Passauer Neue Presse Bundesministerin Manuela Schwesig zu Extremismusprävention und der aktuellen Flüchtlingspolitik

Manuela Schwesig, Bildnachweis: Bundesregierung / Denzel
Manuela Schwesig © Bildnachweis: Bundesregierung / Denzel

Passauer Neue Presse: Terror-Angst in Europa: Auch Deutschland ist ins Visier islamistischer Attentäter gerückt. Fühlen Sie sich noch sicher, wenn Sie mit Ihrer Familie den Weihnachtsmarkt besuchen, mit Flugzeug oder ICE unterwegs sind?

Manuela Schwesig: Ja, ich fühle mich sicher. Ich werde auch in diesem Jahr mit meiner Familie auf den Weihnachtsmarkt gehen. Natürlich gibt es Sorgen und Ängste. Das ist verständlich, so kurz nach den Anschlägen von Paris. Aber ich habe großes Vertrauen in die Arbeit unserer Sicherheitsbehörden. Wir dürfen uns von den Terroristen nicht unseren Alltag diktieren lassen.

Passauer Neue Presse: Tun wir genug, damit Jugendliche hier in Deutschland nicht für die Terror-Ideologien des Islamischen Staates anfällig werden?

Manuela Schwesig: Wir haben uns schon weit vor den Terroranschlägen in Frankreich um dieses Thema gekümmert. Prävention ist wichtig. Wir müssen Jugendliche gezielt ansprechen, die kurz davor stehen, sich für den Weg des Dschihadismus zu entscheiden. Es geht darum, ihnen Angebote zu machen, und auch ihre Eltern nicht im Stich zu lassen. Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge können sich besorgte Eltern melden, wenn ihr Sohn oder ihre Tochter plötzlich islamistischen Ideologien hinterherrennt. Hier machen wir Beratungsangebote. Wichtig ist, dass uns dabei auch die muslimischen Verbände helfen.

Passauer Neue Presse: Mit Beratung und Sozialarbeit gegen Radikalisierung - funktioniert das wirklich?

Manuela Schwesig: Es ist ähnlich wie beim Rechtsextremismus: Junge Menschen, die sich unverstanden fühlen und keinen sozialen Halt haben, sind anfällig für Radikalisierung. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass man diese Jugendlichen durchaus noch erreichen und zurückholen kann. Prävention darf nicht unterschätzt werden. Wir können damit durchaus etwas erreichen. Jeder Jugendliche, den wir davor bewahren, beim IS einzusteigen, ist wichtig.

Passauer Neue Presse: Immer mehr Flüchtlinge kommen nach Deutschland. Sie wollen sie nun auch im Bundesfreiwilligendienst einsetzen. Was versprechen Sie sich davon?

Manuela Schwesig: Wir erleben in der Flüchtlingsarbeit großes ehrenamtliches Engagement. Das unterstützen wir jetzt mit 10.000 zusätzlichen Stellen im Bundesfreiwilligendienst. Diese Arbeit ist frei für alle Altersgruppen. Ich möchte, dass sich auch Flüchtlinge als Freiwillige engagieren können - zum Beispiel als Dolmetscher oder Helfer in Erstaufnahmeeinrichtungen. Das stärkt den sozialen Zusammenhalt, hilft auch bei der Integration und dem Erlernen unserer Sprache.

Passauer Neue Presse: Die CSU pocht weiter auf Obergrenzen für die Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland. Die Kanzlerin hält dagegen. Was gilt denn nun in der Großen Koalition?

Manuela Schwesig: Deutschland braucht eine Entlastung. Wir können nicht mehr in diesem Tempo wie in den vergangenen Monaten so viele Menschen bei uns aufnehmen. Vor Ort kommen wir mittlerweile an praktische Grenzen. Schließlich haben wir gewisse Standards für die Unterbringung und Integration von Flüchtlingen. Es wäre wichtig, dass wir einmal eine Atempause erhalten. Die Debatte und der Streit in der Union über Obergrenzen bringen keinen weiter. Die SPD schlägt Kontingente vor. Europa müsste bereit sein, für eine bestimmte Zeit einer gewissen Zahl von Kriegsflüchtlingen Schutz zu gewähren. Der Vorteil wäre, dass wir zusammen mit den Hilfswerken vor Ort besser steuern könnten, wie die Leute zu uns kommen und wer zu uns kommt. So könnten wir Familien mit Kindern bevorzugen.

Passauer Neue Presse: Stillstand bei den Vorbereitungen für das zweite Asylpaket: Bleibt die SPD beim Nein zu weiteren Einschränkungen beim Familiennachzug?

Manuela Schwesig: Viele vergessen: Der Familiennachzug ist längst beschränkt – auf Frau und Kind. In der Praxis gibt es nur wenig Familiennachzug. Im vergangenen Jahr sind 18.000 Familienangehörige nach Deutschland gekommen. 2015 haben wir bisher 50.000 Anträge. Von den Millionen-Zahlen, die immer wieder in den Raum geworfen werden, um für Verunsicherung zu sorgen, sind wir weit entfernt. Wenn Deutschland so viele Menschen aufnimmt, müssen wir Prioritäten setzen. Vorrang müssen Frauen und Kinder haben. Wenn wir den Familiennachzug beschränken, werden sich in Zukunft noch mehr Mütter und kleine Kinder auf die gefährliche Flucht nach Europa machen. Erst zu sagen "Wir schaffen das!" und es dann für Frauen und Kinder auszuschließen - das passt für mich nicht zusammen.

Passauer Neue Presse: Themenwechsel: Sie kämpfen weiter für die Umsetzung der Frauenquote. Kanzlerin Angela Merkel  will offenbar in Brüssel einer EU-Richtlinie mit ehrgeizigen Quoten-Zielen nicht zustimmen. Wie wollen Sie diesen Streit mit der Kanzlerin ausräumen?

Manuela Schwesig: Mir war immer wichtig, dass die Richtlinie der EU auf Deutschland und seine Gesetzgebung zur Frauenquote Rücksicht nimmt. Das ist inzwischen berücksichtigt worden. Auch die anderen Länder Europas und die Unternehmen dort müssen bei der Frauenquote ihre Hausaufgaben machen. Das finde ich gegenüber der deutschen Wirtschaft nur gerecht. Ich werbe deshalb dafür, dass die Bundesregierung der Richtlinie zustimmt.