Rede im Deutschen Bundestag von Bundesministerin Frau Dr. Kristina Köhler zum Einzelplan 17 des Bundeshaushalts 2010, am Donnerstag, 21. Januar 2010, in Berlin

Es gilt das gesprochene Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Mit einiger Verwunderung habe ich in den letzten Wochen eine offenbar weit verbreitete Auffassung zur Kenntnis genommen: In der Familienpolitik seien die großen, grundsätzlichen Themen abgehakt. Das ist natürlich ein schönes Kompliment für die Familienpolitik der Union in den letzten vier Jahren; insofern freue ich mich darüber. Ich teile allerdings nicht die Befürchtung, dass uns im Familienressort in den nächsten Jahren die großen Themen ausgehen. Ich nutze die heutige Haushaltsdebatte gern für ein paar grundsätzliche Ausführungen.

Der Kabinettsentwurf des Bundeshaushaltes 2010 sieht für den Einzelplan 17 einen Etat von insgesamt 6,56 Milliarden Euro vor. Damit stünden dem Familienressort rund 171 Millionen Euro mehr als im Vorjahr zur Verfügung. Dieses Plus käme den Familien in unserem Lande zugute; denn es ist zum größten Teil auf Mehrausgaben für die gesetzlich festgelegten Familienleistungen zurückzuführen, von denen ich drei hervorheben möchte:

Erstens. Familien erhalten seit dem 1. Januar mehr Kindergeld. Davon ist zwar nur der geringste Teil in unserem Einzelplan etatisiert; dennoch ist die Kindergelderhöhung ein wichtiges familienpolitisches Signal.
Viele Familien kommen nämlich mit ihrem Einkommen gerade so über die Runden. Für sie ist jeder Euro mehr ein Stück mehr Lebensqualität. Wir lösen damit das wichtige Wahlversprechen ein, dass wir Eltern und Kindern gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten den Rücken stärken.

Zweitens. Wir geben mehr Geld für den Kinderzuschlag aus. Dafür sind im Etat 374 Millionen Euro veranschlagt. Diese Familienleistung kommt in allererster Linie Geringverdienern zugute, die sonst nur wegen ihrer Kinder in Hartz IV abrutschen würden. Wir sagen: Kinder dürfen kein Armutsrisiko sein; der Fleiß dieser Eltern muss sich lohnen. Sonst brauchen wir uns nämlich nicht zu wundern, wenn es immer wieder Kinder gibt, die nicht Kranführer oder Krankenschwester werden wollen, sondern Hartz-IV-Empfänger.

Drittens. Größter Posten im Einzelplan 17 bleibt das Elterngeld. Dafür stehen 2010 knapp 4,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Damit ermöglichen wir Müttern und Vätern eine berufliche Auszeit nach der Geburt eines Kindes. Im Vergleich zum Vorjahr sind dies 80 Millionen Euro mehr. Das ist aber gut ausgegebenes, gut angelegtes Geld, denn Kostentreiber im positiven Sinne sind vor allem die Väter.

Diese zunehmende Akzeptanz der Vätermonate zeigt, dass wir damit ein Bedürfnis junger Familien getroffen haben. Deshalb möchte ich auch noch in diesem Jahr die Zahl der Vätermonate erhöhen und ein Teilelterngeld einführen und bitte Sie dafür um Ihre Unterstützung, denn damit geben wir Vätern und Müttern mehr Zeit, um Verantwortung in der Familie zu übernehmen, und dies kommt vor allen Dingen den Kindern zugute.

So viel erst einmal zu den gesetzlich festgelegten Familienleistungen, die im Etat den mit Abstand größten Ausgabenblock darstellen. Ich möchte aber aus dem Einzelplan 17 drei weitere Titel exemplarisch herausgreifen, die sich auf ganz aktuelle Diskussionen beziehen.

Erstens ist dies der Ausbau der Kinderbetreuung für die unter Dreijährigen. Vor drei Jahren haben sich Bund, Länder und Kommunen auf ein gemeinsames Ziel geeinigt: Bis zum Jahr 2013 sollen 35 Prozent der Kinder unter drei Jahren Betreuungsangebote nutzen können. Ich bin überzeugt, dass das zu schaffen ist und dass wir den Bedarf damit werden decken können, denn das 35-Prozent-Ziel wurde auf guter empirischer Grundlage vereinbart.
Neue Zahlen, die der Deutsche Städte- und Gemeindebund letzte Woche ins Spiel gebracht hat, sind unrealistisch, denn sie basieren auf einer Umfrage bei Frauen mit Kinderwunsch, ob sie denn Interesse an Betreuung hätten, wohlgemerkt für Kinder, die in den nächsten Jahren erst noch geboren werden müssen. Das ist etwa so, als würde man ein Jahr vor der Bundestagswahl die Sonntagsfrage stellen und auf dieser Basis dann Koalitionsverhandlungen führen. Die Panik, die hiermit geschürt wird, ist übertrieben. Wir sollten sie nicht schüren, sondern uns erst einmal anstrengen, um das gemeinsam vereinbarte Ziel zu erreichen.

Der Bund trägt dazu seinen Anteil bei. Bis 2013 stellen wir 4 Milliarden Euro zur Verfügung, zum einen für die Investitionen, zum anderen für die Betriebskosten. Ab 2014 beteiligt sich der Bund dann mit rund 770 Millionen Euro pro Jahr an den Kosten für den laufenden Betrieb. Darüber hinaus hat die Bundesregierung den Kommunen 6,5 Milliarden Euro mit dem Konjunkturpaket II zur Verfügung gestellt, Geld, das ausdrücklich auch für die Infrastruktur der frühkindlichen Bildung genutzt werden kann.

Deshalb appelliere ich im Gegenzug an Länder und Kommunen: Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass alle Eltern, die einen Betreuungsplatz in Anspruch nehmen wollen, ihn ab 2013 tatsächlich in Anspruch nehmen können.

Zweitens geht es ebenfalls um ein ganz aktuelles Thema, den Zivildienst. 650 Millionen Euro geben wir für den Zivildienst aus, insgesamt rund 7 Millionen mehr als 2009, was mit der leicht erhöhten Zahl Zivildienstleistender zu tun hat. Wegen der Verkürzung der Wehrpflicht auf sechs Monate zum 1. Januar 2011 stehen uns hier aber große Umbrüche ins Haus. Wenn 90 000 Zivildienstleistende drei Monate weniger Dienst leisten, dann fallen in den sozialen Einrichtungen 270 000 Dienstmonate weg.
Im Moment arbeiten wir mit dem Koalitionspartner intensiv an einer Lösung hierfür. Der Zivildienst muss für junge Männer attraktiv bleiben, er muss auch für die Dienststellen attraktiv bleiben, und die „biografische Lücke“, die zwischen dem Ende des Zivildienstes und dem Beginn von Ausbildung oder Studium entsteht, muss so gering wie möglich sein. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir hierbei bald zu einem Ergebnis kommen werden, mit dem alle Beteiligten und alle Betroffenen werden gut leben können.

Gut leben können hoffentlich auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Oppositionsfraktionen, mit der Lösung, die ich für die Neuausrichtung der Programme zur Extremismusprävention erreicht habe. Ich bin damit beim dritten aktuellen Thema. Es war in den letzten Wochen schön, zu beobachten, wie zuverlässig die alten Reflexe funktionieren. Dabei ist es doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit, dass wir gegen alle Feinde unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung vorgehen: gegen Rechtsextremisten, gegen Linksextremisten, gegen Antisemiten und gegen Islamisten. Es gibt keine guten Extremisten.

Deshalb werde ich die Präventionsprogramme zur Extremismusbekämpfung umbauen.

Wir starten noch im Jahr 2010 zwei Pilotprojekte gegen Linksextremismus und gegen Islamismus. Dafür stehen 2 Millionen Euro aus Mitteln zur Verfügung, die 2009 nicht abgerufen wurden. Die im Einzelplan 17 vorgesehenen 24 Millionen Euro für die bereits bestehenden Bundesprogramme zur Extremismusprävention bleiben unangetastet. Erst für 2011 plane ich eine Neukonzeption der Programme. Grundlage sind dann auch die Erfahrungen, die wir 2010 mit den erwähnten Pilotprojekten zur Bekämpfung des Linksextremismus und des Islamismus machen werden.

Der Einzelplan 17 des Bundeshaushalts 2010 zeigt nicht nur, wo wir heute stehen, sondern er weist auch den Weg zu einem großen familienpolitischen Thema der Zukunft. Denn er zeigt klar und deutlich: Wir tun viel, damit Eltern Zeit für Verantwortung haben. Aber wir tun viel zu wenig, damit pflegende Familienangehörige Zeit für Verantwortung haben. Als Familienministerin verstehe ich mich nicht nur als Anwältin der Eltern, sondern auch als Anwältin der Älteren.

Menschen, die in unserer Gesellschaft ein Leben lang viel geleistet haben, einen würdigen Lebensabend zu ermöglichen dazu verpflichtet uns unser Menschenbild. Nicht nur aus ethischem Pflichtgefühl, sondern auch aus tiefem inneren Bedürfnis pflegen Menschen ihre betagten Angehörigen, und zwar im Schnitt gut acht Jahre lang. Sie bringen dabei große persönliche Opfer. Viele gehen dabei über die Grenzen ihrer persönlichen Belastbarkeit hinaus. Jeder von uns kennt doch jemanden, der zu Hause die demenzkranke Mutter oder den vom Schlaganfall gezeichneten Vater pflegt. Aber für uns selbst haben wir oft keine Antwort auf die Frage parat, woher wir die Zeit dafür nehmen würden, wenn es unsere eigenen Eltern treffen sollte.

Das Statistische Bundesamt geht davon aus, dass die Zahl pflegebedürftiger Menschen in Deutschland von derzeit etwas über 2 Millionen auf knapp 3 Millionen im Jahr 2020 steigen wird. Spätestens dann stehen wir ein zweites Mal vor dem Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, dann allerdings mit Blick auf die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf. Zeit für Verantwortung heißt deswegen auch: Zeit für Pflege. Da gibt es eine Menge zu tun. Ich glaube, das wird uns über Jahre hinweg beschäftigen.

Als Vertreterin der jungen Generation erlaube ich mir den Hinweis: Diese Frage hätte man auch schon früher angehen müssen; schließlich ist der demografische Wandel nicht über Nacht über uns hereingebrochen.

Aber wie ein afrikanisches Sprichwort sagt: Die beste Zeit, einen Baum zu pflanzen, war vor 20 Jahren. Die zweitbeste Zeit ist heute.

In diesem Sinne herzlichen Dank.