"Erfolgreiche Prävention heute schützt uns vor dem Terror von morgen. Nicht erst seit den Anschlägen von Paris wissen wir, dass junge Menschen in Europa, inmitten unserer Gesellschaften, radikalisiert werden. Gewaltbereite Salafisten sind zumeist jung, sie sind deutsche Staatsbürger, und sie haben oft einen Migrationshintergrund. Radikalisierung ist somit auch ein Ergebnis unzureichender Integration in den vergangenen 25 Jahren. Es sind unsere Schülerinnen und Schüler, unsere Kinder, die sich unerwartet zu einer menschenfeindlichen Ideologie hingezogen fühlen. Und es ist die Aufgabe unserer ganzen Gesellschaft, menschenfeindlichen Ideologien konsequent entgegen zu treten.
Wenn sicherheitspolitische Maßnahmen greifen, ist die Radikalisierung der jungen Menschen bereits weit fortgeschritten. Ebenso wichtig ist es daher, früher anzusetzen und bereits den Einstieg in die extremistische Szene zu verhindern. Dies kann gelingen, wenn sich sicherheitspolitische Maßnahmen, Präventions- und Interventionsangebote sinnvoll ergänzen. Zudem muss den Jugendlichen, die sich wieder aus dem extremistischen Milieu lösen wollen, ein Weg zurück in die Gesellschaft aufgezeigt werden.
Eine fehlende Orientierung, die Suche nach Werten, aber auch das Gefühl, abgelehnt zu werden, machen Jugendliche anfällig für extremistisches Werben. Extremistische Ideologien bieten einfache Antworten auf vielschichtige Lebensfragen und ein Weltbild, in dem sich Gut und Böse wie Schwarz und Weiß gegenüberstehen. Ein solches Identifikationsangebot ist verführerisch - nicht nur für Jugendliche. Viele muslimische Kinder und Jugendliche erleben zudem tagtäglich in ihrem persönlichen Umfeld, in den Medien, in der Schule oder bei der Arbeit islamfeindliche Haltungen. Diese Ausgrenzungserfahrungen nutzen Extremisten wiederum für sich, um junge Menschen anzusprechen und an sich zu binden. Sie geben ihnen Anerkennung und Wertschätzung. Geschichtsbewusste Aufklärung und der interreligiöse Dialog sind daher heute wichtiger denn je. Die obersten Prinzipien einer gelungenen Prävention sind echte gesellschaftliche Teilhabe von Anfang an und die Überwindung von Vorurteilen zwischen Menschen unterschiedlichen Glaubens.
Prävention ist erfolgreich, wenn sie dort ansetzt, bevor salafistische Radikalisierung beginnt. Sie ist dann erfolgreich, wenn alle Beteiligten zielgerichtet zusammenarbeiten. Die bessere Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern ist wichtig, damit es in der Prävention möglichst keine Flickenteppiche oder weiße Flecken gibt. Damit Bund und Länder effizienter zusammenarbeiten können, müssen wir das Kooperationsverbot aufheben. Mit der Aufhebung des Kooperationsverbots können beispielsweise die Bereiche Schule und Bildung besser eingebunden werden, auch um bundesweite Standards in der Präventionsarbeit zu setzen. Nur so wird es gelingen, bundesweit Angebote zur Radikalisierungsprävention an Schulen, Hochschulen, in Justizvollzugsanstalten und in der Jugendarbeit anzubieten. Das Bundesprogramm "Demokratie leben!" und das NRW Präventionsprogramm "Wegweiser" vertreten dabei den gleichen Ansatz lokaler Vernetzung, weil in beiden Programmen vor Ort ein breiter Kreis von Netzwerkpartnern und zivilgesellschaftlichen Akteuren eingebunden wird. Das vom Bundesfamilienministerium geförderte Kölner Projekt "180 Grad Wende" hat ein Netzwerk von über 150 Multiplikatoren gebildet, die professionell ausgebildet wurden und sich in ihren Stadtteilen gut auskennen. Täglich arbeiten sie daran, dass Jugendliche Perspektiven entwickeln und nicht "durch das Netz" fallen. Das nordrhein-westfälische Präventionsprogramm "Wegweiser" wendet sich insbesondere an Jugendliche, die gefährdet sind und bei denen sich erste Anhaltspunkte zeigen, dass sie in die Radikalisierungsfalle der gewaltbereiten Islamisten laufen. Das bundesweit erste "Aussteigerprogramm Islamismus" in NRW richtet sich wiederum an alle, die sich aus der islamistischen Szene lösen wollen. Es bietet Hilfe beim Ausstieg aus der Szene und unterstützt dabei, wieder in der Gesellschaft Fuß zu fassen. Grundvoraussetzungen für eine Teilnahme sind Freiwilligkeit und der eindeutige Wille zum Ausstieg. Erfolge zeigen, dass dieses Konzept greift.
Beispiele gibt es also. Wir stehen dem gewaltbereiten Islamismus nicht wehrlos gegenüber. Wir können Jugendliche davor schützen - durch Teilhabe, durch Ansprache, durch Aufklärung. Wir können es auch schaffen, dass sich Menschen wieder aus dem Extremismus befreien. Beides, Prävention und Ausstieg, aber braucht neben einem langen Atem die effektive Zusammenarbeit von Bund und Ländern, von Sicherheitsmaßnahmen und Jugendarbeit, von Innenpolitik und Gesellschaftspolitik."