Bundesfamilienministerin Kristina Schröder im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung

Dr. Kristina Schröder gab der Neuen Osnabrücker Zeitung (Erscheinungstag 2. März 2013) das folgende Interview:

Frage: "Kristina Schröder bewegt sich zwischen Helmut-Kohl-Postern und Barbie-Puppenhaus." Wie bewerten Sie die Sprüche von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück und speziell diesen, den er auf Sie gemünzt hat?

Dr. Kristina Schröder: Ich hatte weder ein Helmut-Kohl-Poster noch ein Barbie-Puppenhaus. Aber Faktensicherheit ist nicht Peer Steinbrücks Stärke - und Taktgefühl auch nicht, wie seine Beschimpfung der italienischen  Wähler beweist. Er sollte die Clownereien lassen und sich öfter fragen: Will er Kanzler werden oder Praktikant bei Stefan Raab?

Frage:  Steinbrück will die 156 auf Ehe und Familie bezogenen Leistungen des Bundes mit einem Volumen von jährlich 200 Milliarden Euro neu ordnen. Als Finanzminister in den Jahren 2005 bis 2009 hat er dieses Fass nicht aufgemacht...

Dr. Kristina Schröder: Weil er genau weiß, dass nur ein Viertel der 200 Milliarden Euro wirklich Familienleistungen im engeren Sinn sind. Der mit 38 Milliarden Euro größte Brocken dieser Summe wird ausgegeben für die Witwenrente - und daran wird wohl niemand rütteln wollen. Die Frage ist doch, woran der Erfolg von Familienleistungen zu bemessen ist. Ein gelungener Lastenausgleich, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, das Wohlergehen von Kindern, die Wahlfreiheit und die Erfüllung des Wunsches nach Kindern sind die entscheidenden Ziele. Ich bezweifle sehr, dass auch nur eines davon in Frage gestellt werden kann.

Frage: Sie lassen die Rentabilität der Familienpolitik durch Gutachter prüfen und wollen die Studie im Frühsommer veröffentlichen. Droht das Thema im Wahlkampf verschlissen zu werden?

Dr. Kristina Schröder: Auf diese Auseinandersetzung freue ich mich. Familienpolitik gehört in den Wahlkampf. Wir sollten bewusst in den Mittelpunkt stellen, was Familien leisten. Es regt mich auf, wenn Familien jetzt auch noch beschimpft werden,  dass sie angeblich dem Staat auf der Tasche lägen. Erste Prüfungsergebnisse sind schon veröffentlicht und natürlich kann manches besser sein. Ich wehre mich aber gegen die schlichte Ansicht, dass nur ein Anstieg der Geburtenrate gute Familienpolitik belegt. Außerdem: Es gibt hier Anzeichen für eine Tendenz nach oben.

Frage: Was heißt das genau?

Dr. Kristina Schröder: Der Wunsch nach Kindern steigt wieder an - das ist empirisch belegt. Die Geburtenrate bei den heute 49-jährigen Frauen liegt bei 1,57 - also deutlich höher als der landläufig zum Maßstab genommene Wert von 1,4, der auch Frauenjahrgänge einschließt, die das Kinderkriegen noch vor sich haben.

Frage: Politischer Stillstand vor der Bundestagswahl im September oder sehen Sie noch Möglichkeiten, Pflöcke einzuschlagen?

Dr. Kristina Schröder: Wir haben mit der Strafbarkeit von Zwangsehen und den Klarstellungen zur Beschneidung von Jungen bereits zwei wichtige Bereiche neu geregelt, bei denen die alten Regelungen nicht mehr zeitgemäß waren. Was noch fehlt ist ein starkes Signal, dass die Genitalverstümmelung von Mädchen und Frauen von uns nicht nur abgelehnt wird, sondern konsequent und eindeutig strafrechtlich verfolgt wird. Es wäre gut, da noch in dieser Legislaturperiode tätig zu werden. Die Familienpolitiker von Union und FDP sind mit mir da einer Meinung.

Frage: Die 2012 eingeführte Pflegezeit für Familien wird kaum genutzt. Woran liegt es?

Dr. Kristina Schröder: Dieses Angebot muss bei den Arbeitnehmern stärker bekannt gemacht werden. Daran werden wir arbeiten, denn das Angebot ist für viele Menschen eine große Hilfe in Not. Es eröffnet die Chance einer zweijährigen Reduzierung der Arbeitszeit für die Pflege von Angehörigen - seien es Eltern, Ehepartner oder auch Kinder. Viele Arbeitgeber und Betriebsräte wissen offenbar nicht, dass die Betriebe für den Lohnvorschuss während der Familienpflegezeit zinslose Darlehen erhalten.

Frage: Der Arbeitgeberverband zeigt hohes Interesse, junge Mütter in den Beruf zu bringen. Tun die Arbeitgeber genug für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf?

Dr. Kristina Schröder: Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt hat zuweilen sehr merkwürdige Vorstellungen, beispielsweise scheint ihm schon ein Jahr Elternzeit zu lang zu sein. Dabei nehmen 97 Prozent aller Eltern diese Auszeit und das Elterngeld in Anspruch. Ähnlich wie bei Herrn Hundt wird auch von Rot-Grün die Vollzeitarbeit beider Eltern als einziges Ideal propagiert. Dagegen verwahre ich mich in aller Entschiedenheit. Familien dürfen nicht als Manövriermasse für ökonomische Zwecke oder Steinbruch gegen den Fachkräftemangel missbraucht werden.

Frage: Sie fordern ein Rückkehrrecht in Vollzeitarbeit für Mitarbeitende, die wegen der Familie ihre Arbeitszeit reduziert haben. Welche Reaktion haben Sie aus der Wirtschaft?

Dr. Kristina Schröder: Es gab es noch keinen Protest. Und aus CDU und CSU bekomme ich sehr viel Unterstützung für das Ziel, dem Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit ein umgekehrtes Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeitarbeit folgen zu lassen. Denn dies entspricht der Lebenswirklichkeit und den Wünschen vieler junger Frauen und würde Teilzeitarbeit auch für Männer attraktiver machen.

Frage: In der Union  gibt es Streit um die Homo-Ehe. Vertreter des konservativen CDU-Flügels und der CSU lehnen es strikt ab, das steuerliche Ehegattensplitting auf gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften auszuweiten. Können sie das nachvollziehen?

Dr. Kristina Schröder: Nachvollziehen kann ich viel, nur teilen kann ich es nicht. Wir müssen aufpassen, dass bei der ganzen Debatte nicht am Ende der gesellschaftliche Stellenwert von Ehepaaren, die aus welchen Gründen auch immer keine Kinder haben, Schaden nimmt. Das Versprechen, in guten und in schlechten Zeiten füreinander da zu sein, ist nämlich ein Wert an sich. Wir sollten bei der Debatte, wer vom Staat welche Förderung erhalten soll, zwei Blickwinkel stärker auseinanderhalten: Einerseits die gegenseitige Verantwortungsübernahme, wie sie in der Ehe und in der eingetragenen Partnerschaft zum Ausdruck kommt, und andererseits das Vorhandensein von Kindern. Und wenn dann beides zusammenfällt - umso besser.

Frage: 8,9 Millionen Beschäftigte, also jeder vierte, arbeitet ständig oder regelmäßig am Wochenende. 2001 waren es nur 6,7 Millionen. Auch Schichtarbeit nimmt zu. Ist Familienleben zum Beispiel mit gemeinsamen Mahlzeiten ein Auslaufmodell?

Dr. Kristina Schröder: Nein. Gemeinsame Familienzeit hat nach wie vor einen sehr hohen Rang. Ich sehe mit Besorgnis, dass viele kleine Einzelhandelsunternehmen unter Druck stehen, ähnlich wie große Ketten bei jeder Gelegenheit auch sonntags zu öffnen - zu Lasten von Mitarbeitern und deren Familien. Deshalb bin ich zum Beispiel sehr zurückhaltend, wenn es um verkaufsoffene Sonntage geht.

Frage: Sie haben einen "KinderServer" gestartet, der junge Internetnutzer vor Schmuddel- oder Gewaltinhalten im Netz schützen soll. Die kostenlose Software kann auf Windows- oder Mac-Computern installiert werden. Spielt Medienerziehung in Schulen eine hinreichend große Rolle?

Dr. Kristina Schröder: Meines Erachtens gehört gezielte Medienerziehung spätestens in der Mittelstufe in den Unterricht, um die Jugendlichen für die Gefahren allzu sorgloser Datenverbreitung in sozialen Netzwerken sensibel zu machen. In der Oberstufe muss dann der kritische Umgang mit Quellen geübt werden. Es ist schon in Ordnung, bei Referaten beispielsweise Wikipedia zu nutzen. Aber Jugendliche sollten früh genug lernen, welche Information seriös ist und welche nicht, damit sie nicht irgendwelchen versprengten Verschwörungstheorien aus dem Internet auf den Leim gehen.