Rede im Deutschen Bundestag von Bundesministerin Kristina Schröder zur 1. Lesung Wehrrechtsänderungsgesetz, Freitag, 11. Juni 2010

Es gilt das gesprochene Wort.

Frau Präsidentin, Herr Präsident,

liebe Kolleginnen und Kollegen!

In einem Punkt halte ich es ganz genauso wie meine Vorgängerinnen - und zwar völlig unabhängig von der Parteizugehörigkeit: Ob es die Wehrpflicht gibt oder nicht, und wenn es sie gibt: wie lange sie dauert, ist nicht mein Thema. Die Wehrpflicht muss alleine verteidigungspolitisch begründet oder alleine aus verteidigungspolitischen Erwägungen abgeschafft oder verkürzt werden. An diesen Diskussionen beteilige ich mich als Abgeordnete und als Staatsbürgerin, aber nicht als für den Zivildienst zuständige Ministerin.

Als Ministerin stelle ich fest: Es gibt die Wehrpflicht. Und ich stelle fest: Es gibt junge Männer, die von ihrem Grundrecht Gebrauch machen, den Dienst an der Waffe zu verweigern. Weil diese beiden Voraussetzungen vorliegen, bin ich gefordert. Solange es den Zivildienst zur Sicherung dieses Grundrechts geben muss, so lange ist es meine und unsere Aufgabe, allen Beteiligten einen qualitativ hochwertigen Zivildienst anzubieten und zu ermöglichen.

Mit dieser Zielsetzung bin ich auch in die Verhandlungen zum Wehrrechtsänderungsgesetz gegangen. Weil wir uns aus verteidigungspolitischen Gründen für die Verkürzung des Wehrdienstes entschieden haben, vollzieht der Zivildienst diese Kürzung mit. Dabei war und ist es mein Ziel, auch unter veränderten Rahmenbedingungen die Qualität des Zivildienstes und seine in knapp 50 Jahren gewachsenen Strukturen zu erhalten.

Genau das ist mit der Einführung eines freiwilligen zusätzlichen Zivildienstes im Wehrrechtsänderungsgesetz 2010 gelungen, meine Damen und Herren, im Sinne der etwa 90.000 jungen Männer, die Jahr für Jahr Dienst an unserer Gesellschaft leisten, im Sinne der rund 38.000 Zivildienststellen, die mit ca. 111.000 aktiven Zivildienstplätzen bundesweit ein dicht gespanntes Netz der Fürsorge geknüpft haben und im Sinne der vielen hilfsbedürftigen Menschen, die diese Fürsorge gerne und dankbar annehmen.

Im Sinne all dieser Menschen habe ich in den letzten Monaten für die Möglichkeit der freiwilligen Verlängerung des Zivildienstes gekämpft, und ich freue mich sehr, dass wir uns am Ende auf diese Option verständigen konnten.

Ich gehe davon aus, meine Damen und Herren, dass ich hier weder bekannte Fakten noch bekannte politische Bewertungen wiederholen muss.

Stattdessen will ich die Gelegenheit nutzen, endlich einmal mit drei Mythen um den Zivildienst aufzuräumen, die eine sachliche Diskussion aus meiner Sicht hin und wieder etwas erschwert haben.

"Zivildienst für Profit" heißt der erste Mythos. Ich meine damit die Behauptung, 30 Prozent der Zivildienstleistenden - nämlich vor allem Zivis in Krankenhäusern - würden nicht für das Gemeinwohl, sondern für den Profit privater Unternehmer arbeiten. Sie alle wissen aus Ihren Wahlkreisen, dass es heute fast keine Krankenhäuser mehr in Trägerschaft einer Kommune oder eines Landkreises gibt. Jedes Kreiskrankenhaus ist heute als eigenständige GmbH organisiert, landet also deshalb in der Schublade mit dem Label "gewinnorientierte Einrichtung". Die genannten statistischen 30 Prozent kommen dadurch zustande, dass man diese rechtlich selbständigen Krankenhäuser als "profitorientiert" einsortiert - und den Zivildienst gleich mit!Diese Argumentation greift aber zu kurz!

Man kann über das Für und Wider bestimmter Trägerstrukturen lange streiten, meine Damen und Herren. Aber das ist eine gesundheitspolitische Diskussion. Für die Frage, welche Schlüsse wir aus der Verkürzung der Wehrpflicht für den Zivildienst ziehen, sind Trägerstrukturen einzelner Krankenhäuser irrelevant! Die Praxis im Zivildienst ist nämlich absolut klar und einfach - und im Übrigen inzwischen mehrfach gerichtlich bestätigt: Als Zivildienststelle anerkannt werden nur Einrichtungen, die entweder vom Finanzamt von der Körperschafts- und Umsatzsteuer befreit sind oder die in den Krankenhausbedarfsplan eines Landes aufgenommen worden sind. Das Bundesamt für Zivildienst hält sich strikt an diese vor Ort getroffenen Einschätzungen zur Förderungswürdigkeit einzelner Einrichtungen.

Realitätsfern, meine Damen und Herren, sind auch die Diskussionen um die Arbeitsmarktneutralität des Zivildienstes.

Klar: Wenn Sie in Deutschland von heute auf morgen alle diejenigen aus dem Sozialbereich abziehen würden, die sich dort ohne Planstelle engagieren, dann gäbe es sicher ein ernstes Problem. Auch das kann man weitschweifig diskutieren - aber bitte im richtigen Zusammenhang!

Arbeitsmarktpolitische Diskussionen auf dem Rücken des Zivildienstes auszutragen, ist weder fair noch sachgemäß. Die Frage der Arbeitsmarktneutralität wird ja gerade beim Zivildienst am schärfsten kontrolliert. Anders als etwa beim FSJ wird jeder einzelne Platz streng auch auf seine Arbeitsmarktneutralität geprüft. Knapp 100 Außendienstmitarbeiterinnen und -mitarbeiter des Bundesamtes sind ständig bundesweit unterwegs, um die Einhaltung der strikten Vorgaben zu kontrollieren. Ein vergleichbar engmaschiges Netz an Kontrollen kennt keine der vielen anderen Engagementformen. Allein deshalb halte ich es für sachlich nicht gerechtfertigt, Zivildienst und Arbeitsmarktpolitik gegeneinander auszuspielen.

Für sachlich unbegründet halte ich auch den dritten Mythos, der in den Diskussionen der letzten Wochen immer wieder bemüht wurde. Da wurde ja gelegentlich der Eindruck erweckt, als müsste man junge Männer aus der Versklavung durch den Zivildienst befreien. Und da frage ich mich dann schon, mit wie vielen Zivildienstleistenden diejenigen, die hier die Befreier vom Joch des Zivildienstes geben, eigentlich gesprochen haben. Entscheidend für die Bewertung des Zivildienstes ist die Bewertung durch die Zivis selbst, und dazu kann ich nur sagen: Für die jungen Männer spielt der verpflichtende Charakter des Zivildienstes ganz überwiegend kaum eine Rolle, was vermutlich damit zu tun hat, dass ihnen eine Vielzahl unterschiedlicher Angebote offen steht: Rund 98 Prozent aller Zivildienstpflichtigen suchen sich selber ihre Dienststelle und vereinbaren dann die Einzelheiten des Dienstes direkt mit der Einrichtung.

Diese Selbststeuerung funktioniert exzellent. Sie sorgt in der Regel für eine hohe Motivation der jungen Männer. Sie sorgt für einen Wettbewerb der Dienststellen um die jungen Männer. Und sie führt dazu, dass praktisch alle Zivis am Ende ihrer Zeit ein ausgesprochen positives Fazit ziehen. Deswegen sind auch alle Unkenrufe zum freiwilligen zusätzlichen Zivildienst fehl am Platz: So lange es einen Wettbewerb der Einrichtungen um die motivierten jungen Männer gibt, so lange müssen wir uns überhaupt keine Sorgen machen, dass irgendwo unbemerkt und in größerer Zahl schlechte Verhältnisse entstehen könnten! Im Übrigen, meine Damen und Herren, steht der Zivildienst bei jungen Männern hoch im Kurs. Wir erreichen damit einen Großteil der Männer in unserer Gesellschaft – nämlich fast jeden vierten jungen Mann seiner Generation. Im Übrigen haben auch viele Personen des öffentlichen Lebens in jungen Jahren Zivildienst geleistet.

Wissen Sie zum Beispiel, was an Jogi Löws Auswahl wirklich bemerkenswert ist? Nein, nicht der hohe Anteil ganz junger Spieler, sondern der hohe Anteil ehemaliger Zivis im Kader! Leider ist keiner dabei, der gerade als Zivi im Dienst wäre, sonst dürfte ich demnächst vielleicht persönlich gratulieren - so wie der Kollege zu Guttenberg den Biathleten aus den Sportkompanien der Bundeswehr! Aber der Zivildienst ist ja auch ohne Medaillengewinner eine großartige Institution in unserer Gesellschaft!

Mit seiner gesellschaftlichen Breitenwirkung leistet der Zivildienst als Wehrersatzdienst nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Erfüllung der allgemeinen Wehrpflicht. Er hat sich auch zu einem wichtigen Element des sozialen Zusammenhalts und zu einer Bereicherung für den Lebenslauf junger Männer entwickelt.

Man kann zur Wehrpflicht stehen, wie man will, meine Damen und Herren, aber zwei Dinge müssen klar sein: Der Zivildienst kann und darf die Wehrpflicht nicht begründen. Umgekehrt darf, wer sich über die Wehrpflicht ärgert, nicht auf den Zivildienst einprügeln.

Im Interesse der jungen Männer, die so viel für unsere Gesellschaft leisten und die auch künftig etwas von ihrem Zivildienst haben sollen, will ich die hohe Qualität des Zivildienstes erhalten und den Zivis auch in Zukunft gute und interessante Angebote machen.

Ich bitte Sie völlig unabhängig von Ihrer Haltung zur Wehrpflicht darum, sich diesem Ziel anzuschließen. Prügeln Sie nicht den Zivildienst, wenn sie die Wehrpflicht meinen, sondern helfen Sie im Interesse aller Beteiligten, die hohe Qualität des Dienstes zu erhalten!