Bundesfamilienministerin Kristina Schröder im Interview mit der Freundin

Bundesfamilienministerin Dr. Kristina Schröder gab der Freundin (Erscheinungstag 18. April 2012) das folgende Interview:

Frage: Frau Schröder, "Danke, emanzipiert sind wir selber" klingt bissig, beinahe angriffslustig. Wem gilt diese Kampfansage?

Dr. Kristina Schröder: Ich wende mich an all diejenigen, die uns Frauen in Deutschland erklären wollen, wie ein richtiges Frauenleben aussieht. Von denen gibt es hierzulande eine Menge, und es sind beileibe nicht nur Männer, die diese Rollendiktate vorgeben.

Frage: Sondern?

Dr. Kristina Schröder: Sowohl strukturkonservative Frauen wie Eva Herman als auch Feministinnen wie Alice Schwarzer wähnen sich allzu gerne im Besitz allgemeinverbindlicher Wahrheiten und reagieren ziemlich ungnädig, wenn es jemand wagt, sich ihren Vorgaben zu entziehen oder die Lebensentwürfe sogar zu mixen. Die einen meinen, eine Mutter gehöre selbstverständlich nach Hause zu ihren Kindern, die anderen, sie müsse aus Gründen der Gleichberechtigung Vollzeit arbeiten.

Frage: Und wie sehen Sie das?

Dr. Kristina Schröder: Ich halte es für eine persönliche Entscheidung, bei der es kein Richtig oder Falsch gibt. All diesen Betonköpfen halte ich entgegen, und zwar nicht als Ministerin, sondern einfach als junge Frau: 'Danke, wir brauchen keine Leitbilder, wir sind selbst in der Lage, unser Lebenskonzept zu definieren und die entsprechenden Entscheidungen zu treffen'.

Frage: Sie haben sich entschieden, drei Monate nach der Geburt Ihrer Tochter Lotte wieder an Ihren Arbeitsplatz zurückzukehren – und haben dafür heftig Kritik einstecken müssen.

Dr. Kristina Schröder: Ich habe einige Briefe bekommen, in denen man mich als "Rabenmutter" bezeichnet hat oder sogar meinte, wer sein Kind so sträflich vernachlässige, solle keinen Nachwuchs bekommen dürfen.

Frage: Hat Sie das gekränkt?

Dr. Kristina Schröder: Nein, die Vorwürfe kamen ja nicht aus meinem Familien- und Freundeskreis. Es hat mich auch nicht überrascht, so harsch verurteilt zu werden. Ich bin mit diesem Kulturkampf schließlich schon konfrontiert worden, als ich mein Amt antrat. Damals haben sich zuerst alle darüber aufgeregt, wie eine unverheiratete Frau ohne Kinder Familienministerin werden kann. Bei meiner Vorgängerin Ursula von der Leyen hatten sich die Leute echauffiert, weil sie als Mutter von sieben Kindern so ein Amt annahm. Und als mein Mann und ich dann Nachwuchs erwarteten, ging es nahtlos mit der Frage weiter, wie das denn bitteschön funktionieren solle. Den Druck, den man hierzulande auf Frauen ausübt, kenne ich also aus persönlicher Erfahrung.

Frage: Warum tun sich andere Länder denn so viel leichter, sich auf moderne Familienmodelle einzustellen?

Dr. Kristina Schröder: Möglicherweise, weil bei ihnen nicht die Vorstellung herrscht, dass nur die Frau eine richtig gute Mutter ist, die es sich möglichst schwer macht. In Deutschland ist man idealerweise perfekte Vollzeitmutter und aufstrebende Karrierefrau in Personalunion. Frauen haben dadurch das Gefühl, dass sie – ganz gleich, wofür sie sich entscheiden - irgendetwas falsch machen. Dieses Klima ist mit Sicherheit ein Grund dafür, warum die Deutschen so wenig Kinder kriegen.

Frage: Naja, es fehlen wohl auch wichtige Voraussetzungen wie Krippenplätze oder Ganztagsschulen…

Dr. Kristina Schröder: Die Politik kümmert sich tatsächlich erst seit einigen Jahren intensiv um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Und wohl auch deshalb denken viele in Deutschland immer noch im "Entweder Kind oder Karriere"-Modus.

Frage: Und wie wollen Sie als Familienministerin die Deutschen dazu bewegen, Ja zum Kind zu sagen?

Dr. Kristina Schröder: Jedenfalls nicht, indem ich ebenfalls anfange vorzugeben, wie lange man zuhause bleibt und wann man wieder in den Beruf zurückkehrt. Ich kann nicht wegdefinieren, dass jeder Weg seine Schattenseiten hat. Wer zwei, drei Jahre Erziehungszeit nehmen möchte, hat danach erst einmal Nachteile im Berufsleben. Und wer nach einem halben Jahr wieder einsteigt, verliert Zeit mit dem Kind und verpasst vielleicht, wie es das erste Mal krabbelt. Meine Aufgabe als Politikerin ist es, Familien das Leben zu ermöglichen, das sie führen wollen. Ganz gleich, ob beide Teilzeit oder Vollzeit arbeiten oder ein Elternteil quasi hauptberuflich zu Hause bleibt.

Frage: Für die Eltern, die sich in den ersten Jahren selbst um ihre Kinder kümmern und keinen Krippen- oder Kindergartenplatz in Anspruch nehmen, soll es ab 2013 Betreuungsgeld geben. Ist so eine "Herdprämie" nicht völlig unzeitgemäß?

Dr. Kristina Schröder: Nein. Der Staat kümmert sich um die Kinderbetreuung. Manchen Familien geben wir eine Sachleistung in Form eines Krippenplatzes, die im Schnitt tausend Euro im Monat kostet und für die es ab 2013 glücklicherweise auch einen Rechtsanspruch gibt. Die anderen, die das nicht in Anspruch nehmen wollen, bekommen eine Barleistung. Diese Idee von Wahlfreiheit entspricht auch meiner ganz persönlichen Lebensauffassung.

Frage: In Ihrem Buch schreiben Sie ebenfalls, dass Sie keine Rezepte verteilen wollen. Drücken Sie sich da nicht einfach davor, Stellung zu beziehen?

Dr. Kristina Schröder: Ganz im Gegenteil! Ich würde sogar behaupten, dass es in der familienpolitischen Debatte ausgesprochen schwer ist, Leute zu finden, die eben kein Leitbild vorgeben wollen.

Frage: Aber als Familienministerin und berufstätige Mutter sind Sie doch automatisch ein Vorbild.

Dr. Kristina Schröder: Ich bin kein Vorbild, sondern nur ein Beispiel von vielen. Es nervt mich, dass alle von einer Familienministerin erwarten, dass sie von ihrem persönlichen Umgang mit diesen Themen berichtet. Kein Mensch fragt den Gesundheitsminister, wann er das letzte Mal bei der Prostata-Vorsorge war! Ich werde deshalb auch in Zukunft für mich behalten, wer bei uns wann nachts zu Hause aufsteht, wer wickelt und wer den Pastinakenbrei füttert. Allerdings spreche ich sehr wohl darüber, wie ich mein Muttersein mit den Arbeitszeiten verbinde. Auch, um die Frauen zu unterstützen, die immerzu an sich und ihrem Modell zweifeln.

Frage: Sie zweifeln nie?

Dr. Kristina Schröder: Doch, natürlich. Wenn ich Termine absage, weil ich mich um Lotte kümmern muss. Oder meine Tochter mal mit ins Ministerium zu einer Sitzung nehme, statt mit ihr auf dem Spielplatz zu sein. Jeder kennt ja die Geschichten von gestressten Eltern, die den Rechner und das Licht im Büro anlassen, damit der Kollege denkt, sie seien nur kurz auf dem Klo, dabei sind sie in Wahrheit beim Laternenumzug. Ich möchte die Menschen ermutigen, zu ihren familiären Pflichten zu stehen. Ich mache an Sonntagen nicht viele Termine, das ist mein Familientag. Und irgendwann muss auch mal Feierabend sein.

Frage: Sind Sie mit dieser Einstellung immer auf Verständnis gestoßen?

Dr. Kristina Schröder: Natürlich nicht. Während meiner Schwangerschaft hatte ich bei einer spätabendlichen Live-Talkshow darum gebeten, sie vorab aufzuzeichnen. Da erntete ich zunächst nur Kopfschütteln.

Frage: Ist allerdings nicht immer einfach. Da müssten auch die Männer und Vorgesetzten - männliche wie weibliche - mitziehen.

Dr. Kristina Schröder: Tatsächlich muss es ein gesellschaftliches Umdenken geben. Die Unternehmen müssen begreifen, dass ihre fleißigsten Mitarbeiter nicht unbedingt diejenigen sind, die bis 21 Uhr hinterm Schreibtisch hocken. Sondern oft diejenigen, die um vier Uhr das Kind aus der Kita abholen, ihre Zeit sehr genau einteilen, keine heimlichen Pausen machen und oft noch zuhause arbeiten. Außerdem wäre es wünschenswert, dass noch mehr Männer die Vätermonate in Anspruch nehmen und auf Teilzeit gehen, um mehr Zeit für die Familie zu haben. Momentan ist das leider noch die Minderheit. Aber auch das wird sich ändern.

Frage: Sie plädieren in Ihrem Buch auch dafür, dass Frauen sich an diesen Veränderungen beteiligen, indem Sie sich bei Haushalts- und Erziehungsfragen etwas zurückhalten.

Dr. Kristina Schröder: Wir Frauen neigen nun mal zu mütterlicher Väterberatung und wissen alles besser, wenn es ums Kind geht.

Frage: Sie auch, Frau Schröder?

Dr. Kristina Schröder: Ich erinnere mich daran, wie mein Mann mir stolz erzählte, er habe unserer Tochter, als sie gerade ein paar Tage Gläschen bekam, Griesbrei mit Früchten gegeben. Weil er ein bisschen Abwechslung in den Speiseplan bringen wollte. In mir schrillten alle Alarmglocken: "Du meine Güte, das kann doch Neurodermitis auslösen!"

Frage: Und, haben Sie etwas gesagt?

Dr. Kristina Schröder: Kein Wort! Und darauf bin ich stolz.