Dr. Kristina Schröder gab dem Wiesbadener Kurier (Erscheinungstag 5. Februar 2013) das folgende Interview:
Frage: Eine von der Bundesregierung beauftragte Gutachterkommission fällt ein vernichtendes Urteil über die schwarz-gelbe Familienpolitik. Mehr als 200 Milliarden Euro für familienpolitische Leistungen zeigten wenig Wirkung. Ein nutzloser Geldregen?
Dr. Kristina Schröder: Ich betrachte Familienpolitik nicht wie ein Investmentbanker mit dem Ziel der Profit-Maximierung. Dieses angebliche Urteil einer Gutachterkommission ist aus jedem Zusammenhang gerissen. Wir wissen: Unsere Familienpolitik hat bei den Familien in Deutschland eine ausgesprochen hohe Akzeptanz, das belegen erste Ergebnisse aus der Gesamtevaluierung. 80 Prozent der erwachsenen Bevölkerung nutzen mindestens eine ehe- und familienbezogene Leistung. Mehr als 80 Prozent der Bezieher der wichtigsten Familienleistungen sagen, die Leistung sei "besonders wichtig" für ihre Familie.
Frage: Das Kindergeld sei "wenig effektiv", das Ehegattensplitting "unwirksam", die beitragsfreie Mitversicherung von Ehepartnern sogar "besonders unwirksam", so das Urteil der Experten. Müssen Sie nicht völlig umdenken?
Dr. Kristina Schröder: Wirksamkeit ist immer eine Frage des Zieles. Und da sage ich ganz klar: Mehreinahmen für die Staatskasse sind für mich kein Ziel von Familienpolitik. So lautet auch nicht der Auftrag für die Wissenschaftler. Das Ehegattensplitting zu Beispiel gibt es, weil in einer Ehe die Partner ja auch finanziell füreinander Verantwortung übernehmen und in den sprichwörtlichen schlechten Zeiten nicht zuerst der Staat, sondern der Ehepartner für den anderen da sein muss. Und das Kindergeld ist kein Almosen des Staates, sondern soll das, was die Kinder zu Leben brauchen, schützen. Eine Familienpolitik, die mehr auf den volkswirtschaftlichen Profit als auf den menschlichen Zusammenhalt setzt, ist mit mir nicht zu machen.
Frage: 2011 hatte bereits die OECD ein schlechtes Zeugnis für die Familienpolitik in Deutschland ausgestellt. Die Autoren der Studie im Auftrag Ihres Ministeriums scheinen mit ihrer Einschätzung nicht allein zu sein.
Dr. Kristina Schröder: Es gibt Länder, die ordnen ihre Familienpolitik den verschiedensten Wünschen der Wirtschaft unter und fördern nur ein einziges Familienmodell, das sich rechnen muss. Wir gehen da genau umgekehrt ran, nehmen die Wünsche verschiedenster Familien ernst und bieten deshalb auch unterschiedliche Unterstützungsleistungen an. Deutschland darf kein Land mit einer Familienpolitik werden, die nur noch eine einzige staatlich verordnete Lebensweise finanziell unterstützt. Das ist der Kern des Streites mit der Opposition.
Frage: SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat sich dafür ausgesprochen, die finanzielle Förderung von Familien mit Kindern zu prüfen und umzustellen. Wäre eine große umfassende Reform nicht der beste Weg?
Dr. Kristina Schröder: Erstens, da kommt der SPD Kanzlerkandidat reichlich spät, denn das, was er jetzt fordert, machen wir ja gerade, nämlich eine Generalinventur. Und zweitens: Die SPD hat doch bereits Vorschläge in die Welt gesetzt. Vorschläge, für die Millionen von Familien und Kinder in der Mittelschicht zahlen müssten. Der Weg, erst etwas heraus zu posaunen und dann eine Prüfung vorzunehmen ist gelinde gesagt seltsam. Eines ist für mich klar: Die Familien in Deutschland sind sehr unterschiedlich, deshalb müssen auch die staatlichen Unterstützungsangebote klug ausdifferenziert sein.
Frage: Wo liegen aus Ihrer Sicht die Ursachen dafür, dass die Geburtenrate in Deutschland seit 1975 konstant niedrig ist?
Dr. Kristina Schröder: Da gibt es einen Strauß von Ursachen, und das Wehklagen darüber schafft keine Abhilfe. Am wichtigsten ist es, die Arbeitswelt stärker den Bedürfnissen von Familien anzupassen statt weiter zuzulassen, dass die Familien sich immer wieder den Bedingungen der Arbeitswelt anpassen müssen. Flexiblere Arbeitszeitmodelle und mehr Betriebskitas sind da ganz vorne auf der Wunschliste der Deutschen. 95 Prozent der Eltern mit minderjährigen Kindern fordern flexible Arbeitszeiten, 61 Prozent betriebliche Kinderbetreuungsangebote.
Frage: Müsste nicht viel mehr in Betreuungsplätze und den Ausbau von Krippen und Kitas investiert werden?
Dr. Kristina Schröder: Selbstverständlich, deshalb gibt der Bund dafür ja alleine bis 2014 insgesamt 5,4 Milliarden aus. Worüber viel zu wenig geredet wird, sind die oft sehr geringen Ausgaben mancher Länder für neue Kitaplätze, obwohl man dort von der Verfassung her zuständig ist. So wie der Bund keine Schulen bauen darf, darf er selbst auch keine Kitaplätze bauen, sondern wir dürfen nur Geld hinlegen und warten, bis es endlich abgeholt wird. Wer jetzt mehr Geld vom Bund fordert, will sich nur vor der eigenen Verantwortung drücken. Das ist zynisch. Deshalb halte ich ja so unbeirrt am Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz ab August fest, denn das bringt den nötigen Druck, Kitas zu bauen, wo immer es geht.