Bundesfamilienministerin Kristina Schröder im Interview mit der Bild am Sonntag

Bundesfamilienministerin Dr. Kristina Schröder gab der Bild am Sonntag (Erscheinungstag 15. April 2012) das folgende Interview:

Frage: Frau Schröder, Sie haben ein Buch geschrieben mit dem Titel "Danke, emanzipiert sind wir selber". Wer sind "wir"??

Dr. Kristina Schröder: Alle Frauen, die keine Lust mehr auf diese verkrampfte Emanzipationsdebatte haben. Ständig erklärt man Frauen, sie würden das falsche Leben führen.?

Frage: Der Feminismus, den Sie kritisieren, hat in den 70er und 80er Jahren vor allem gegen die Unterdrückung der Frau im Privaten gekämpft. Halten Sie die Benachteiligungen von Frauen für behoben??

Dr. Kristina Schröder: Als ich das Buch "Der kleine Unterschied" von Alice Schwarzer gelesen habe, ist es mir kalt den Rücken runtergelaufen, wie viel Ungleichwertigkeit es im Zusammenleben zwischen Frauen und Männern gab. In Einzelfällen mag es das heute noch geben, aber zum Glück ist diese krasse Form heute überwunden. Die Debatte, was ein richtiges Frauenleben ist, wird aber in harter Weise weitergeführt.?

Frage: Wer versucht denn konkret, Frauen vorzuschreiben, wie sie zu leben haben??

Dr. Kristina Schröder: Die Radikalfeministinnen beschimpfen Hausfrauen als Heimchen am Herd, die Strukturkonservativen diffamieren berufstätige Mütter als Rabenmütter. Neben dieser lauten Kritik werden in der politischen Debatte Lebensentwürfe von Frauen oft subtil abgewertet. Zum Beispiel wird ständig von der Teilzeitfalle gesprochen. Dahinter verbirgt sich das Leitbild, dass nur die Frau glücklich und lebensfähig ist, die vollberufstätig ist. Ich sage: Teilzeit ist keine Falle, sondern ein Modell, dass sich viele Frauen und auch immer mehr Männer wünschen, so lange die Kinder klein sind.?

Frage: Wer verbirgt sich hinter Wortschöpfungen wie Teilzeitfalle??

Dr. Kristina Schröder: Dass man Frauen dahin drängen will, permanent Vollzeit berufstätig zu sein, haben wir vor allem bei den linken Parteien, also bei Rot-Rot-Grün. In Tarifverhandlungen haben wir eine völlige Ausrichtung an der Vollzeiterwerbsbiographie. Die Bedürfnisse nach Teilzeitbeschäftigung spielt dort viel zu oft eine untergeordnete Rolle. Aber auch wir in der Union sollten genau unsere Wortwahl überprüfen. So wird zum Beispiel der Fachkräftemangel gerne dafür benutzt, zu kritisieren, dass viele Frauen für Kinder eine Auszeit nehmen. Die Familien sind aber nicht der Steinbruch für den Fachkräftemangel. Es muss möglich sein, im Job für ein, zwei Jahre die Arbeitszeit zu reduzieren.?

Frage: Und dann stecken Frauen in der Teilzeitfalle: Sie verlieren alle bis dahin erarbeiteten Karriereschritte, werden oft auf andere Positionen umgesetzt, zahlen weniger in die Rentenkasse und riskieren Altersarmut.?

Dr. Kristina Schröder: Deshalb müssen wir genau diese Nachteile von Teilzeit abschaffen. Diese Möglichkeiten gibt es im Arbeitsrecht. Es ist ja in der Tat so: Erst muss man betteln, um auf Teilzeit reduzieren zu dürfen, dann muss man betteln, um wieder Vollzeit arbeiten zu dürfen. Wir brauchen deshalb einen Anspruch auf Wiederaufstockung in Vollzeit.?

Frage: Arbeiten Sie als Ministerin seit der Geburt von Tochter Lotte vor einem dreiviertel Jahr weniger??

Dr. Kristina Schröder: Ich selbst lebe als Chefin vor, dass Familie Zeit braucht. Ich vermeide Präsenzrituale und mache - wenn es irgend geht - keine Besprechungen nach 17 Uhr. Termine abends oder am Wochenende habe ich seit Lottes Geburt stark reduziert. Und ich erkläre dann bei den Absagen ganz offen, dass ich zum Beispiel diesen oder jenen Sonntag für meine Tochter reserviert habe. Das gleiche gilt übrigens auch für meinen Mann, der Staatssekretär im Innenministerium ist.?

Frage: Warum sind Sie gegen eine feste Frauenquote??

Dr. Kristina Schröder: Bei einer starren Quote werden ein, zwei Frauen pro Konzern als Aufsichtsrätin zusätzlich ins Schaufenster gestellt. Das bringt aber nichts für mehr Frauen in den ganz normalen Führungspositionen, von denen es ja viel mehr gibt. Die starre 30-Prozent-Quote für Aufsichtsräte hilft in den Dax-30-Konzernen rechnerisch 75 Frauen. Mit den Selbstverpflichtungen, wie ich sie mit den Dax-30-Unternehmen für alle Führungsebenen vereinbart habe, bringen wir 4.600 Frauen neu in Führungspositionen. Damit verändern wir praktisch die komplette Unternehmenskultur für Frauen.?

Frage: Erst das Nein zur Frauenquote, jetzt ein Buch mit Kritik am Feminismus: Gehen Sie nicht das Risiko ein, dass Frauen Sie als Anti-Frauenministerin sehen??

Dr. Kristina Schröder: In meinem Buch geht es darum, dass Frauen auf fremde Einmischung in ihr Leben gut verzichten können. Mit diesem Selbstbewusstsein kämpfe ich für die Frauenrechte.? Wir haben in Deutschland einen sehr starken Mutter-Mythos, dass nur diejenige eine gute Mutter ist, die sich das Leben besonders schwer macht. In Frankreich ist es viel selbstverständlicher, dass eine Mutter auch noch eine Frau ist und Dinge nutzen kann, die das Leben leichter machen.

Frage: Der härteste Gegner ist bei Ihnen eine Frau: Ihre Parteifreundin und Amtsvorgängerin Ursula von der Leyen, die vehement für eine starre Quote kämpft. Wofür wird die CDU denn im Wahlkampf stehen??

Dr. Kristina Schröder: Ich als zuständige Ministerin lehne starre Quoten ab und es wird jetzt in der Union darum gehen, wie wir uns als Partei dazu bei der nächsten Bundestagswahl positionieren.?

Frage: Und wenn die CDU doch eine starre Quote durchsetzen will, geben Sie dann wegen Ihrer inneren Überzeugung Ihr Ministeramt auf??

Dr. Kristina Schröder: Es ist ganz klar: So lange ich Ministerin bin, wird es keine starre Quote geben.?

Frage: Schon mal selbst von der CDU-Quote profitiert??

Dr. Kristina Schröder: Dass ein Drittel der CDU-Kandidaten weiblich sein soll, hat die Partei selber bestimmt und nicht der Staat. Bei meiner ersten Bundestagskandidatur 2002 habe ich davon profitiert. Es wird mir bis heute hämisch vorgeworfen. Sie sehen: Eine Quote bedeutet für Frauen oft einen Makel, den sie manchmal nie wieder loswerden.?

Frage: Ein völlig anderes Rollenbild von Männern und Frauen haben die Piraten. Generalsekretärin Marina Weisband, eine junge Frau, lehnt jegliche Quote ab und sagt: Das Geschlecht gehört ins Bett. Ist das der moderne neue Ansatz??

Dr. Kristina Schröder: Mir ist der 50:50-Ansatz der Feministinnen suspekt. Männer und Frauen sind unterschiedlich und werden es auch immer sein. Wir haben nicht dann Emanzipation erreicht, wenn wir 50 Prozent Elektrotechnikerinnen haben, sondern wenn jede Frau, die Elektroingenieurin werden will, genauso große Chancen hat wie ein Mann, das durchzuziehen. Das Geschlecht wird immer bestimmend für das Leben von Menschen sein und deshalb ist die Betrachtungsweise der Piraten, dass das Geschlecht sie nicht interessiert, fern ab von jeglicher Realität.?

Frage: Heftiger Streit ist in der Koalition um das Betreuungsgeld entbrannt. Die FDP meldet verfassungsrechtliche Bedenken an. 23 CDU-Abgeordnete wollen nicht zustimmen, die CSU will es um jeden Preis durchsetzen. Macht es für Sie als verantwortliche Ministerin noch Sinn, an dem Gesetzentwurf weiterzuarbeiten??

Dr. Kristina Schröder: So lange die Koalition an dem Betreuungsgeld festhält, so lange halte ich an dem Auftrag fest, einen Gesetzentwurf zu erarbeiten. Bis vor der Sommerpause wird er fertig sein.?

Frage: Sehen Sie Chancen, die Positionen von CSU-Chef Horst Seehofer und den 23 Abweichlern in der Unionsfraktion unter einen Hut bringt??

Dr. Kristina Schröder: Die Debatte ums Betreuungsgeld ist weltanschaulich unglaublich aufgeladen. Das tut überhaupt nicht Not. Wer sein Kind mit zwei Jahren in die Krippe gibt, ist nicht herzlos. Und wer die Betreuung im zweiten Lebensjahr selbst übernimmt, ist nicht hirnlos.?

Frage: Halten Sie ein Betreuungsgeld für Mütter, die ihr Kind im zweiten und dritten Lebensjahr nicht in eine Kita geben, für sinnvoll??

Dr. Kristina Schröder: Ich finde die Logik richtig, dass der Staat den Familien die Wahl gibt, ob sie eine Sachleistung in Form eines Kitaplatzes oder eine Barleistung nehmen. Es gibt allerdings eine eindeutige Minderheit von Kindern, die aus so schwierigen Verhältnissen kommen, dass sie von einer frühe Förderung in der Kita stark profitieren würden. Diese kleine Gruppe sollten wir im Auge haben, wenn es darum geht, beim Betreuungsgeld einen falschen Anreiz zu vermeiden.?

Frage: Wie wollen Sie das Problem lösen??

Dr. Kristina Schröder: Wir wollen die Auszahlung des Betreuungsgeldes daran knüpfen, dass die Eltern die vorgeschriebenen Untersuchungen beim Kinderarzt zur Entwicklungsüberprüfung wahrnehmen. Denn wenn Eltern ihre Kinder nicht in die Pflichtuntersuchungen geben, ist das oft ein Indikator für problematische Verhältnisse.?

Frage: Sie beklagen in Ihrem Buch, dass männliche Sexualität heute als etwas Bedrohliches wahrgenommen wird. Glauben Sie wirklich, dass die Emanzipationsdebatte Partnerschaften erschwert??

Dr. Kristina Schröder: Die Feministinnen haben in der Anprangerung sexueller Gewalt viel erreicht. Gerade deshalb stört es mich, wenn tatsächliche sexuelle Unterdrückung von Frauen und ein modischer Minirock pauschal in einen Topf geworfen werden.?

Frage: Warum tragen Sie Rock und Pumps??

Dr. Kristina Schröder: Weil es mir gefällt und nichts mit Emanzipation zu tun hat.?