Rede im Deutschen Bundestag von Bundesfamilienministerin Dr. Kristina Schröder in der Aktuellen Stunde zur Einführung eines Betreuungsgeldes am 9. November 2011, in Berlin

Es gilt das gesprochene Wort.

Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Am 14. September 2011 habe ich ein Konzept zum Betreuungsgeld angekündigt. Die Ergebnisse des Koalitionsgipfels vom Wochenende haben dafür die Grundlagegeschaffen. Seit Sonntag steht fest: Familien in Deutschland bekommen künftig mehr Unterstützung.Eltern erhalten mehr Anerkennung für ihre Erziehungsleistung. Mütter und Väter kleiner Kinder haben künftig mehr Wahlfreiheit, das Familienleben so zu gestalten, wie sie selbst es für richtig halten.

Mir waren vor allen Dingen drei Punkte wichtig – ich bin froh, dass wir in diesen drei Punkten jetzt Klarheit haben: Erstens. Ich habe von Anfang an gesagt, dass wir angesichts der Haushaltslage klar im Ziel, aber realistisch in der Umsetzung sein sollten. Der Koalitionsausschuss ist dieser Einschätzung gefolgt. Das Betreuungsgeld wird zunächst für das zweite Lebensjahr gezahlt, ab 2014 dann auch für das dritte Lebensjahr. Das ist eine praktikable, das ist eine finanzierbare Lösung. Zweitens war mir wichtig, dass wir Hausfrauen nichtgegen berufstätige Mütter ausspielen.

Genau das ist gelungen, auch wenn Sie das ganz offenkundig noch nicht verstanden haben. Wir haben uns amSonntag darauf geeinigt – daran rüttelt jetzt auch keiner mehr –, dass mit dem Betreuungsgeld eben auch Mütter unterstützt werden sollen, die berufstätig sind. Das ist genau richtig.Diese ideologischen Debatten über die Lebensentwürfe von Frauen finde ich unerträglich. Ich bin mir sicher, diemeisten Mütter in Deutschland sehen das ebenso. Es ist eine Unverschämtheit, wenn manche hier von einer "Herdprämie" reden. Damit unterstellen sie, dass Frauen, die sich Zeit für ihre Kleinstkinder nehmen, kleine Dummchen sind.

Meine Überzeugung ist: Mütter und Väter verdienen unabhängig davon, wie sie leben, Wertschätzung. Das unterstreicht die Einigung vom Wochenende. Sie gibt mir Rückenwind für mein Ziel, Eltern zu unterstützen, die zugunsten der Familie für eine gewisse Zeit auf Einkommen und Karriere verzichten oder die Betreuung selbst organisieren, genauso wie wir mit Milliardeninvestitionen in den Kitaausbau auch diejenigen Eltern unterstützen, die für ihr Kind Betreuung wollen oder brauchen.

Das ist der Unterschied zur Opposition. Wir fragen: Was wollen die Familien? Die Antwort kann nur heißen: Vielfalt in der Familienförderung; denn wir haben in Deutschland keine Einheitsfamilien. Die Opposition hingegen sagt: Die Politik weiß besser, was gut für die Familien ist. Dieses Anmaßende, dieses Gouvernantenhafte sind wir satt.

Ein dritter Punkt ist mir in der Diskussion über das Betreuungsgeld wichtig. Ich bin froh, dass wir auch diesbezüglich am Wochenende ein klares Signal gesendet haben. Keine Kita, keine Tagesmutter und auch keine Nanny kann die Familie ersetzen. Was Familien Kindern fürs Leben mitgeben, lässt sich niemals delegieren oder ersetzen. Die meisten Eltern würden ihr letztes Hemd für ihre Kinder geben. Deshalb finde ich es beschämend und anmaßend, wenn SPD, Grüne und Linke den Eltern eine gute Förderung ihrer eigenen Kinder nicht zutrauen.

Natürlich gibt es Familien, bei denen man sagt: Für die Entwicklung ihrer Kinder ist es besser, wenn sie möglichst früh in einer Kita gefördert werden. Aber das ist eine Minderheit. Es ist richtig: Für diese Minderheit dürfen wir mit dem Betreuungsgeld keine Fehlanreize setzen. Aber die Lösung kann doch nicht sein, alle Familien unter Generalverdacht zu stellen, wie Sie, Herr Steinmeier, es eben wieder getan haben.

Ich kann Ihnen ein schönes Beispiel nennen. Herr Oppermann – er ist leider nicht anwesend – hat heute dazu etwas sehr Interessantes getwittert. Herr Oppermann hat getwittert – ich zitiere –: Eure Fernhalteprämie gefährdet das Wohl vieler Kinder und entspricht einem Familienbild von vorgestern.Es war mir klar, dass Sie an dieser Stelle klatschen. Denken Sie jetzt aber einmal ganz kurz darüber nach,wen Sie damit treffen. Sie treffen damit nicht die Koalition, sondern zwei Drittel der Eltern in Deutschland;denn zwei Drittel der Eltern in Deutschland betreuen ihre Kinder in den ersten drei Lebensjahren selbst. Sie wollen allen Ernstes sagen, dass diese Eltern ihren Kindern schaden? Sie werfen zwei Drittel der Eltern in Deutschland vor, dass sie im Vorgestern leben, weil sie sich selbst um ihre Kleinstkinder kümmern?Es tut mir leid; aber solche Dinge sind eben entlarvend.

Weiteres Beispiel: Frau Nahles. Frau Nahles hat gestern in ihrem Videoblog gesagt, das Betreuungsgeld sei etwa so – ich zitiere –, wie wenn man Geld dafür bekommt, dass man sein Kind nicht auf das Gymnasium schickt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden hier über zweijährige Kinder und nicht über Homeschooling fürGymnasiasten. Wollen Sie allen Ernstes sagen, dass die Eltern in Deutschland nicht fähig sind, ihre zweijährigenKinder zu bilden? Worüber reden wir hier? Wir reden über die ersten Worte, über die ersten Sätze. Wir reden darüber, dass sie ihnen beibringen, wie man sich die Zähne putzt, und dass sie ihnen sagen, dass man mitMesser, Gabel, Schere und Licht vorsichtig sein muss. Die Opposition meint, die Eltern in Deutschland könntendas nicht oder eine Institution könne das besser? Es ist auch entlarvend, dass Sie von einer Fernhalteprämie sprechen. Egal, wie falsch der Begriff ist, allein dassSie davon reden, zeigt ganz deutlich, wo Sie den Lebensmittelpunkt von Kindern sehen: in Familien offensichtlich nicht.

Von daher: Mit dieser Ideologie muss Schluss sein. Die Anerkennung von Betreuung und Erziehung in der Familie steht doch nicht im Gegensatz zum Ausbau der Betreuung in Kitas und Tagespflege, sondern beides gehört zusammen. Deshalb gibt es ab 2013 einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz. Auch wenn Christian Udeunbedingt will, dass dieser Rechtsanspruch verschoben wird: An diesem Rechtsanspruch wird nicht gerüttelt. Dahaben sich die Eltern auf uns verlassen.

Die Einigung vom Wochenende stellt klar: So sicher wie der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz kommt, sosicher kommt auch das Betreuungsgeld. Wir haben hier ein großes Projekt vor uns. Dieses Projekt werden wir zum Wohle der Familien gestalten. Union und FDP sind nämlich die Einzigen, die es mit der Wahlfreiheit für Familien wirklich ernst meinen.