Bundesfamilienministerin Dr. Kristina Schröder gab Spiegel Online (Erscheinungstag 1. August 2012) das folgende Interview:
Frage: Frau Schröder, sehen Sie sich in Ihrem Ministeramt eher als Anwältin für Frauen mit Kindern - oder für Frauen ohne Kinder? Anders gefragt: Muss man Frauen mit Kindern politisch mehr fördern als kinderlose Frauen?
Dr. Kristina Schröder: Frauen mit Kindern haben definitiv andere Bedürfnisse als Frauen, die aus welchen Gründen auch immer kinderlos sind. Meine Aufgabe ist es, beiden und noch vielen anderen das Leben zu ermöglichen, das sie leben wollen. Ich bin Soziologin. Mein Menschenbild und meine Vorstellungskraft sind viel offener und weiter, als manche Beobachter glauben wollen.
Frage: Frau Schröder, ein Netzaufruf gegen Sie findet innerhalb weniger Stunden tausende Unterstützer, in Beliebtheitsumfragen rangieren nur Philipp Rösler und Guido Westerwelle hinter ihnen. Auch die Mehrheit der Unionswähler bewerten Sie negativ. Haben Sie schon an Rücktritt gedacht?
Dr. Kristina Schröder: So ticke ich nicht. Berechtigte Kritik nehme ich an um mich zu hinterfragen. Ungerechtfertigte Kritik an meiner Person trifft mich natürlich, gerade weil sie oft auch sehr beleidigend ist. Dann hilft mir, dass in meinem Privatleben die wichtige Dinge stimmen, das gibt mir Rückhalt und Gelassenheit. Und ich werde meine Haltung auch nicht aufgeben: Eine Frauenministerin muss deutlich machen, wie sie grundlegende Fragen der Geschlechterverhältnisse sieht. Das tue ich. Beispielsweise lehne ich die These von Simone de Beauvoir ab, die sagt, dass Mädchen nicht als Mädchen geboren werden und Jungen nicht als Jungen, sondern dass erst die Gesellschaft sie dazu macht. Dass eine solche Absage streitbar ist, ist mir klar. Aber die Anfeindungen kommen vor allem aus bestimmten Ecken, sie stehen nicht für die Mehrheit.
Frage: Frauen unterschiedlicher politischer Herkunft scheinen sich mit einem Ziel zu sammeln: Schröder muss weg. Wie erklären Sie sich diese Ablehnung?
Dr. Kristina Schröder: Frauen- und Familienpolitik sind Felder, in denen jeder gerne seine individuellen Erfahrungen zum Maß aller Dinge macht und vieles sehr schnell sehr persönlich wird. Auch meine Vorgängerin Ursula von der Leyen musste am Anfang sehr viel Kritik einstecken. Von einer Familienministerin wird immer auch erwartet, dass sie sich mit ihrem privaten Leben zum Vorbild erklärt. Das mache ich nicht mit. Den Bundesgesundheitsminister fragt auch kein Mensch, ob er seine Vorsorgeuntersuchungen gemacht hat. Um ein Beispiel für die Verschiedenheit der Maßstäbe zu nennen: Als ich schwanger war, habe ich gesagt, dass mein Mann und ich vor den gleichen Herausforderungen stünden wie andere im Beruf sehr geforderte Paare auch. Es gab eine riesige Empörungswelle. Wir als Privilegierte hätten doch keinerlei Probleme, so der Vorwurf. Gerade erst hat Sigmar Gabriel praktisch den gleichen Satz wie wir gesagt, und das hat niemanden aufgeregt.
Frage: Zuletzt sorgte eine Ihrer Personalentscheidungen für Aufruhr. Es entstand der Eindruck, die Leiterin der Abteilung für Gleichstellung, Eva Maria Welskop-Deffaa, musste gehen, weil sie eine andere Ansicht zur Frauenquote hatte. War sie Ihnen zu modern?
Dr. Kristina Schröder: Es geht hier um den persönlichen Schutz meiner ehemaligen Abteilungsleiterin, deshalb werde ich öffentlich keine Gründe für meine Entscheidung nennen. Wichtig ist: Ihre Nachfolgerin Renate Augstein ist seit über 30 Jahren im Ministerium, ebenfalls eine profilierte Frauenrechtlerin und lange Jahre Stellvertretende Abteilungsleiterin. Schon daran ist abzulesen, dass es mir nicht darum geht, die Arbeit der Abteilung in Frage zu stellen. Im Gegenteil: Da arbeiten sehr viele engagierte und hochqualifizierte Frauen – und Männer.
Frage: Die Amerikanerin Anne-Marie Slaughter, früher Mitarbeiterin von Hillary Clinton, hat international Aufsehen erregt mit ihrem Aufsatz "Why Women Still Can't Have It". Familie und Top-Beruf seien ohne große Opfer nicht vereinbar. Hat Sie Recht?
Dr. Kristina Schröder: Frau Slaughter hat einen wichtigen Punkt getroffen. Wenn man Kinder hat dann will man auch Zeit mit ihnen verbringen, auch in einem Topjob, sonst droht man todunglücklich zu werden. Das auszusprechen schafft für viele Erleichterung. Es wird, gerade in den Medien, oft ein Bild gezeichnet von den Supermüttern, die vier Wochen nach der Geburt schon wieder den perfekten After-Baby-Body haben und Familie und Beruf problemlos unter einen Hut kriegen. Dieses Bild setzt jede Frau unter Druck, auch ich kenne das Gefühl.
Frage: Bei Abstimmungen im Bundestag haben Sie und ihr Mann Ole Schröder sich zuletzt für alle offenkundig mit dem Babysitting ihrer Tochter Lotte abgewechselt. Für wen ist es schwieriger Amt und Familie zu vereinbaren?
Dr. Kristina Schröder: Es ist für uns beide schwierig - und oft genug schwieriger als es nach außen aussieht. Wir konnten als Abgeordnete beide keine Elternzeit nehmen. Wir haben aber das Glück, dass uns unsere Familien sehr unterstützen. Trotzdem nehmen wir Lotte immer wieder mal mit ins Büro oder arbeiten mit der Kleinen auf der Spieldecke von zuhause aus. Es ist immer ein Spagat, zum Beispiel gehe ich meist nicht in spätabendliche Talkshows. Natürlich habe ich dadurch auch Nachteile, denn für einen Politiker ist es wichtig in solchen Medien vorzukommen.
Frage: Die schwangere Managerin Marissa Mayer übernimmt den Konzern Yahoo, sie will nach der Geburt kaum eine Auszeit nehmen. Ein Vorbild?
Dr. Kristina Schröder: Ich respektiere diesen persönlichen Schritt von Frau Mayer, aber ich sehe es mit großer Sorge, wenn prominente Frauen öffentlich den Eindruck erwecken, der Mutterschutz sei etwas, das eigentlich gar nicht notwendig ist. Die Mutterschutz-Zeit ist absolut richtig, und zwar bei weitem nicht nur in medizinischer Hinsicht.
Frage: Der Kita-Ausbau hinkt hinterher, noch immer fehlen 160.000 Kita-Plätze, Pädagogen kritisieren die Qualität deutscher Betreuungsstätten. Die Bundesregierung will Qualitätsstandards erst 2020 einführen. Geht der Kita-Ausbau solange auf Kosten der Kinder?
Dr. Kristina Schröder: Wir tun alles, damit das nicht passiert. Schon heute gibt es Qualitätsstandards in den einzelnen Bundesländern - und im Westen ist der Betreuerschlüssel mit 4 bis 5 Kleinkindern auf einen Erwachsenen gar nicht so schlecht. Fakt ist: Der Ausbau ist eine Mammutaufgabe. Am Rechtsanspruch ist mit mir nicht zu rütteln. Ja, viele Kommunen sind am Rande ihrer Kräfte, aber dann müssen die Verantwortlichen vor Ort sich auch die Frage stellen: Ist es nicht vernünftiger, sie ertragen eine Weile lang Schlaglöcher und stecken das verfügbare Geld in ihre Kitas? Jedenfalls darf der Endspurt nicht auf Kosten der pädagogischen Qualität gehen.
Frage: Arbeitsministerin Ursula von der Leyen und Sie gelten als Rivalinnen, zuletzt hat Leyen Sie allerdings in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" gelobt. Was fällt Ihnen Lobendes zu Ihrer Kabinettskollegin ein?
Dr. Kristina Schröder: Es ist ganz großartig, wie sie es schafft mit sieben Kindern ein Ministeramt zu managen, Grenzen zu ziehen und Zeit für die Familie zu reservieren. Das ist eine bemerkenswerte Leistung, das sehe ich schon mit nur einem Kind. Sie ist außerdem eine Kollegin mit einem sehr feinen Gespür für politische Konjunkturen.
Frage: Eine Abstimmung zum Betreuungsgeld ist vor der Sommerpause im Bundestag gescheitert, die FDP warnt vor der Prämie, auch in der CDU Widerstand immer größer. Sie selbst gelten nicht als großer Fan des Projekts. Wie geht es weiter mit dem Betreuungsgeld?
Dr. Kristina Schröder: Ich bin sehr zuversichtlich, dass ein alter Vorschlag von mir wieder aktuell werden wird, nämlich die Auszahlung des Betreuungsgeldes mit dem Nachweis der Vorsorgeuntersuchungen des Kindes zu verknüpfen. In den Beratungen der Fraktionen spielt das derzeit wieder eine große Rolle, und es wäre nicht nur politisch vernünftig, sondern erst recht für die Kinder.
Frage: Ein Gericht hat Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen verboten. Müssen gläubige Juden und Muslime sich in Zukunft eine andere Heimat suchen?
Dr. Kristina Schröder: Jüdisches und muslimisches Leben in Deutschland muss möglich sein. Wir müssen also Rechtssicherheit dafür schaffen, dass Jungen beschnitten werden dürfen. Es muss absolut klar sein, dass die Genitalverstümmelung von Mädchen und Frauen nicht dazu gehört, sondern ein Verbrechen ist. Außerdem darf das Kindeswohl nicht einfach hinter der religiösen Selbstbestimmung oder Elternbestimmung zurückstehen. Ich bin deshalb dafür, dass religiöse Beschneidungen nur mit angemessener Anästhesie stattfinden und nur von einem Arzt durchgeführt werden sollen.
Frage: Sie lehnen eine feste Frauenquote in Unternehmen ab. Als die Dax-Konzerne vor einigen Wochen ihre Zahlen präsentierten, war das enttäuschend, die freiwillige Selbstverpflichtung scheint kaum etwas gebracht zu haben. Wie lange wollen sie sich das noch ansehen?
Dr. Kristina Schröder: Ich habe schon bei der Vorstellung der Zahlen kritisiert, dass der Zeitraum der Selbstverpflichtungen, über den die Unternehmen berichtet haben, , mit zwei Monaten viel zu kurz war, um Fortschritte sichtbar zu machen. Allerdings ist es ein Fortschritt, dass sich die Dax-Unternehmen überhaupt so konkrete Zielvorgaben gegeben haben. Das gab es in Deutschland noch nie. Mir hat ein sehr anerkannter Personalvorstand eines weltweiten Technologie-Konzerns gesagt: "Ich muss zur Erfüllung der Quote, die sich mein Unternehmen gegeben hat, rund fünfhundert Frauen neu in Führungspositionen bringen, sonst bin ich meinen Job los". Bei anderen hängt ein Teil der eigenen Bezahlung jetzt vom Erfolg bei der Frauenförderung ab. Und wenn die Unternehmen ihre eigenen Ziele nicht erfüllen, dann werden sie öffentlich an den Pranger gestellt, auch bei SPIEGEL ONLINE. Das ist eine sehr mächtige Drohkulisse. Und das ist etwas völlig anderes als die auch von mir stets kritisierte Selbstverpflichtung der Verbände vom Anfang des Jahrtausends
Frage: Kann eine flexible Quote wirklich etwas am Frauenmangel in deutschen Unternehmensspitzen ändern?
Dr. Kristina Schröder: Ja, und zwar besser als eine starre Quote. Das Beispiel Norwegen zeigt, dass sich durch starre Aufsichtsratsquoten beim Einstellungs- und Beförderungsverhalten der Unternehmen nichts signifikant ändert. 99 Prozent der Frauen bringt eine reine Elitenquote also gar nichts. Die Flexi-Quote hingegen können die Unternehmen nicht abhaken wie eine Statistikpflicht, sie müssen sie zu ihrem eigenen Anliegen machen und das Unternehmen dementsprechend umbauen. Bei der Flexi-Quote ist es wie bei anderen neuen Vorschlägen auch. Erst werden sie verlacht, dann werden sie bekämpft und dann setzen sie sich durch. Die größte Gruppe meiner Bundestagsfraktion und zuletzt auch die CSU-Landesgruppe haben sich für mein Modell ausgesprochen. Mein Ziel ist, dass meine Flexi-Quote im Wahlprogramm der Union für die nächste Bundestagswahl steht.