Handelsblatt Gemischte Teams sind erfolgreicher und müssen selbstverständlich werden

Pressefoto der Ministerin
Bundesgleichstellungsministerin Franziska Giffey appelliert in dem Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland daran, Schulen und Kitas zuerst zu öffnen, wenn das Infektionsgeschehen es zulässt © Imo/photothek.net

Handelsblatt: Frau Ministerin, mit der von Ihnen forcierten Frauenquote für Vorstände werden rund 30 Frauen Top-Jobs in Großkonzernen bekommen. Was tun Sie für die restlichen 40 Millionen deutschen Mädchen und Frauen?

Franziska Giffey: Es ist schon ärgerlich, wenn die Debatte um die Frauenquote auf die Vergabe von 30 Top-Jobs reduziert wird. Es geht doch um eine gesellschaftliche Entwicklung von großer Tragweite. Wir reden über Unternehmen, die weltweit mehr als 4,5 Millionen Beschäftigte haben. Und wir reden damit über ein Signal an Millionen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es ist eben nicht egal, wer vorne steht. Es ist wichtig, dass man in gemischten Teams spielt. Das hat auch Vorbildwirkung für andere Unternehmen.

Handelsblatt: Wie wollen Sie dafür sorgen, dass es nicht bei dem Signal bleibt. Am Ende geht es ja darum, dass Frauen auf allen Karriereebenen bessere Jobs bekommen.

Franziska Giffey: Bevor das Gesetz beschlossen wurde, habe ich natürlich auch Gespräche mit Unternehmern geführt. Viele haben mich bestärkt, auch wenn sie sich öffentlich eher zurückgehalten haben. Die Firmen wissen aber schon sehr genau, dass etwas passieren muss und dass sich freiwillig nicht viel bewegt. Sie können nur erfolgreich bleiben, wenn sie auch den Frauen mehr Chancen geben. Es geht schlicht darum, die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu erhalten. Mit Blick auf den Anteil weiblicher Führungskräfte stehen wir im globalen Vergleich nicht gut da. Außerdem hat schon die Debatte über das Gesetz was bewegt. Ich registriere, dass mehr und mehr Führungspositionen, darunter auch Vorstandsposten in großen Unternehmen, an Frauen vergeben werden.

Handelsblatt: Wie sieht es in öffentlichen Unternehmen und in der Verwaltung aus?

Franziska Giffey: Wer von der Privatwirtschaft etwas fordert, muss mit gutem Beispiel vorangehen. Darum stehen im Führungspositionen-Gesetz auch Regelungen für öffentliche Unternehmen. Die über 90 Unternehmen mit einer Mehrheitsbeteiligung des Bundes - Deutsche Bahn und Co. - müssen genauso Frauen in Führung bringen. Für die gut 150 Körperschaften des öffentlichen Rechts, also beispielsweise Krankenkassen oder die Unfall- und Rentenversicherung, sind die Regelungen sogar noch strenger. Ab zwei Mitgliedern muss hier künftig ein Vorstand weiblich sein. Derzeit sitzen da fast nur Männer in den Chefetagen. Es wird natürlich keiner vor die Tür gesetzt. Aber bei Neubesetzungen wird viel Bewegung reinkommen.

Handelsblatt: Und bei den Bundesbehörden?

Franziska Giffey: Für die Bundesbehörden haben wir die Zielsetzung schon im Koalitionsvertrag vereinbart: bis 2025 Parität bei Führungspositionen, also 50:50. Derzeit sind wir bei 37 Prozent. Wenn nach der Bundestagswahl neue Besetzungen anstehen, muss das auch da beachtet werden.

Handelsblatt: Wäre es statt Quoten nicht einfacher, sich um die beruflichen Rahmenbedingungen von Frauen zu kümmern?

Franziska Giffey: Man muss das eine tun, ohne das andere zu lassen. Natürlich müssen auch die Rahmenbedingungen stimmen.

Handelsblatt: Wie tragen Sie dazu bei?

Franziska Giffey: Eine verlässliche Kinderbetreuung ist entscheidend. Das hat die Coronakrise doch gerade auch noch mal deutlich gezeigt. Mit den Bundesinvestitionsprogrammen für die Schaffung von Kita-Plätzen ist in den vergangenen Jahren der Bau von mehr als 800.000 Plätzen allein vom Bund gefördert worden. Über das Konjunkturpaket aus dem vergangenen Jahr kommt noch einmal eine Milliarde Euro für weitere fast 100.000 Kita-Plätze hinzu. Der Kita-Ausbau ist in den vergangenen Jahren forciert worden wie nie zuvor. Jetzt muss es weitergehen bei der Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter. Das ist noch eine offene Baustelle. Da liegen fast vier Milliarden Euro vom Bund bereit - und die Länder wollen noch mehr.

Handelsblatt: Woran liegt das?

Franziska Giffey: Die Länder sagen, der Bund soll neben den Investitionskosten auch noch höhere Anteile an den Betriebskosten übernehmen, also fürs Personal zahlen. Dabei ist das zu einhundert Prozent Länderaufgabe. Wir gehen mit einem Angebot auf die Länder zu, dass es in dieser Form und in diesem Umfang nie zuvor gegeben hat. Nun sind die Länder am Zug. Das ist eine Frage politischer Prioritätensetzung. Eine bessere Kinderbetreuung ermöglicht neben mehr Chancengerechtigkeit und Vereinbarkeit eine höhere Erwerbsbeteiligung beider Elternteile. Sie sorgt dafür, dass die Lohn- und die Rentenlücke zwischen Männern und Frauen kleiner wird. Wirtschaftlich rentiert sich diese Investition. Sie macht unser Land moderner und wettbewerbsfähiger.

Handelsblatt: Gibt es Unterschiede zwischen den Bundesländern?

Franziska Giffey: Rheinland-Pfalz und Hamburg sind gemeinsam mit allen ostdeutschen Ländern sehr weit. In anderen Bundesländern ist das Bild nicht so positiv. Ganztagsangebote, die nur bis 14:30 Uhr gehen und sich auf drei Tage in der Woche beschränken, helfen nur begrenzt weiter. In der Praxis heißt das oft, dass die Frauen sich auf Teilzeitjobs zurückziehen, weil ein großer Teil der Kinderbetreuung bei ihnen hängen bleibt.

Handelsblatt: Es gibt mehr als 50 Prozent Uni-Absolventinnen, 46 Prozent weibliche Beschäftigte, nur gut 20 Prozent Frauen in Führungspositionen und rund zehn Prozent weibliche Dax-Vorstände. Hat das nicht noch ganz andere Gründe als unzureichende Kita-Angebote?

Franziska Giffey: Eine Studie der Boston Consulting Group kommt zu dem Ergebnis, dass die "Talent-Pipeline" gut gefüllt ist mit Frauen. Wir sehen bei ihnen sehr gute Schul- und Studienabschlüsse. Oft geht es nach der Elternzeit dann nicht weiter. Aber Frauen sollen natürlich - wie Männer - beides können: sich um die Familie kümmern und im Beruf erfolgreich sein. Wenn wir dann aber in die Unternehmen schauen, zeigt sich häufig noch folgendes Bild: Die Männer sitzen in den Chefsesseln und entscheiden, die Frauen kümmern sich darum, dass der Laden läuft.

Handelsblatt: Fehlt Frauen der Biss?

Franziska Giffey: Das glaube ich nicht, im Gegenteil. Ich finde das Bild vom "Thomas-Kreislauf" sehr überzeugend, das die Allbright-Stiftung entworfen hat. Das Phänomen lässt sich so auf den Punkt bringen: Thomas fördert Thomas. Michael fördert Michael. Mit anderen Worten: Die Führungskräfte in Deutschland sind überwiegend weiße Männer Mitte fünfzig, die neue Führungskräfte überwiegend aus ihrem Kreis rekrutieren und sich bevorzugt für jemanden entscheiden, der ihnen selbst sehr ähnlich ist.

Handelsblatt: Brauchen wir also viel mehr Quoten, also auf allen Hierarchieebenen und auch in der Wissenschaft?

Franziska Giffey: Wir müssen jedenfalls dahin kommen, dass gemischte Teams eine Selbstverständlichkeit werden. Sie sind erfolgreicher, weniger anfällig für Korruption und zugleich kreativer. Diese Potenziale müssen wir heben, auch und gerade im Interesse der Unternehmen.

Handelsblatt: Viele Unternehmen betrachten das aber nicht als Hilfe, sondern als Eingriff in ihre unternehmerische Freiheit.

Franziska Giffey: Ich betrachte das als eine Form von Wirtschaftsförderung. Wir helfen den Unternehmen, wettbewerbsfähiger zu werden. Und außerdem folgen wir unserem Verfassungsauftrag. Aus Artikel drei des Grundgesetzes erwächst schließlich auch eine Verpflichtung: Wir fördern die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen und wirken auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

Benachteiligt sind Frauen häufig auch beim Gehalt. Die Entgeltlücke zwischen Frauen und Männern liegt in Deutschland bei 19 Prozent. Die Politik wollte mit dem Entgelttransparenzgesetz gegensteuern. Aber gegen den eigenen Arbeitgeber klagen, das muss sich die Beschäftigte erst mal trauen.

Das Gesetz ist 2017 verabschiedet worden. Es ist ja bekannt, dass es ein Kompromiss zwischen den Regierungsfraktionen war. Die SPD hätte sich mehr gewünscht. Das Gesetz schreibt ein Auskunftsrecht über die Bezahlung vergleichbarer Kolleginnen und Kollegen fest und setzt die Unternehmen damit unter Zugzwang, sich mit dem Thema zu befassen.

Handelsblatt: Was bewirkt das konkret?

Franziska Giffey: Die erste Evaluierung für das Entgelttransparenzgesetz liegt vor. Ich finde die Zahlen ermutigend. Der Auskunftsanspruch, den alle Beschäftigten haben, wird zwar noch eher zurückhaltend genutzt. Aber das Gesetz hat schon dazu geführt, dass die Unternehmen ihre Entgeltstrukturen überprüfen. Es wird damit natürlich nicht direkt der Schalter umgelegt, aber es gibt jetzt eine Debatte, der sich kein Arbeitgeber mehr entziehen kann. Das führt zu Verhaltensänderungen.

Handelsblatt: Insgesamt übernehmen Frauen nach wie vor den deutlich höheren Anteil an der Kindererziehung oder auch an der Pflege Angehöriger. Welche stärkeren Anreize lassen sich für eine partnerschaftlichere Aufteilung setzen?

Franziska Giffey: Die gerechtere Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit ist aus meiner Sicht eine der großen Herausforderungen. Hier gibt es drei Punkte: Natürlich spielen Qualität und Umfang von Kinderbetreuungsangeboten eine eminent wichtige Rolle. Außerdem haben wir mit der Reform des Elterngelds den Partnerschaftsbonus verbessert. Wir honorieren, wenn sich beide Elternteile im Beruf für eine Zeit zurücknehmen, um sich um die Kinderbetreuung zu kümmern.

Handelsblatt: Was bringt das langfristig?

Franziska Giffey: Die ersten Monate nach der Geburt eines Kindes sind entscheidend dafür, wie es später in der Familie läuft. Wenn die Väter gleich Verantwortung übernehmen, dann wirkt das fort. Wir sehen auch, dass es funktioniert, solche Anreize zu setzen: Als das Elterngeld eingeführt wurde, blieben drei Prozent der Männer eine Zeit lang zu Hause. Heute sind es über 40 Prozent. Das ist ein massiver gesellschaftlicher Wandel.

Handelsblatt: Und der dritte Punkt?

Franziska Giffey: Die Besteuerung läuft falsch. Das müssen wir ändern. Mit dem Ehegattensplitting fördern wir immer noch die klassische Ein-Verdiener-Familie. Das führt zu dem Fehlanreiz, dass die Frauen zu Hause bleiben oder in Teilzeit gehen. Steuerlich sollte es also einen Anreiz geben, dass beide arbeiten. Als wir die deutsche EU-Ratspräsidentschaft vorbereitet haben, war ich in Schweden. Dort habe ich gefragt: Was war der Gamechanger, der entscheidende Moment, dass Schweden so weit ist bei der partnerschaftlichen Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit? Und die Antwort war: Wir haben 1971 die Individualbesteuerung eingeführt.

Handelsblatt: Seit Jahren wird über das Ehegattensplitting gestritten. Warum tut sich nichts?

Franziska Giffey: Die Beharrungskräfte sind in Politik und Wirtschaft da noch recht stark. Das ist aber eine dringende Aufgabe für die nächste Legislaturperiode.

Handelsblatt: Fakt ist: Viele Frauen gehen in Teilzeit, sobald das erste Kind kommt. Deutschlands oberste Soziologin Jutta Allmendinger propagiert darum 32 Wochenstunden als neue Vollzeit für alle. Männer sollten ihre Erwerbsarbeit reduzieren. Ist da was dran?

Franziska Giffey: Wenn alle etwas weniger arbeiten, hat man größere Chancen, Arbeitszeit und familiäre Sorgearbeit gerechter zu verteilen.

Handelsblatt: Wie verändert Corona die Gleichstellung?

Franziska Giffey: Wir haben gesehen, dass sich in der Pandemie alte Rollenbilder zum Teil wieder verfestigt haben. Dahinter steht eine einfache Rechnung: Wer weniger verdient, bleibt für die Kinderbetreuung zu Hause. Das sind nun mal ganz oft die Frauen. Auch aus diesem Grunde ist die Entgeltgleichheit so wichtig. Die Coronakrise hat aber zugleich einen unglaublichen Digitalisierungs- und Modernisierungsschub gebracht. Das hat auch Männer flexibler gemacht. Ein Fünftel der Väter hat mehr gearbeitet als vor Corona, aber fast ebenso viele haben mehr Sorgearbeit übernommen. Es hat sich gezeigt, was alles geht. Das sollten wir uns für die Zeit danach bewahren und darauf aufbauen.

Handelsblatt: Frau Giffey, vielen Dank für das Interview!