Im Interview mit der "ZEIT": Kristina Schröder zum freiwilligen Zivildienst

Bundesfamilienministerin Kristina Schröder spricht im Interview mit der "ZEIT" über das Engagement der Generationen und ihren Vorschlag eines freiwilligen Zivildienstes.

Die ZEIT: Nach dem Ende des Zivildienstes wollen Teile der CDU ein Pflichtjahr für junge Menschen einführen. Halten Sie das für eine gute Idee?

Kristina Schröder: Die Idee dahinter ist richtig - aber die Lösung ist falsch. Ich lehne ein Pflichtjahr nicht nur wegen der gravierenden verfassungsrechtlichen Probleme ab, sondern auch aus grundsätzlichen Erwägungen. Richtig ist: Von einem sozialen Dienst profitiert sowohl der einzelne junge Mensch, der dabei viele positive Erfahrungen sammelt, als auch unsere gesamte Gesellschaft. Das reicht aber nach meinem Staatsverständnis nicht aus, um einen derart eklatanten Eingriff in die persönliche Freiheit des Einzelnen zu rechtfertigen.

Die ZEIT: Die Landesverteidigung rechtfertigte also einen größeren Eingriff in die Freiheit des Menschen als der soziale Zusammenhalt des Landes?

Kristina Schröder: Durch einen Zwangsdienst schaffen Sie doch keinen nachhaltigen sozialen Zusammenhalt! Keine Frage, wir werden mit dem Zivildienst etwas verlieren, das sich durch kein anderes Konzept eins zu eins ersetzen lässt. Die verteidigungspolitische Entscheidung, die Wehrpflicht auszusetzen, stellt uns vor eine Herausforderung: Wie stärken wir den sozialen Zusammenhalt, wie binden wir Männer und Frauen, Jung und Alt ein? Das einzige Konzept, das dies auch kurzfristig leistet, ist der von mir vorgeschlagene bundesweite freiwillige Zivildienst.

Die ZEIT: Woher nehmen Sie den Optimismus, dass sich überhaupt genug Freiwillige finden lassen?

Kristina Schröder: Warum soll ich pessimistisch sein? Die Jugendlichen werden wieder politischer, sie wollen sich für die Gesellschaft engagieren - das zeigt zum Beispiel die Shell-Jugendstudie. Wer also behauptet, die Jugend sei desinteressiert, der kennt unsere Jugend schlichtweg nicht!

Die ZEIT: Das Engagement in politischen Parteien ist unter Jugendlichen unbeliebt wie nie zuvor.

Kristina Schröder: Das stimmt. Und das bedauere ich außerordentlich, weil meines Erachtens eine Demokratie ohne Parteien nicht funktionieren kann. Aber das heißt nicht, dass Jugendliche sich nicht politisch engagieren. Sie tun das nur zum Teil anders, nämlich aktionsbezogener, über Onlinepetitionen etwa oder auch mal über Spontan-Demos.

Die ZEIT: Welche gesellschaftlichen Themen sind es, die die Jugendlichen bewegen?

Kristina Schröder: Vor allem der demografische Wandel und seine Folgen - gerade die Jugend wird davon schließlich voll betroffen sein. Ebenso wichtig ist für die Jugendlichen das Thema Netzpolitik und Datenschutz. Wer mit dem Netz aufgewachsen ist, für den ist es ganz normal, sich Gedanken um den Umgang mit persönlichen Daten zu machen.

Die ZEIT: Und was ist mit dem Engagement für andere, für die Gesellschaft?

Kristina Schröder: Selbst wenn jemand eine Onlinepetition unterschreibt, zeigt das politisches Interesse. Das sollte man nicht gering schätzen. Politisches Engagement, gleich welcher Form, ist Einsatz für die Gesellschaft. Deshalb ärgert es mich im Übrigen auch sehr, wenn sich sogar Kommunalpolitiker Vorwürfe anhören müssen wie etwa den, sie würden sich ja nur die Taschen vollmachen. Dabei sind das gerade engagierte Leute, die für geringe Aufwandsentschädigungen reihenweise ihre Feierabende und Wochenenden investieren. Wenn man für dieses Engagement keine Wertschätzung bekommt - meinen Sie, das ist dann besonders attraktiv für junge Leute?

Die ZEIT: Die Träger der Freiwilligendienste berichten von doppelt so vielen Bewerbern wie Stellen. Versagt die Politik dabei, das Potenzial an Freiwilligen abzurufen?

Kristina Schröder: Nein, die Zahl der Plätze ist ja nicht begrenzt. Die Frage ist ganz einfach die der Finanzierung. Und da nimmt der Bund das Thema sehr ernst. Das merken Sie schon daran, dass wir die Mittel für die Freiwilligendienste im nächsten Jahr um 30 Millionen Euro aufstocken - und das, obwohl wir sonst überall sparen müssen!

Die ZEIT: Mal ehrlich: Warum stecken Sie nicht alles Geld in die bestehenden Freiwilligendienste?

Kristina Schröder: Weil eine umfassende Finanzierungszuständigkeit des Bundes nur für einen in der Bundesverwaltung durchgeführten Freiwilligendienst besteht. Die Zuständigkeit für die Verwaltung und damit auch die Finanzierung der bestehenden Freiwilligendienste liegt bei den Ländern. Ich habe das noch mal ausdrücklich prüfen lassen. Da darf der Bund nicht wesentlich mehr Geld reinstecken, als er es ohnehin schon tut. Richtig ist: Wir werden darüber diskutieren müssen, wie wir mittelfristig alle Freiwilligendienste zusammenbekommen.

Die ZEIT: Kritiker sagen, der wahre Grund für die Einführung des freiwilligen Zivildienstes sei, dass Sie das Bundesamt für Zivildienst irgendwie beschäftigen müssen.

Kristina Schröder: Das ist Unsinn. Es ist völlig klar, dass wir Stellen reduzieren werden, wenn Aufgaben wegfallen. Ich werde kein Amt als Selbstzweck erhalten. Aber ich sage deutlich: Ich habe auch eine Verpflichtung den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gegenüber.

Die ZEIT: Was wird freiwilligen Zivildienst und Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) unterscheiden?

Kristina Schröder: Die Dienste sollen sich inhaltlich gar nicht groß unterscheiden - ich will keine Freiwilligen erster und zweiter Klasse. Und auch keine Doppelstruktur. Im Kern geht es künftig um einen Freiwilligendienst in zwei Rechtsformen. Auch beim freiwilligen Zivildienst werden Träger und Einrichtungen bestimmen, ob und wie viele Plätze sie anbieten und welche Bewerber sie nehmen. Der Staat wird dafür zuständig sein, das Geld zu kanalisieren und zu überwachen und die Arbeitsmarktneutralität zu überprüfen.

Die ZEIT: Die FJS-Träger fürchten einen unfairen Wettbewerb, wenn sie ihren Freiwilligen nur 200 Euro Taschengeld zahlen können und Sie wie geplant 500 Euro im Monat bieten.

Kristina Schröder: Das war eine Sorge, die ganz zu Beginn der Debatte formuliert wurde, die aber ausgeräumt ist. Zu einer vollständigen Rechnung gehört, dass beim FSJ weiter Kindergeld gezahlt wird - im Gegensatz zum Zivildienst. Beim freiwilligen Zivildienst wird es auch kein Essensgeld geben, sodass im Ergebnis kein großer Unterschied besteht. Und wir wollen mit den Ländern und Verbänden vereinbaren, dass Träger, die bislang FSJ-Plätze angeboten haben, nur dann freiwillige Zivildienstplätze bekommen, wenn sie die FSJ-Plätze erhalten.

Die ZEIT: Sie wollen den freiwilligen Zivildienst für Ältere öffnen. Was glauben Sie, wie viel Prozent der Freiwilligen werden eines Tages nicht mehr zur Klientel der 18- bis 24-Jährigen gehören?

Kristina Schröder: Ich spekuliere nicht gern. Ich könnte mir aber vorstellen, dass drei Viertel junge Menschen sein werden und ein Viertel Ältere. Die kleinste Gruppe werden jene bilden, die für eine begrenzte Zeit aus dem Berufsleben aussteigen.

Die ZEIT: Wäre es nicht doch sinnvoller, FSJ und freiwilligen Zivildienst zusammenzuführen?

Kristina Schröder: Das will ich mittelfristig ja. Fakt ist aber: Der Bund darf nur dann das notwendige Geld beisteuern, wenn er die Kompetenz bekommt. Vielen Ministerpräsidenten allerdings ist die Zuständigkeit für die Freiwilligendienste sehr wichtig. Umgekehrt bin ich nicht bereit, aus reiner Profilierung einen politischen Schaukampf aufzuführen, während ein schwer behindertes Kind nicht mehr täglich das Haus verlassen kann - weil wir nach einer möglichen Aussetzung der Wehrpflicht keine kurzfristige Anschlusslösung für das dafür notwendige Engagement gefunden haben. Diese Lösung hätten wir mit dem freiwilligen Zivildienst. Deshalb sollten wir uns gemeinsam dafür einsetzen, junge und ältere Menschen davon zu überzeugen, sich für unsere Gesellschaft zu engagieren. Und dann bin ich für jede Diskussion über "große Lösungen" offen.

Das Interview erschien am 30. September in Die Zeit. Das Gespräch führten Elisabeth Niejahr und J.-M. Wiarda.