Bundesfamilienministerin Dr. Kristina Schröder gab der Welt am Sonntag (Erscheinungstag 24. Juni 2012) das folgende Interview:
Frage: Frau Ministerin, können Sie so richtig abschalten, wenn Sie in Ihrer hessischen Heimat sind?
Dr. Kristina Schröder: Wenn ich privat hier bin: ja. Ich trenne ziemlich strikt zwischen Arbeitszeit und privater Zeit. Und ich kann da gut umschalten. Natürlich muss man als Bundesministerin, wenn etwas ganz Wichtiges ist, jederzeit in den Arbeitsmodus wechseln können.
Frage: Legen Sie in Ihrer privaten Zeit auch mal Smartphone und iPad beiseite?
Dr. Kristina Schröder: Mein Handy ist immer an - auch an Wochenenden und im Urlaub. Meine Mitarbeiter können mich erreichen, wenn es dringend ist. Aber sie wissen auch, dass sie mich in der Privatzeit nur in echten Ausnahmefällen stören dürfen.
Frage: Wer schickt Ihnen dienstliche Mails und SMS, wenn Sie privat unterwegs sind?
Dr. Kristina Schröder: Mein persönlicher Referent, mein Büroleiter, die Pressesprecher, Kabinettskollegen, manchmal auch die Kanzlerin. Aber ich versuche wirklich, strikt zu trennen. Wenn ich zu Hause ankomme und noch dienstliche Telefonate zu erledigen habe, bleibe ich im Auto sitzen. Wenn ich zur Tür reinkomme, will ich ins Private umschalten. Es kommt vor, dass ich nach der Heimfahrt noch eine halbe Stunde im Auto sitze und telefoniere, bevor ich zu meiner Familie hineingehe.
Frage: Gibt es eine Konkurrenz von Handy und Babyphone?
Dr. Kristina Schröder: Also wenn das Babyphone schreit, geht das immer vor.
Frage: Wann müssen Ihre Mitarbeiter erreichbar sein? Bekommen sie nach Dienstschluss Anrufe oder Post von der Ministerin?
Dr. Kristina Schröder: So gut wie nie. Wenn ich sie am Wochenende oder im Urlaub störe, ist das auf absolute Notfälle beschränkt. Viele meiner Mitarbeiter haben kleine Kinder, einige sind allein erziehend. Ich versuche daher auch, Besprechungen nicht nach 17 Uhr abzuhalten.
Frage: Nach einer Infratest-Umfrage, die wir in Auftrag gegeben haben, werden Internet und Handy von mehr als einem Drittel der Bürger als Stress empfunden. Bei den 45- bis 59-Jährigen ist es sogar fast die Hälfte. Wie deuten Sie das?
Dr. Kristina Schröder: Man muss schon auch die positiven Seiten sehen. Das Internet macht es oft erst möglich, von zu Hause aus zu arbeiten. Gerade für Eltern mit kleinen Kindern ist das ein Riesengewinn. Man muss natürlich darauf achten, dass Privates und Berufliches nicht permanent ineinander fließen. Wir brauchen da eine gewisse Hygiene. Die Privatzeit muss so gut es geht privat bleiben.
Frage: Noch ein Ergebnis der Studie: Jeder dritte Berufstätige erhält und liest in der Freizeit zumindest gelegentlich dienstliche E-Mails. Ein Viertel davon fühlt sich gestört.
Dr. Kristina Schröder: Beide Seiten müssen Schranken einziehen. Es gibt ja Leute, die verschicken dienstliche Mails in ihrer Privatzeit, obwohl es der Arbeitgeber gar nicht von ihnen verlangt. Für manche ist es geradezu eine Sucht, auch im Urlaub ihre Mailbox zu checken. Gerade Männer haben oft ein Problem, richtig abzuschalten. Ich rate allen: Achtet auf euch selbst. Sorgt dafür, dass ihr euch erholen könnt. Um es im Computerdeutsch zu sagen: Wer nicht richtig runterfährt, kann auch nicht richtig hochfahren.
Frage: Nicht jeder Arbeitgeber nimmt es hin, wenn seine Angestellten abtauchen.
Dr. Kristina Schröder: Ab einer gewissen Hierarchieebene ist es angemessen und okay, wenn Erreichbarkeit verlangt wird. Aber auch da sollten Anrufe und Mails auf begründete Fälle beschränkt bleiben. Es ist toll, dass manche Unternehmen sich selbst Regelwerke geben. Das Bewusstsein für dieses Thema wächst.
Frage: Volkswagen schottet seine Beschäftigten neuerdings nach Feierabend von dienstlichen Mails ab. Eine halbe Stunde nach Arbeitsende werden keine Nachrichten mehr vom Server auf die Smartphones der Beschäftigten weitergeleitet. Eine vorbildliche Regelung?
Dr. Kristina Schröder: Das ist in der Tat ein gutes Beispiel. Ich freue mich, dass immer mehr Unternehmen erkennen: Wir bekommen keine guten Mitarbeiter, wenn die sich nicht ab und zu richtig erholen können. Permanente Verfügbarkeit ist keine Lösung.
Frage: Ihre Kabinettskollegin von der Leyen fordert "glasklare Regeln", zu welchen Uhrzeiten die Beschäftigten erreichbar sein und ihre Mails checken müssen.
Dr. Kristina Schröder: Ich finde es vernünftig, wenn die Unternehmen sich klare Regeln zur Erreichbarkeit ihrer Mitarbeiter geben. Das ist weniger eine Aufgabe für den Gesetzgeber als für die Gewerkschaften, die das in die Tarifverhandlungen einbringen sollten.
Frage: Sehen Sie die Familie als Schutzraum gegen die Datenflut?
Dr. Kristina Schröder: In der Familie zählen andere Werte als im Büro. Zeit mit der Familie ist unheimlich wertvoll. Es ist eine kulturelle Errungenschaft, dass zumindest bei der großen Mehrheit der Familien alle Familienmitglieder an Sonntagen gemeinsam frei haben und Zeit miteinander verbringen können. Das sollten wir verteidigen.
Frage: Es gab einmal den autofreien Sonntag. Brauchen wir jetzt den computerfreien Sonntag?
Dr. Kristina Schröder: Ein solcher Vorschlag ignoriert, dass moderne Informationstechnik viele Familien auch zusammenhält. Denken Sie an die vielen Großeltern, die über Skype mit ihren Enkeln kommunizieren. Ich selbst bin mit meinen Eltern täglich über SMS oder E-Mail in Kontakt. Wenn ich diese Technik nicht hätte - also, ich glaube nicht, dass ich meinen Eltern täglich einen Brief schreiben würde.
Frage: Wie denken Sie über Eltern, die ihren Kindern handyfreie Sommerferien verordnen?
Dr. Kristina Schröder: Ich habe im Urlaub eine Familie beobachtet mit zwei Jungs, die sich beim Abendessen nur mit ihren iPhones beschäftigt haben. Die haben kein Wort miteinander geredet. Vielleicht haben sie über Facebook miteinander kommuniziert oder getwittert. Ich kann gut verstehen, wenn die Eltern dann sagen: Uns reicht es jetzt. Diese Ferien machen wir ohne Smartphone. Aber das muss jeder selbst abwägen. Ich persönlich habe es nicht so mit absoluten Verboten.
Frage: Ihre Tochter wird jetzt ein Jahr alt. Machen Sie sich schon Gedanken, welche Rolle elektronische Medien in ihrem Leben spielen sollen?
Dr. Kristina Schröder: Glücklicherweise sind wir noch bei den Stoffbüchern, die so toll knistern. Das wird aber sicher schon bald eine Herausforderung. Ich habe immer das Gefühl, ich sei mit modernen Medien aufgewachsen. Aber in meiner Kindheit gab es noch nicht mal flächendeckend Privatfernsehen. Schlimmeres, als heimlich Aktenzeichen XY mit dem für mich damals unheimlichen Ede Zimmermann zu gucken, konnte einem nicht passieren. Da kommt eine echte Herausforderung auf uns als Eltern zu. Wir als Gesellschaft und auch wir persönlich sollten uns viel intensiver mit Kinderschutzsoftware und Medienkompetenz befassen. Trotzdem: Eigentlich ist es doch großartig, mit dem Internet aufzuwachsen.
Frage: Mehr als mit der Datenflut beschäftigt sich die Regierungskoalition mit dem Betreuungsgeld für Eltern, die ihre Kinder zu Hause erziehen. CSU-Chef Seehofer droht inzwischen mit Koalitionsbruch. Vertrauen Sie darauf, dass er blufft?
Dr. Kristina Schröder: Das Betreuungsgeld ist ein Vorhaben, das im Koalitionsausschuss verabredet wurde. Und ich sage: Verlässlichkeit ist auch eine Kategorie der Politik. Was wir beschlossen haben, muss umgesetzt werden.
Frage: Wird es Zeit für eine Denkpause, um den besten Weg zu finden?
Dr. Kristina Schröder: Ich habe eine Formulierungshilfe vorgelegt. Die weitere Ausgestaltung liegt jetzt beim Parlament. Heftig finde ich, wie in der Opposition über das Betreuungsgeld gesprochen wird. Es gibt gewichtige Argumente in dieser Debatte: familienpolitische, gleichstellungspolitische, finanzpolitische. Aber die Internet-Kampagne der Grünen ist verantwortungslos. Sie stellt fröhliche Kinder, die in der Kita spielen, gegen ein vereinsamtes Kind zu Hause vor dem Fernseher. Die Grünen unterstellen damit, dass ein- und zweijährige Kinder, die nicht in eine Kita gehen, grundsätzlich zuhause vor der Glotze geparkt würden. Da wird ein Lebensmodell verunglimpft, für das sich viele Familien im zweiten und dritten Lebensjahr ihrer Kinder nach langer Abwägung entscheiden. Die Grünen beschimpfen Eltern insgesamt und besonders Frauen, dass sie das falsche Leben führen. Über diese Intoleranz, diese Arroganz und diesen Mangel an Respekt rege ich mich auf.
Frage: FDP-Chef Rösler fordert Nachbesserungen an Ihrem Gesetzentwurf. Er kritisiert, dass Ihr Gesetzentwurf den Parallelbezug von Betreuungs- und Elterngeld zulässt.
Dr. Kristina Schröder: Das FDP-geführte Bundesjustizministerium hat in der Ressortabstimmung die Auffassung bestätigt, dass es verfassungsrechtlich bedenklich wäre, einen Parallelbezug von Betreuungs- und Elterngeld auszuschließen. Das würde Alleinerziehende benachteiligen.
Frage: Als im Bundestag die erste Lesung stattfinden sollte, haben Sie - wie viele andere Abgeordnete der Koalition - gefehlt. Ein heimlicher Protest gegen das Betreuungsgeld?
Dr. Kristina Schröder: Quatsch! Anders als viele glauben ging es bei der geplatzten Abstimmung gar nicht ums Betreuungsgeld, sondern um das Wettbewerbsrecht. Ich habe aufgrund von Baustellen und der abgesperrten Fanmeile schlicht im Verkehr festgesteckt.
Frage: Der Ausbau von Kitaplätzen ist jedenfalls eher Ihre Sache. Wie wollen Sie sicherstellen, dass der Rechtsanspruch wie geplant im August 2013 greift?
Dr. Kristina Schröder: Der Kita-Ausbau ist das mit Abstand wichtigste familienpolitische Thema. Daran müssen Bund, Länder und Kommunen mit aller Kraft arbeiten. Der Rechtsanspruch steht und er bleibt, daran ist mit mir nicht zu rütteln.
Frage: Wie viele Plätze fehlen noch?
Dr. Kristina Schröder: 160 000 insgesamt. Diese Lücke können wir nur schließen, wenn sich alle an ihre Finanzzusagen halten. Auch die Länder müssen ihr Drittel beisteuern. Mehrere Länder haben noch nicht einmal das bereit stehende Geld des Bundes in dem Maße beantragt, wie sie das könnten. Ich erwarte von den Ländern, dass sie ihre Planungen für das kommende Jahr endlich verbindlich auf den Tisch legen.
Frage: Wie wollen Sie das hinbekommen?
Dr. Kristina Schröder: Ich habe jetzt die Familienminister der Bundesländer angeschrieben und ihnen eine Frist gesetzt. Länder, die bis zum 30. September nicht mindestens 90 Prozent der Bundesmittel verbindlich beantragt haben, werden zum Jahresbeginn 2013 Geld, das für sie vorgesehen war, an andere Bundesländer abgeben müssen. Baden-Württemberg, Bremen und NRW haben, um nur Beispiele zu nennen, zusammen noch fast 150 Mio. Euro Bundesgelder nicht beantragt. Es wäre unverantwortlich und unsolidarisch, die Mittel verfallen oder ungenutzt liegen zu lassen.
Frage: Ihr Mann ist Staatssekretär im Bundesinnenministerium. Wie organisieren Sie die Betreuung Ihrer Tochter?
Dr. Kristina Schröder: Wir haben das Glück, dass wir tolle Unterstützung durch unsere Familien - meine Eltern und Schwiegereltern - bekommen. Die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie ist für uns eine echte Herausforderung. Ich bin ja schon in mein Ministeramt zurückgekehrt, als unsere Tochter zehn Wochen alt war. Meine Arbeit erfordert viel Zeit, aber ich setze Prioritäten und lasse viele Abendtermine weg. Und manchmal nehme ich meine Tochter mit ins Büro oder mache meine Arbeit zu Hause. Mein Mann hält das ähnlich.
Frage: Haben Sie sich schon einen Kitaplatz gesichert?
Dr. Kristina Schröder: Wir wissen jedenfalls, wie schwer das ist.