbeitszeiten. Da bedarf es noch größerer Flexibilität. Anderseits wurde viel erreicht. Gestandene Unternehmer sagen mir oft, dass sie jetzt manches besser verstehen, was sie noch vor 15 Jahren für Unsinn hielten. Zum Beispiel wird jetzt öfter anerkannt, dass Teilzeitkräfte pro Stunde effizienter sind als Vollzeitmitarbeiter. Wer pünktlich gehen muss, arbeitet nämlich Dinge auf den Punkt ab.
FOCUS: Die Kanzlerin fungiert als Schirmherrin des Wettbewerbs - warum ist Angela Merkel dieses Thema wichtig?
Kristina Schröder: Obwohl die Bundeskanzlerin sicher mit die härtesten Arbeitszeiten in ganz Deutschland hat, bekommt auch sie in ihrem eigenen Umfeld direkt mit, wie wichtig die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist. Das Thema ist ihr ein inneres Anliegen.
FOCUS: Was verlangen Sie von den Unternehmen, um Müttern und Vätern den Spagat zwischen Job und Kindern zu erleichtern?
Kristina Schröder: Ich wünsche mir, dass Firmen ihre Mitarbeiter dazu ganz direkt befragen. Vielen würden Betreuungsangebote für die Kinder während der langen Schulferien helfen. Andere bräuchten ein Mutter-Kind-Arbeits-Zimmer, so dass sie ihr Kind im Krankheitsfall auch mal einen Tag zur Arbeit mitbringen könnten. Genauso wichtig ist für mich, dass bis zur Spitze eine Kultur des Respekts für familiäre Verpflichtungen vorgelebt wird. Zum Beispiel indem auch männliche Chefs und Angestellte sich ganz offen dazu bekennen, dass sie pünktlich aus der Firma müssen, um rechtzeitig mit den Kindern beim Laternenumzug zu sein.
FOCUS: Bei mehr als der Hälfte der Kinder von Paarfamilien arbeiten beide Eltern. Haben Politik und Wirtschaft diese Entwicklung allzu lange verschlafen?
Kristina Schröder: Insgesamt gibt es noch eine Menge zu tun. Auf die Doppelbelastung der Mütter durch Familie und Beruf wird immer noch zu wenig Rücksicht genommen. Und Väter, die sich intensiver um ihre Kinder kümmern wollen, bekommen zu oft im Betrieb den Looserstempel aufgedrückt.
FOCUS: Könnten wir da von Skandinavien lernen?
Kristina Schröder: Kürzlich hatte ich Besuch von Audun Lysbakken, dem norwegischen Minister für Gleichstellung. Er hatte gerade Vätermonate genommen und vermittelte mir sehr überzeugend, dass in seinem Land in diesem Punkt eine andere Kultur der Gleichberechtigung herrsche. Vor allem sind die Norweger weiter, was die Abkehr von beruflichen Präsenzritualen angeht. Dafür können wir kein Gesetz machen, aber wir können und müssen für eine andere Mentalität werben.
FOCUS: Ihre Kollegin von der Leyen wirbt dafür, nicht berufstätige Mütter für den Arbeitsmarkt zu gewinnen. Richtig so?
Kristina Schröder: Die richtige Ausgangsfrage lautet doch: Was wollen die Frauen, was wollen die Familien? Ich stehe für eine Politik, die den Familien Optionen eröffnet. Wir Politiker sollten nicht vorgeben, wie sich Familien am besten organisieren.
FOCUS: Vollzeitmütter sind also kein Auslaufmodell?
Kristina Schröder: Ganz und gar nicht. Manche Leute stellen ja eine Krippenbetreuung für unter Dreijährige als prinzipiell besser dar als eine Betreuung zu Hause. Ich finde, das ist gegenüber den Familien eine Unverschämtheit. Mein politisches Ziel ist es deshalb nicht, das so viele Kleinkinder wie möglich in eine Kita gehen. Mein Ziel ist es, dass jeder, der einen Kitaplatz braucht, diesen auch bekommt. Da unterscheiden wir uns prinzipiell von Rot-Rot-Grün.
FOCUS: Was uns zum Streit um das Betreuungsgeld bringt... Mit welchem Konzept wollen Sie Eltern gerecht werden, die Ihr Kleinkind primär zu Hause betreuen wollen?
Kristina Schröder: Wir arbeiten gerade an einer Lösung, mit der alle Parteien der Koalition leben können. Entscheidend dabei sollte nicht sein, ob das Kind eine Kita besucht oder nicht, sondern in welchem Maße Eltern zugunsten ihrer Kinder beruflich zurück stehen.
FOCUS: Das klingt wie ein verlängertes Elterngeld. Ist das angesichts leerer Kassen vertretbar?
Kristina Schröder: Weder der aktuelle Familienhaushalt noch meine Vorstellungen sind überdimensioniert. Schon beim Elterngeld haben wir gezeigt, dass wir sorgsam mit unserem Geld umgehen statt auf bloßes Umverteilen zu setzen. Ich verteidige meine Familienpolitik gegen zwei Seiten: Gegen die SPD, die mit ihren Forderungen zur Reduzierung des Kindergelds derzeit mal wieder Klassenkampf betreibt. Und gegen diejenigen auch aus der Regierungskoalition, die das Elterngeld in Frage stellen, ohne sich klarzumachen, dass dann in vielen Familien beide Elternteile schon nach zwei Monaten wieder gezwungen wären, zu arbeiten.
Das Interview erschien in FOCUS 41/11 am 10. Oktober. Das Gespräch führte Ulrike Plewnia.