Interview mit Ursula von der Leyen im Deutschlandfunk zum Thema "Elterngeld"

Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen konkretisierte im Interview mit dem Deutschlandfunk die Planungen zum Elterngeld.

Deutschlandfunk: Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) rechnet bei der Einführung des einkommensabhängigen Elterngeldes nicht mit einem Veto des Bundesverfassungsgerichts. Der Staat stärke mit dem Elterngeld jenen Vätern den Rücken, die gerne Elternzeit nehmen wollen. Zum Vorwurf, alleinerziehende Nichterwerbstätige würden durch die Neuregelung weniger Geld erhalten, erwiderte von der Leyen, hier müsse noch genau gerechnet werden.

Ursula von der Leyen: Wir erarbeiten zurzeit im Haus Eckpunkte, und ich denke, wir sind auf dem Weg zu einer guten Lösungen. Bei kleinen Einkommen müssen wir uns am gemeinsamen Familieneinkommen orientieren, damit diese Familien ein angemessenes Mindestelterngeld erhalten. Ich denke, diese soziale Komponente muss sein. Bei mittleren und höheren Einkommen ersetzt das Elterngeld den Einkommensverlust bei dem Elternteil, der das Kind betreut. Das heißt ja im Normalfall, wenn die Familie wächst, dann fällt ja gerade ein Einkommen weg, und das soll ersetzt werden. Um zwei Zahlen zu nennen, es sind 67 Prozent des wegfallenden Einkommens, die ersetzt werden, aber nicht mehr als 1.800 Euro im Monat.

Deutschlandfunk: Jetzt hört man vom Koalitionspartner und auch von der Opposition das Argument gegen das Modell, beide Einkommen zugrunde gelegt, durch Zwei geteilt, Sie würden damit Frauen ermutigen, in der Hausfrauenrolle zu bleiben. Das ist eines der Argumente dagegen. Weshalb trifft es nicht zu aus Ihrer Sicht?

Ursula von der Leyen: Es trifft nicht zu, denn es gibt ja einen hohen Anreiz, ein eigenes Einkommen zu haben, denn natürlich ist das Elterngeld höher, wenn ein eigenes höheres Einkommen wegfällt nach der Geburt eines Kindes, und auch ganz klar ist das Signal, dass am Ende des ersten Lebensjahres dann die Gesellschaft davon ausgeht, dass Menschen das Einkommen für die Kinder selbständig verdienen, Mutter wie Vater. Also ich denke, hier ist kein Anreiz für "zu Hause bleiben oder nicht", sondern eher umgekehrt, einfach das starke Signal, der Gesellschaft zu sagen, es ist uns nicht gleichgültig, ob sich Menschen für ein Kind entscheiden, und deshalb gleichen wir am Lebensanfang den Einkommensverlust aus.

Deutschlandfunk: Bei Alleinerziehenden, nicht Erwerbstätigen wird die Sozialhilfe auf das Elterngeld angerechnet. Da klagen jetzt Betroffene darüber, dass sie dann am Ende weniger Geld haben werden als bisher. Welche Fälle sind das?

Ursula von der Leyen: Wir müssen hier noch genau rechnen. Wir sind am Anfang der Eckpunkte, aber uns ist wichtig, dass das Mindestelterngeld so konstruiert ist, dass Eltern eben nicht oder Alleinerziehende vor allem nicht in Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe fallen. Wir haben inzwischen ganz interessante Studien vorliegen, die gerade zeigen, Elterngeld hilft vor allem Alleinerziehenden und Geringverdienern, denn die Situation heute ist ja, dass eine junge Frau, ich nehme mal an, sie hat einen Freund, sie wird schwanger, er sagt, entweder Kind oder ich, sie ist doch heute in der Situation, wenn sie ihn dann in die Wüste schickt und sich für das Kind entscheidet, dass sie von Sozialhilfe leben muss und noch 300 Euro Erziehungsgeld hat. In Zukunft wird es so sein, wenn sie einen Beruf vorher ausgeübt hat, dass sie Teile ihres Einkommens, nämlich zwei Drittel, ersetzt bekommt, und das ist meines Erachtens auch ein ganz wichtiges Zeichen für Kinder und Erwerbstätigkeit.

Deutschlandfunk: Sie sagen, Sie rechnen noch. Das heißt, Sie werden ausschließen, dass es solche Fälle gibt, wo jemand später schlechter stehen wird als bisher?

Ursula von der Leyen:
Das kann ich nicht ausschließen, bevor wir nicht mit den Rechnungen fertig sind, und das wird etwa in zwei, drei Monaten der Fall sein, wenn dieses Elterngeld in das parlamentarische Verfahren eingebracht wird. Entscheidend ist, dass das Elterngeld wirklich auch einen Teil des wegfallenden Einkommens ersetzt. Ich glaube, das müssen wir als Grundprinzip akzeptieren. Es ist nicht dazu da, das sind andere Systeme, die dazu da sind, insgesamt das Einkommen von Menschen zu bestimmen oder zu finanzieren. Also dafür sind Systeme wie die Sozialhilfe oder das Arbeitslosengeld II da. Nein, uns geht es eben darum, zu sagen, nur weil ein Kind geboren ist und weil deshalb die junge Mutter oder der junge Vater eingeschränkt ist in ihrer Erwerbstätigkeit, deshalb ersetzen wir hier ein ausfallendes Einkommen.

Deutschlandfunk: Ein dritter Punkt in der Diskussion ist die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung, denn die Zahlung des elften und zwölften Monatselterngeldes ist daran gekoppelt, dass zum Beispiel der Vater zu Hause bleibt, wenn er es bis dahin nicht getan hat. Kritiker sehen das als verfassungsrechtlich problematisch an. Was macht Sie sicher, dass das Gesetz vor den Karlsruher Richtern Bestand haben würde?

Ursula von der Leyen: Es gibt inzwischen maßgebliche Stimmen, die sagen, das wäre durchaus verfassungsgemäß, und ich glaube, auch wenn man kein Volljurist ist, der gesunde Menschenverstand sagt uns doch, wenn es, sagen wir, zehn Monate immer gibt, unabhängig davon, wer das Kind betreut, und dann gibt es zwei Monate zusätzlich, dann darf der andere Partner übernehmen, er muss nicht, er darf. Also war die Mutter anfangs zu Hause, sind die zwei Zusatzmonate für den Vater reserviert. Das ist ja eine Förderung, die auf Freiwilligkeit besteht, und wer gerne diese Vaterrolle übernehmen will, der bekommt dann, anders als heute, auch einen Teil seines wegfallenden Einkommens ersetzt. Wir stärken meines Erachtens damit den Vätern den Rücken, die gerne Elternzeit nehmen wollen. Wir wissen aus Untersuchungen, dass über die Hälfte der Männer unter 44 Jahren gerne Elternzeit nehmen würden, wenn sie dabei ein Einkommen hätten, und das schafft eben das Elterngeld.

Deutschlandfunk: Ja, die Frage des Geldes ist das eine, aber das ist natürlich nicht die einzige Frage, die sich dabei stellt. Sie haben gesagt, Sie wollen in den Betrieben durchaus auch damit ein Umdenken erzeugen, es soll normaler werden, dass auch Väter sich an der Erziehungsarbeit beteiligen. Vielleicht ist diese Regelung ein erster Schritt, aber ich vermute, der wird für einen grundsätzlichen Wandel vor allem auch in den Köpfen nicht ausreichen. Was muss denn darüber hinaus geschehen für eine andere Arbeitskultur, von der Sie sprechen, die Sie erreichen möchten?

Ursula von der Leyen: Ich bin der festen Überzeugung, dass wir nur als Gesellschaft eine Zukunft haben, wenn wir ganz in den Mittelpunkt unseres Handels Raum und Zeit für Kinder stellen, denn eins ist klar: In Zukunft werden Männer und Frauen arbeiten, sie sind beide gleich gut ausgebildet, und sie haben beide Zugang zum Arbeitsmarkt. Die Frage wird sein, ob diese jungen Männer und Frauen auch noch Kinder haben werden in Zukunft, und ich denke, wir werden nur eine Chance haben, wirklich ein kinderbejahendes, ein kinderfreundliches Land zu werden, wenn wir für junge Menschen - und da ist es unabhängig, ob Mann oder Frau, ob Vater oder Mutter - Möglichkeiten schaffen, dass sie ihre Talente am Arbeitsmarkt einbringen und dennoch glückliche Eltern sein können.

Deutschlandfunk: Ja, genau, Möglichkeiten schaffen, aber die Frage ist natürlich, welche? Man hört ja immer noch die Geschichten von jungen Familienvätern, die sehr gerne Elternzeit zum Beispiel nehmen würden und die weiterhin erzählen, mein Abteilungsleiter, mein Geschäftsführer nimmt mich gar nicht mehr richtig ernst, weil ich das beantragt oder erwogen habe. Solange dieses Klima in Betrieben existiert, ist es vielleicht auch nicht verwunderlich, dass der eine oder andere Mann da auf seine Vaterrechte verzichtet. Wie soll sich daran etwas ändern?

Ursula von der Leyen: Sie haben Recht mit dem, was Sie schildern. Das ist auch zutiefst bedrückend, denn das stellt Menschen in eine Zwangssituation, wo sie dann häufig gegen Kinder entscheiden. Ich denke, hier müssen junge Väter genauso wie es junge Mütter es über viele Jahre und Jahrzehnte jetzt auch versuchen sich ihren Standpunkt erkämpfen. Natürlich muss Politik auch helfen, und Politik kann helfen, zum Beispiel durch dieses starke Argument des Elterngeldes, also wo ganz klar auch die Gesellschaft Geld investiert in die Geburt eines Kindes. Natürlich muss die Politik helfen durch den Ausbau der Kinderbetreuung, einer flexiblen Kinderbetreuung. Aber die Wirtschaft ist da in ihrer Verantwortung auch sehr stark gefordert, nämlich ihre Angst von Erziehenden zu verlieren und stattdessen zu erkennen, dass Erziehende enorme Qualitäten, Führungsqualitäten entwickeln, soziale und emotionale Kompetenzen, die wir brauchen. Ich will nur das Stichwort erwähnen, dass Menschen, die Kinder erziehen, Verantwortung tragen langfristig, dass sie in hohem Maße flexibel sein müssen, dass sie belastbar sind, dass sie organisationsfähig sind, dass sie auch delegieren und kommunizieren können. Das lernt man in der Erziehung von Kindern, und dies sind Führungsqualitäten, die die Wirtschaft brauchen wird in Zukunft, und wenn wir in Zukunft eine Gesellschaft haben wollen, in der es noch Kinderlachen gibt, in der es Kinderlärm gibt, dann brauchen wir auch eben eine Wirtschaft, die sagt, ja, wir tragen auch unseren Beitrag dazu bei, indem wir eine familienfreundliche Arbeitswelt schaffen. 
 
Das Interview erschien im Deutschlandfunk am 13. Dezember 2005. Interview: Bettina Klein