Bundesfamilienministerin Kristina Schröder im Interview mit der Rheinischen Post

Bundesfamilienministerin Dr. Kristina Schröder gab der Rheinischen Post (Erscheinungstag 4. August 2012) das folgende Interview:

Frage:Frau Ministerin, wie organisieren Sie während dieses Interviews die Betreuung ihrer einjährigen Tochter?

Dr. Kristina Schröder: In der Sommerpause oder in sitzungsfreien Wochen nehmen wir sie auch mal mit ins Büro oder arbeiten von zuhause aus. Ansonsten müssen wir das organisieren wie viele andere Familien auch. Wir haben viel Unterstützung von unseren Familien.

Frage:Hat sich Ihre Sicht auf die Politik verändert in dem Jahr als Mutter?

Dr. Kristina Schröder: Mich hat immer dieser wissende Blick von Eltern genervt, nach dem Motto: "Bekomm du erst mal ein Kind, wenn du über unsere Themen reden willst". Aber es stimmt, dass es etwas anderes ist, vorher rational über das Muttersein nachzudenken und es dann zu erleben. Die kleinsten Dinge des Alltags verändern sich und die Organisation ist aufwändig. Aber irgendwie bekommen wir es am Ende doch meist hin.

Frage:Wenn Sie nicht Ministerin wären, käme für Sie das Betreuungsgeld infrage?

Dr. Kristina Schröder: Betreuungsgeld heißt jedenfalls nicht, dass man nicht berufstätig ist. Es bedeutet, dass Eltern die Betreuung privat organisieren. Ich bin grundsätzlich froh, diese Möglichkeiten der unterschiedlichen Betreuung zu haben.

Frage:Mehr Flexibilität als Argument für das Betreuungsgeld?

Dr. Kristina Schröder: Es ist in der Tat so, dass sich Familien beispielsweise zusammenschließen können und  mit Hilfe des Betreuungsgeldes gemeinsam eine Tagesmutter organisieren. Das Betreuungsgeld ermöglicht Vielfalt in der Betreuung. Das ist neu. Bis vor ein paar Jahren hat der Staat gesagt, die Betreuung der Unter-Dreijährigen geht uns nichts an. Das ist jetzt anders. Und das ist eine gute Entwicklung.

Frage:Das Betreuungsgeld wird in Deutschland mehrheitlich abgelehnt. Auch in Ihrer Partei gibt es Kritik. Sie selbst waren mal gegen diese Leistung und legen nun ein Gesetz dafür vor. Warum?

Dr. Kristina Schröder: Ich habe immer gesagt, es ist vertretbar, den einen eine Sachleistung zu geben in Form eines Kita-Platzes, der den Staat rund 1.000 Euro im Monat kostet und den anderen eine Barleistung. Das ist eine zutiefst freiheitliche Politik. Es hat aber auch bei mir einen Sichtwechsel gegeben. Ich hätte vor der Debatte über das Betreuungsgeld nicht für möglich gehalten, wie Mütter für ihren Lebensentwurf abqualifiziert werden. Was da aus der linken Hälfte des Parlamentes zu hören ist, grenzt an Diffamierung von Eltern. Aber auch die gegenteiligen Ressentiments, nach dem Motto, die Mütter sollen alle zuhause bleiben, lehne ich ab. Ich stehe für Wahlfreiheit. Das Betreuungsgeld ist ein Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag und es wird im Herbst beschlossen.

Frage:Mit welchen Änderungen?

Dr. Kristina Schröder: Das entscheiden die Bundestagsfraktionen. Ich habe die begründete Hoffnung, dass am Ende des Prozesses die Auszahlung des Betreuungsgeldes an die Vorsorgeuntersuchungen geknüpft wird. Da habe ich viele in der Unionsfraktion auf meiner Seite. 

Frage:Man hat eher das Gefühl. Sie sind Frauenministerin, aber die Frauen sind gegen Sie?

Dr. Kristina Schröder: Das ist Unsinn. Zum Glück sind die Frauen in Deutschland ja kein monolithischer Block. Wenn Sie auf die Diskussion um die Frauenquote anspielen. Wir sind uns alle im Ziel einig, nun diskutieren wir über die Mittel. Ich bleibe bei meiner Überzeugung, dass eine starre Quote für alle Unternehmen von der Stahlindustrie bis zur Kreativbranche nicht sinnvoll ist. Davon profitieren nur einige wenige Schaufenster-Frauen im Aufsichtsrat, aber es findet kein Kulturwandel statt. Mein Modell einer Flexi-Quote erlaubt es dagegen den Firmen, individuelle Quoten festzulegen. Der öffentliche Druck wird dafür sorgen, dass sich kein Unternehmen erlauben kann, eine Quote von 10 Prozent zu präsentieren. Und wenn die Unternehmen in einem bestimmten Zeitraum ihr Ziel nicht erreichen, werden harte Sanktionen fällig, bis hin zu Strafzahlungen. Das ist meiner Meinung nach der intelligentere Weg, um Frauen auf allen Ebenen in der Wirtschaft zu fördern.

Frage:Dann wird die Flexi-Quote sicher auch im CDU-Wahlprogramm für die Bundestagswahl stehen?

Dr. Kristina Schröder: Daran arbeite ich, und ich komme gut voran. Mein Modell erfährt in der Partei breite Unterstützung.

Frage:Ihre Parteifreundin, Frau von der Leyen, will aber etwas anderes.

Dr. Kristina Schröder: Ich bin die zuständige Frauenministerin.

Frage:Die EU-Kommissarin Reding will schon im Oktober eine feste Quote europaweit einbringen.

Dr. Kristina Schröder: Es gibt unterschiedliche rechtliche Auffassungen, ob die EU-Kommission für die Frauenquote überhaupt zuständig ist. Gerade bei diesem Thema müssen die Länder ihre eigenen Wege gehen dürfen.

Frage:Rechnen Sie wirklich damit, dass das zum 1. August 2013 genug Kita-Plätze gibt?

Dr. Kristina Schröder: Ganz Deutschland braucht 780.000 Plätze, in diesem Frühjahr haben noch 160.000 gefehlt. Zwischen März 2011 und Mai 2012 sind allein 100.000 Plätze entstanden, für den Rest haben die Länder 14 Monate. Das heißt, die Länder müssen nochmal deutlich Tempo machen. Aber sie können es schaffen, zumal der Bund für die 30.000 Plätze, die die Länder gegenüber den Schätzung von 2007 noch zusätzlich brauchen, auch noch einmal 580 Mio. Euro zusätzlich drauf gelegt hat. Ich bin froh, dass ich dieses Geld erkämpfen konnte.

Frage:Und wenn es nicht schnell genug geht?

Dr. Kristina Schröder: Der Druck ist ja vor allem bei den Kommunen da. Sie würden verklagt, wenn sie nicht genügend Plätze anbieten. Ich bin froh, dass der Rechtsanspruch im Gesetz steht Es gehört auch zur historischen Wahrheit, dass vor allem die SPD ihn unbedingt haben wollte.

Frage:Wären mehr Betriebskitas eine Lösung?

Dr. Kristina Schröder: Es müsste viel mehr davon geben. Viele Städte haben gar nicht die Flächen in der Innenstadt für mehr Kitas, Betriebe im Gewerbegebiet aber schon. Unternehmen, die das anbieten, geben wir in den ersten zwei Jahren einen Zuschuss von 6.000 Euro pro Platz und Jahr. Hier wollen wir noch mehr Anreize schaffen. Da sehe ich ein riesiges Potenzial.

Frage:Nirgendwo in Europa werden Familien so stark gefördert wie in Deutschland, trotzdem gibt es hier nicht mehr Kinder...

Dr. Kristina Schröder: Ich bin Soziologin und deshalb relativ zurückhaltend, was den Glauben angeht, dass man mit politischen Maßnahmen auf die Geburtenrate Einfluss nehmen kann. Es gibt nur eine einzige politische Maßnahme, die sich direkt auf die Geburtenrate auswirkt und für die kämpfe ich auch gerade: Paare, die ungewollt kinderlos sind, müssen bei der Finanzierung von künstlichen Befruchtungen stärker unterstützt werden. Als 2004 die Selbstbeteiligung eingeführt wurde, ist die Zahl der künstlichen Befruchtungen in Deutschland innerhalb eines Jahres von 17.000 auf 8.000 gesunken. Viele wünschen sich ein Kind, können sich aber nur einen Versuch im Jahr leisten. Da bleiben dann viele Kinderwünsche unerfüllt.

Frage:Wie wollen Sie den Paaren denn helfen?

Dr. Kristina Schröder: Ich habe erst einmal 17 Millionen Euro erkämpft, aber auch die Bundesländer müssen sich beteiligen. Bis jetzt machen nur Niedersachsen, Sachsen und Sachsen-Anhalt mit. Im Moment müssen die Paare pro Versuch die Hälfte der Kosten selbst zahlen - das sind 1.600 bis 2.000 Euro. Künftig sollen die Paare nur noch ein Viertel selbst bezahlen. Die 25 Prozent, die künftig übernommen werden sollen, teilen sich Bund und Land. Aber viele Länder-Familienminister beißen bei ihren Finanzministern auf Granit.

Frage:Wie viel Geld müssten denn Nordrhein-Westfalen/Rheinland-Pfalz in die Hand nehmen?

Dr. Kristina Schröder: In NRW sind das schätzungsweise 4 Mio. Euro im Jahr. / In Rheinland-Pfalz sind das schätzungsweise 500.000 Euro im Jahr.

Frage:Und alle anderen Familienleistungen bringen gar nichts?

Dr. Kristina Schröder: Familienpolitik ist ja keine Gebärprämienpolitik. Es geht darum, Menschen die Kinder haben, in ihren Bedürfnissen zu unterstützen. Es wünschen sich schon wieder mehr Menschen in Deutschland Kinder. Wir haben auch zarte Anzeichen dafür, dass Akademiker sich wieder häufiger für Kinder entscheiden. Aber es wäre unseriös anzunehmen, dass das etwas mit dem Elterngeld zu tun hat.

Frage:Können Sie ausschließen, dass beim Elterngeld gekürzt oder dass es ganz gestrichen wird?

Dr. Kristina Schröder: Das kann ich ausschließen. Wir haben bereits gekürzt. Der Finanzminister hat mir zugesagt, dass damit der Sparbeitrag von Familien für diese Legislaturperiode beim Elterngeld eindeutig erbracht ist.

Frage:Sie sind als Innenpolitikerin in der Politik bekannt geworden. Wären Sie manchmal lieber Innenministerin?

Dr. Kristina Schröder: Ich war zwar mit Leidenschaft Innenpolitikerin. Was mich im Augenblick im Innenministerium reizt ist aber allein der Parlamentarische Staatssekretär Ole Schröder (Anm. der Red. Kristina und Ole Schröder sind verheiratet).

Frage:Was lesen Sie gerade?

Dr. Kristina Schröder: Einen Roman über den ersten Weltkrieg von Ken Follett: Sturz der Titanen.

Frage:Wie entspannen Sie?

Dr. Kristina Schröder: Mit Schlafen, Joggen, mit Lesen oder Spazierengehen.

Frage:Welche Schlagzeile würden Sie gern im Sommerloch lesen?

Dr. Kristina Schröder: Waffenruhe in Syrien. Es wird nämlich dringend Zeit.