Gastkommentar von Kristina Schröder für Welt Online

In ihrem Gastkommentar "Mutter, Vater, Kind" für Welt Online vom 26. November betonte Bundesfamilienministerin Kristina Schröder die gemeinsame Verantwortung von Vätern und Müttern für ein Baby und die wichtige Funktion des Elterngeldes für Familien.

Es ist ein Ritual, das sich in schöner Regelmäßigkeit wiederholt: Sobald irgendwo eine neue Geburtenstatistik erscheint, kommen die Kassandrarufer mit düsteren Zukunftsprognosen aus der Deckung. Sie bereiten die Bühne für Experten, die die stagnierenden oder sinkenden Geburtenzahlen als Ausweis anhaltender Gebär- und Zeugungsfaulheit interpretieren.

Spätestens dann schlägt die Stunde der Technokraten, die die sofortige Abschaffung des Elterngelds fordern - mit der schlichten Begründung, es trage nicht dazu bei, Deutschland eine bestandserhaltende Reproduktion zu sichern. Und auch die rund drei Millionen Frauen und Männer, die seit 2007 Elterngeld bezogen haben, sind vor Kritik nicht gefeit: Es soll ja Paare geben, die - man glaubt es nicht! - die Partnermonate genutzt haben, um sich als Familie mit ihrem Baby eine schöne Zeit zu machen. Dass es gerade für "Neu-Eltern" wichtig ist, Zeit für Familie zu haben und gemeinsam in ihre Verantwortung hineinzuwachsen, liegt offenbar jenseits der Vorstellungskraft all derjenigen, die meinen, den Erfolg oder Misserfolg von Familienpolitik an der Geburtenzahl ablesen zu können.

Der beste Beweis für die Kurzsichtigkeit dieser Argumentation ist das Elterngeld. Konzipiert als Ausgleich für Einkommensverluste, erleichtert es Müttern und Vätern die Entscheidung für eine berufliche Auszeit und schenkt jungen Familien damit einen Schonraum, um füreinander da zu sein und sich intensiv um ihr Baby zu kümmern. Wäre das Elterngeld eine "Gebärprämie", dann wären wir damit tatsächlich krachend gescheitert. Zur Erfolgsgeschichte wird es wegen seiner gesellschaftspolitischen Gestaltungskraft. Dank der Partnermonate sind wir heute so weit, dass sich nach der Geburt eines Kindes nicht nur Frauen, sondern auch mehr und mehr Männer Zeit für Verantwortung nehmen und diese Zeit bei ihrem Arbeitgeber auch einfordern. Arbeitgeber wiederum engagieren sich heute nachweislich deutlich stärker als vor Einführung des Elterngelds für die Unterstützung junger Mütter und Väter bei der Rückkehr in den Beruf nach der Elternzeit.

Von diesen Veränderungen werden mittelfristig vor allem Frauen profitieren. Denn bisher ist unsere Arbeitswelt gerade in den Führungsetagen in weiten Teilen immer noch auf Männer zugeschnitten - oder allgemein formuliert: auf Menschen, die Verantwortung delegieren können. Die Folge: Während Männer zwischen 30 und 40 zwei, drei Karrierestufen auf einmal nehmen, wuppen Frauen zwischen 30 und 40 häufig zwei, drei Jobs auf einmal: Teilzeitberuf, Kindererziehung und Haushalt. Väter in Elternzeit brechen dieses klassische Muster auf. Wo Leistungsträger sich Zeit für Verantwortung nehmen, entstehen neue Karrieremodelle und Teilzeitarbeitsplätze. Wo einer den Anfang macht, trauen sich auch andere. Und wo Väter eine enge Bindung zu ihrem Kind haben und die Zeit mit ihm intensiv erleben, ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie kein Frauenthema, sondern eine partnerschaftliche Entscheidung. Diese Veränderungen brauchen Zeit, keine Frage. Aber der wichtigste, erste Schritt ist getan.

Nachweise für den Erfolg des Elterngelds sollten wir deshalb nicht in der Geburtenstatistik suchen. Für den Erfolg des Elterngelds stehen Unternehmen, die sich für familienbewusste Arbeitszeiten öffnen und ihre Beschäftigten beim Wiedereinstieg nach der Elternzeit unterstützen. Den Erfolg des Elterngelds sehen wir auf Spielplätzen, in Kinderarztpraxen und Kindergärten, wo man mittlerweile immer mehr Väter trifft. Und manchmal können wir den Erfolg des Elterngelds sogar hören: Während man(n) die Partnermonate noch vor drei Jahren als "Wickelvolontariat" belächelte, beschwert man(n) sich heute auf Autobahnraststätten über das Fehlen eines Wickeltisches auf der Herrentoilette. Solche kleinen und großen Veränderungen sind es, die unsere Gesellschaft familienfreundlicher machen, die Eltern bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf unterstützen und die damit langfristig dafür sorgen, dass Kinderwünsche sich irgendwann in der Geburtenstatistik niederschlagen. Wer die Zahl der Geburten zum kurzfristigen Erfolgsindikator erklärt, reduziert Familienpolitik auf Bevölkerungspolitik - und wird damit weder ihren Möglichkeiten noch ihrem Anspruch gerecht.

Moderne Familienpolitik ist Politik für Zusammenhalt, Verantwortung und faire Chancen in unserer Gesellschaft, und genau dieser gesellschaftspolitische Anspruch steckt in der Konzeption des Elterngelds. Weil es den partnerschaftlichen und familiären Zusammenhalt stärkt, die Entwicklung einer familienfreundlichen Arbeits- und Unternehmenskultur vorantreibt und Frauen die Rückkehr in ihren Beruf erleichtert, sind die rund 4,4 Milliarden, die wir dafür jährlich ausgeben, für unsere ganze Gesellschaft gut angelegtes Geld. Wer daran noch zweifelt, möge sich vor Augen führen, dass die Familienpolitik damit innerhalb kürzester Zeit etwas geschafft hat, was jahrzehntelange Feminismusdebatten und umfangreiche Gleichstellungsgesetze nicht erreicht haben: Männer definieren ihre Rolle neu - in der Familie und im Berufsleben.

Der Gastkommentar von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder erschien am 26. November in der Zeitung "DIE WELT"