Im Interview mit der Welt spricht Bundesfamilienministerin Kristina Schröder über Rechtsextremismus in Deutschland, die Demokratieerklärung für Initiativen sowie den Plan, Beratungsarbeit über Extremismus stärker zu fördern. Außerdem spricht Kristina Schröder über das Betreuungsgeld und das neue Bundeskinderschutzgesetz.
Die Welt: Frau Schröder, sind Sie auf dem rechten Auge blind?
Kristina Schröder: Nein, ich sehe mit beiden Augen völlig klar. Wir sind alle erschüttert über die schrecklichen Nazi-Morde. Wir müssen uns jetzt fragen, ob es da nicht auch Fehler im System gab oder ob ein neuer Anlauf für ein NPD-Verbot sinnvoll wäre. Es ist abstrus von der Opposition, mir zu unterstellen, ich würde die Arbeit gegen Rechtsextremismus relativieren, nur weil ich neue Projekte gegen Linksextremismus und Islamismus entwickelt habe. Das sind unterschiedliche Phänomene.
Die Welt: Sie haben vor Deutschenfeindlichkeit gewarnt, während Neonazis ausländische Mitbürger ermordeten. Haben Sie die Gefahr unterschätzt?
Kristina Schröder: Wir waren uns immer einig, dass Rechtsextremismus ein großes Problem in Deutschland darstellt. Weil hier Gewalt gegen Menschen ausgeübt wird und weil er einen parteipolitischen Arm besitzt, die NPD, die auch noch von Steuergeldern profitiert. Wir haben aber nicht erkannt, dass es bereits agierende rechtsterroristische Strukturen gibt. Auch ich nicht, und das ärgert mich sehr.
Die Welt: Warum gibt es bei den Opfern rechtsextremistischer Gewalt eine so große Diskrepanz zwischen der offiziellen Zahl und jener, die Stiftungen und Medien ermittelt haben?
Kristina Schröder: Dass es rechtsextremistische Morde gibt, wussten wir schon vor der Aufdeckung dieser Mordserie. Die Zahlen gehören aber in der Tat noch einmal auf den Prüfstand. Richtig ist auch: Die Mittel, die wir für die Bekämpfung von Rechtsextremismus zur Verfügung stellen, sind so hoch wie bei keiner anderen Bundesregierung zuvor.
Die Welt: Dennoch hat man von Ihnen viel über Linksextremismus und Islamismus gehört, aber wenig zu Rechtsextremismus.
Kristina Schröder: Wer hören will, der hört auch. Erst vor Kurzem habe ich ein Projekt zu "Rechtsextremismus und Sport" initiiert. Ich war jahrelang aktiv im Bündnis für Demokratie und Toleranz und habe erfolgreich dafür gekämpft, dass das Aussteigerprogramm Exit Deutschland gerettet wird. Mir ist die konkrete Arbeit an der Sache wichtiger als die öffentlichkeitswirksame Empörung.
Die Welt: Grünen-Fraktionschefin Renate Künast hat Ihnen einen "Mangel an Herzensbildung" vorgeworfen.
Kristina Schröder: Frau Künast muss wissen, welchen Stil sie persönlich pflegt. Für mich steht eines fest: Für die Bekämpfung des Extremismus braucht man Herz, man braucht aber auch Hirn.
Die Welt: Setzen Sie falsche Schwerpunkte?
Kristina Schröder: Ich stelle 24 Millionen für den Kampf gegen Rechtsextremismus und fünf Millionen für die Prävention von Linksextremismus und Islamismus bereit. Der Schwerpunkt ist hier eindeutig.
Die Welt: Wie erklären Sie sich die Kritik?
Kristina Schröder: Mit einigen der besonders kritischen Initiativen arbeite ich gleichzeitig eng und gut zusammen. Die haben im Übrigen auch alle die Demokratieerklärung unterzeichnet ...
Die Welt: ... die sogenannte Extremismusklausel. Ihre Kritiker werfen Ihnen vor, damit alle, die gegen Rechtsextremismus kämpfen, unter Generalverdacht zu stellen.
Kristina Schröder: Ich fordere dieses Bekenntnis von allen, auch von den Initiativen gegen Linksextremismus und Islamismus. Was würde ich zu Recht für Kritik ernten, wenn ich einer Initiative gegen Islamismus, die mit Islam-Hassern zusammenarbeitet, Geld geben würde?
Die Welt: Aber wozu überhaupt ein Bekenntnis? Ist es nicht eine Selbstverständlichkeit, dass man sich auf dem Boden der Rechtsordnung bewegt?
Kristina Schröder: Wenn das eine Selbstverständlichkeit wäre, bräuchten wir ja keine Anti-Extremismus-Programme. Außerdem: Es geht hier doch nicht um die Förderung von Solaranlagen. Es geht hier um staatliche Gelder für die Stärkung der Demokratie. Da reicht es nicht, zu wissen, wogegen jemand ist. Man muss auch wissen, wofür er steht. Die Klausel wird bleiben. Ich werde meinen Weg da unbeirrt fortsetzen. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass nur diejenigen mit staatlichen Geldern unterstützt werden, die sich auch zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen.
Die Welt: Es gibt Versuche, dagegen zu klagen.
Kristina Schröder: Dem sehe ich gelassen entgegen. Im Übrigen hat ja die SPD-Sozialministerin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, erst 2010 ein ganz ähnliches Demokratiebekenntnis für die Betreiber von Kitas eingeführt, weil NPD-Sympathisanten versucht hatten, eine Kita zu unterwandern. Interessanterweise regt sich über Frau Schwesigs Demokratieerklärung niemand auf - zu Recht, wie ich finde.
Die Welt: Ein anderer Vorwurf gegen Sie lautet, dass mit den Fördermitteln vor allem CDU-nahe Organisationen unterstützt werden, unter anderem auch eine Touristen-Sauftour der Jungen Union Köln nach Berlin.
Kristina Schröder: Ich habe mir noch einmal genau angeschaut, wer von den parteinahen Organisationen bis jetzt am meisten profitiert hat: die SPD-nahen sozialistischen Falken und die grüne Heinrich-Böll-Stiftung. Im Fall der Jungen Union Köln war das keine Sauftour, aber die hatten ein feuchtfröhliches Ausklingen des Tages als eigenen Programmpunkt aufgeführt. Das geht nicht, das habe ich denen auch deutlich gesagt, die Fahrt fand nicht statt.
Die Welt: Sie wollten die Mittel gegen Rechtsextremismus kürzen. Unionsfraktionschef Volker Kauder hat nun angekündigt, dass sie stattdessen aufgestockt werden. Stellt sich jetzt die eigene Fraktion gegen Sie?
Kristina Schröder: Nein, die Mittel für die Projekte sollten ja niemals gekürzt werden. Wir hatten bislang Verwaltungsaufgaben für viel Geld an externe Dienstleister vergeben. Diese können wir künftig selber machen lassen. Da jetzt der Titel wieder um zwei Millionen aufgestockt wurde, aber die Verwaltungseinsparungen bleiben, habe ich nun unterm Strich sogar zwei Millionen mehr für Projekte gegen Rechtsextremismus.
Die Welt: Aber ursprünglich sollten sie wegfallen. Nun hat Kauder sie wohl auf Druck der Grünen wieder in Aussicht gestellt. Fühlen Sie sich übergangen?
Kristina Schröder: Nein, noch einmal, ich bin Volker Kauder dankbar. Denn ich bekomme das Geld jetzt zusätzlich. Aus meinem Haushalt hätte ich neue Mittel nicht aufbringen können.
Die Welt: Wie werden Sie das Geld einsetzen?
Kristina Schröder: Ich plane, die Beratungsarbeit stärker zu fördern. Die findet vor Ort statt und wird besonders benötigt.
Die Welt: Neben der Extremismus-Debatte kämpfen Sie noch mit einem weiteren heiklen Thema: dem Betreuungsgeld. Wie geht es da weiter?
Kristina Schröder: Wir sind noch in der Phase der Ausgestaltung. Wichtig ist, dass mit dem Betreuungsgeld keine Fehlanreize gesetzt werden. Es muss die Möglichkeit geben, trotz Betreuungsgeld zumindest Teilzeit zu arbeiten.
Die Welt: Gerade unter den Unionsfrauen ist das Betreuungsgeld umstritten. Bei einem für die kommende Woche geplanten Krisengipfel waren Sie zunächst nicht eingeladen. Wie viel Einfluss haben Sie überhaupt noch in der Debatte?
Kristina Schröder: Ohne mich läuft da gar nichts. Meine Aufgabe ist es, das Thema vom Ende her zu denken und das Gesetz zu formulieren. Ausgangspunkt für das von Ihnen genannte Treffen ist ja die Frage, wie die Erziehungszeiten bei der Rente besser berücksichtigt werden können. Das betrifft das Arbeitsministerium. Ich selber bin, wenn das Rentengespräch stattfindet, bei der letzten Sitzung des Runden Tisches gegen Kindesmissbrauch. Dieser Termin hat von der Schwere her sicherlich Vorrang.
Die Welt: Ein anderes Projekt von Ihnen, das neue Kinderschutzgesetz, ist am Freitag im Bundesrat gescheitert. Welche Zugeständnisse werden Sie machen müssen?
Kristina Schröder: Noch am Vortag der Abstimmung hatten wir auf praktisch alle Wünsche der Länder neue Angebote gemacht. Wenn es um irgendwelche Verwaltungstechnik ginge, wäre der Schaden, den die SPD-Länder angerichtet haben, nicht so schlimm. Weil es um Kinderschutz geht, haben wir keine Zeit zu verlieren, deshalb bin ich schon in der Stunde nach der Abstimmung in Gespräche eingetreten, um mit dem Vermittlungsausschuss das Kinderschutzgesetz zu retten.
Die Welt: Sie stehen immer wieder in der Kritik. Sind Sie Ihrem Amt nicht gewachsen?
Kristina Schröder: Wo viel gehobelt wird, da fallen viele Späne. Ich bringe momentan viele Projekte zu einem Abschluss. Die Familienpflegezeit zum Beispiel ist geräuschlos beschlossen worden. In anderen Fällen gibt es eben oft Kritik und unterschiedliche Mehrheiten. Das ist der Kern des Politischen. Meine Aufgabe ist, die Dinge trotzdem hinzubekommen und auch nicht zu kuschen, nur weil man gerade mal ein bisschen angegriffen wird.
Das Interview wurde am 26. November in der Welt veröffentlicht. Das Gespräch führte Miriam Hollstein.