Berlin Parlamentarische Staatssekretärin Elke Ferner bei der Veranstaltung "Familienplanung: Ja! Aber?"

Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrte Frau Professorin Pott,

sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich sehr, Sie - auch im Namen von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig - auf der BZgA-Konferenz zum Abschluss des Forschungsprojektes "frauen leben 3 - Familienplanung im Lebenslauf von Frauen" zu begrüßen.

Liebe Frau Professorin Pott, ich danke Ihnen sowie allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der BZgA, die dieses Forum für einen breiten Dialog zum Thema "Familienplanung: Ja! Aber?" geschaffen haben.

Mein Dank geht ebenso an alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Wissenschaft und Praxis: Sie machen den interprofessionellen Dialog zu den spannenden, aktuellen Forschungsergebnissen erst möglich.

I.

Das Motto der Veranstaltung macht deutlich, dass Entscheidungen im Bereich der Familienplanung in unserer Gesellschaft mit Ambivalenzen und Zweifeln verbunden sind.

Denn wir alle wissen: Den richtigen Zeitpunkt für ein Kind gibt es selten. Dieser Aussage stimmen 63 Prozent der in der Studie "frauen leben 3" befragten Frauen zu.

Sexuelle Selbstbestimmung, Wahlfreiheit in der Lebensgestaltung, Familiengründung, ungeplante Schwangerschaften - alle dies beschäftigt Frauen und Männer besonders in der so genannten Rush Hour ihres Lebens. Und dies sind Zukunftsthemen unserer Gesellschaft.

Mit der Markteinführung der "Pille" vor gut 50 Jahren hat die sexuelle Selbstbestimmung der Frau und auch die Planbarkeit bei der Familiengründung eine neue Dimension erreicht.Seither können Frauen verlässlich verhüten.Gleichwohl haben Frauen als "potentielle" Mütter insbesondere auf dem Arbeitsmarkt und beim beruflichen Aufstieg mehr Hürden zu überwinden als "potentielle" Väter.

Aber die eigene, vor allem auch die berufliche Lebensplanung steht seitdem nicht mehr unter den Vorzeichen "Risiko Schwangerschaft".
Wir können aber auch beobachten: Mütter und Väter sind bei der Geburt des ersten Kindes älter und der Kinderwunsch wird häufiger aufgeschoben. Damit wurden Spätgebären, Unfruchtbarkeit und Kinderlosigkeit zu neuen Sorgenthemen der Familienplanung. Nach aktuellen Zahlen des statistischen Bundesamtes sind 22 Prozent der Erstgebärenden mindestens 35 Jahre alt. Aktuell haben wir die Debatte um das sog. "social-freezing". Um es vorweg zu sagen: ich sehe solche Entwicklungen sehr skeptisch.

In Wahrheit geht es nicht um mehr Selbstbestimmung für Frauen, sondern um eine bessere Verfügbarkeit von Arbeitnehmerinnen für Unternehmen, in die Verantwortung für Kinder nicht passt.Die Arbeitswelt muss für Rahmenbedingungen sorgen, die die Vereinbarkeit von Beruf und Kindern ermöglichen - auch dann, wenn Frauen jünger als 30 Jahre bei der Geburt ihres ersten Kindes sind.?

Die neuen Studienergebnisse der BZgADass der richtige Zeitpunkt eh nie wirklich planbar ist, zeigt auch ein zentrales Ergebnis der Studie: Ein Drittel der Schwangerschaften sind ganz oder teilweise z.B. auf den Zeitpunkt hin ungewollt eingetreten.

Vor diesem Hintergrund müssen wir den Fragen nachgehen,

  • warum Verhütung in so vielen Fällen nicht funktioniert?
  • welche Lebensumstände für die Akzeptanz von ungeplanten Schwangerschaften förderlich sind?
  • und welche Unterstützungsangebote hilfreich sind für Frauen und Paare im Falle eines Schwangerschaftskonfliktes?

Wir brauchen politische Rahmenbedingungen für eine individuelle und selbstbestimmte Familienplanung unter Wahrung der sexuellen und reproduktiven Rechte, übrigens auch unabhängig von der sexuellen Identität..

Dazu gehören

  • passgenaue Unterstützung und Hilfe in schwierigen Lebenssituationen
  • Absicherung von Müttern in beruflicher und finanzieller Unsicherheit.
  • partnerschaftliche, gleichberechtigte Teilhabe auf Augenhöhe von Frauen und Männern in Familie und Beruf

Die Grundvoraussetzungen für eine selbstbestimmte Sexualität und Fortpflanzung sind Sexualaufklärung, Information, Beratung über Verhütung, aber auch der ungehinderte Zugang zu sicherer Verhütung. Die Verhütungssicherheit hat in Deutschland einen hohen Standard. Dies ist nicht zuletzt der guten Aufklärungsarbeit der BZgA zu verdanken. Die seit Jahren sinkenden Zahlen bei Schwangerschaftsabbrüchen sind auch hierfür ein Beleg.

Dennoch gibt es noch immer Probleme, was den Zugang zu Verhütungsmitteln angeht. Die Kosten für sichere Verhütungsmittel sind den Studienergebnissen zufolge eine Zugangsbarriere.Ein Verzicht auf zuverlässige Methoden der Familienplanung allein aus finanziellen Gründen ist völlig inakzeptabel.

Auch die Rezeptfreigabe der "Pille danach" in Deutschland ist längst überfällig - die Argumente hierzu sind hinlänglich bekannt. Was in 28 europäischen Ländern richtig ist, kann in Deutschland ja wohl nicht falsch sein. Der politische Diskurs dazu dauert (leider) noch an. Das Bundesfamilienministerium setzt sich für eine selbstbestimmte Familienplanung und einen ungehinderten Zugang zur Verhütung ein.

II.

Ungewollte Schwangerschaften sind nicht nur die Folge fehlgeschlagener oder unterlassener Kontrazeption. Dank der BZgA-Studie haben wir jetzt erstmals belastbare Aussagen zu den Hintergründen ungewollter Schwangerschaften.Diese Hintergründe sind vielfältig und nicht alle, wie z.B. eine instabile Partnerschaft oder ein falscher Partner oder eine falsche Parternin können von der Politik beeinflusst werden.

Aber: Gute Rahmenbedingungen für das Leben mit Kindern und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie können die Entscheidung für ein Kind erleichtern. Im Falle einer ungewollten Schwangerschaft  braucht es zudem gezielte und auf den Einzelfall zugeschnittene Unterstützung. Das leistet in Deutschland die umfassende flächendeckende Schwangerschaftsberatung - nicht nur im Schwangerschaftskonflikt. Das Angebot ist hoch qualifiziert und berücksichtigt auch die wertanschauliche Pluralität der Menschen in unserem Land.

Es war daher für mich ein überraschendes Ergebnis der BZgA-Studie, dass die Inanspruchnahme der Beratung auch bei ungewollt eingetretenen Schwangerschaften sehr niedrig ist. Das deutet darauf hin, dass der Anspruch auf kostenlose Schwangerschaftsberatung nicht ausreichend bekannt oder aber auch nicht genügend akzeptiert ist.

Unser Ziel muss es daher sein, dieses wichtige psychosoziale Beratungsangebot noch stärker als bisher in das Bewusstsein der Bevölkerung zu tragen, und zwar als eine Serviceleistung mit einem hohen Maß an Sensibilität und Empathie für Ratsuchende, die auf Wunsch auch anonym in Anspruch genommen werden kann. 

Hierzu haben wir das bundesweite kostenlose Hilfetelefon "Schwangere in Not - anonym und sicher" zur Unterstützung von Schwangeren mit Anonymitätswunsch ins Leben gerufen, das seit 1. Mai 2014 freigeschaltet ist. Das Telefon ist ein niedrigschwelliges Angebot, es ist rund um die Uhr erreichbar und vermittelt Schwangere an eine Beratungsstelle vor Ort weiter. Es ist barrierefrei und kann bei Bedarf auch fremdsprachig in Anspruch genommen werden.
Seit Oktober stehen auch eine Online-Beratung und Gebärdendolmetschung zur Verfügung, die über das Portal www.geburt-vertraulich.de genutzt werden können. Das Portal informiert zudem umfassend über die neuen Hilfsangebote und enthält außerdem die Adressen aller Schwangerschaftsberatungsstellen in Deutschland. Zur Bekanntmachung des neuen Hilfetelefons haben wir eine umfangreiche Öffentlichkeitskampagne gestartet.

Die neuesten Nutzerinnenzahlen geben uns Recht - das Angebot wird angenommen und der Bekanntheitsgrad der Hotline steigt. Seit Mai gab es ca. 2000 qualifizierte Beratungsgespräche beim Hilfetelefon.

III.

6 Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes zum Ausbau der Hilfen für Schwangere und zur Regelung der Vertraulichen Geburt sind wir dem Ziel, Schwangere zu erreichen, die bisher den Zugang ins Hilfesystem nicht gefunden haben, schon näher gekommen. Werdende Mütter nutzen die Möglichkeit, ihr Kind begleitet durch die Schwangerschaftsberatungsstellen vertraulich und sicher in einer Klinik oder bei einer Hebamme zu bekommen. Inzwischen liegen im Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben rund 40 Herkunftsnachweise vor. Die Startphase des neuen Gesetzes war für alle Beteiligten ein Kraftakt und war nur durch das große Engagement aller Beteiligten zu leisten.

Lassen Sie mich Ihnen allen an dieser Stelle meinen herzlichen Dank dafür aussprechen!

Wie eine Evaluationsstudie unseres Hauses belegt, erhalten Schwangere in Not auch wirksame Hilfsangebote über die Angebote der inzwischen 30-jährigen Bundesstiftung Mutter und Kind.

Für viele Frauen sind die Angebote "Türöffner" in die Schwangerschaftsberatung und das vielfältige System weiterführender Hilfen.

Die Bundesstiftung kann zudem jährlich mindestens 92 Millionen Euro an hilfebedürftige Familien zur Verfügung stellen.

Die Studienergebnisse zeigen: Eine wesentliche Voraussetzung für Kinder ist eine gefestigte berufliche und finanzielle Situation. Aber insbesondere alleinstehende Mütter sorgen sich um ihre zukünftigen wirtschaftlichen Verhältnisse, wenn ein Kind unterwegs ist. In bestehenden Partnerschaften stellt sich die Frage, wie beide Elternteile Familie und Beruf gleichberechtigt unter einen Hut bringen können. An der besseren und auch partnerschaftlich ausgerichteten Vereinbarkeit von Familie und Beruf arbeiten wir derzeit.

Die Einführung des Elterngeldes hat 2007 hat einiges bewegt. Knapp 30 Prozent der Väter nehmen das Elterngeld in Anspruch - wenn auch zum großen Teil nur 2 Monate. Vorher waren es 3,5 Prozent.Auch Väter wollen heute aktiver, präsenter Teil der Familie sein, sich Familienaufgaben und Kindererziehung mit ihren Partnerinnen teilen. Wir wissen aus Umfragen, dass sich junge Paare heute eine partnerschaftliche Aufteilung der Aufgaben in Familie und Beruf wünschen.

Gut 60 Prozent der Eltern mit Kindern im Alter zwischen ein und drei Jahren befürworten ein solches Lebensmodell. Aber nur 14 Prozent können dies realisieren.Vor diesem Hintergrund hat Frau Ministerin Schwesig zu Jahresbeginn eine Debatte um eine Familienarbeitszeit angestoßen. Mit der Familienarbeitszeit wollen wir langfristig ermöglichen, dass beide Eltern in den ersten Jahren nach der Geburt eines Kindes ihre Arbeitsstunden anpassen können.

Gerade für die Frauen, die heute stärker reduzieren als sie wollen, würde sich dies positiv auswirken - auch längerfristig, bis hin zur Frage der eigenen existenzsichernden Altersversorgung.Es geht nicht nur um familienfreundliche Arbeitszeiten, sondern auch um berufliche Entwicklungschancen, um gute Arbeit und gute Entlohnung für Frauen und Männer.Um dies zu erreichen, setzen wir auf ein Bündel von vor allem auch arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, von denen vor allem Frauen verstärkt profitieren werden: Ich kann aus Zeitgründen hier nur einige exemplarisch nennen:

  • Das Elterngeld Plus als erster Schritt hin zu einer Familienarbeitszeit
  • Die Verbesserung der Betreuungsinfrastruktur mit zusätzlich 1 Mrd. € seitens des Bundes in dieser WP.
  • Vom gesetzlichen Mindestlohn profitieren über 2 Mio. Frauen
  • Der geplante Rechtsanspruch auf befristete Teilzeit wird sich positiv auswirken auf Frauen- aber auch auf Männer
  • Das geplante Engeltgleichheitsgesetz wird die Einkommenssituation von Frauen verbessern
  • Und auch Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen werden helfen die Arbeitskultur zu verändern.

Wir brauchen ein betriebliches Arbeitsklima und eine Arbeitskultur, die Fürsorgeaufgaben von Frauen und Männern anerkennen und unterstützen. Unternehmen und insbesondere die obersten Chefetagen müssen begreifen: Familienfreundliche Arbeitsbedingungen zu schaffen, und damit Müttern und Vätern eine partnerschaftliche Aufteilung von Beruf und Familie zu ermöglichen, ist keine soziale Wohltat, sondern eine ökonomische Notwendigkeit, die sich auszahlt.

Aus einer zunächst gewollten Kinderlosigkeit kann auch eine ungewollte werden, wenn der Kinderwunsch lange aufgeschoben wird.

Dem Bundesfamilienministerium ist bei der Unterstützung von ungewollt kinderlosen Frauen und Männern ein Aspekt besonders wichtig: die Entstigmatisierung der Betroffenen. Um Verständnis zu wecken für die Ursachen, die Bedeutung und die Folgen von Kinderlosigkeit, haben wir eine Milieu-Studie zur ungewollten und gewollten Kinderlosigkeit im Lebensverlauf in Auftrag gegeben.

Die Studie hat erstmals Daten und Befunde zu Ursachen, Motiven, Einstellungen und Diskriminierungserfahrungen kinderloser Frauen, Männer und Paare aus verschiedenen Milieus und Altersgruppen geliefert. Die Ergebnisse dienen als Grundlage für die Entwicklung von geschlechter-, alters- und milieuspezifischen Informations- und Aufklärungsmaßnahmen. Die Studie wird noch Ende des Jahres veröffentlicht.

Ausblick

Forschungsvorhaben wie die Studie "frauen leben 3" stellen uns immer wieder vor neue Herausforderungen. Die Bedingungen für eine Familiengründung oder eine Familienerweiterung, aber auch für ein Leben ohne Kinder ändern sich fortlaufend. Um positive Veränderungen für unsere Gesellschaft zu erreichen, brauchen wir gemeinsames Handeln auf allen Ebenen, brauchen wir den fachlichen Austausch zwischen Politik und Praxis auf der Basis valider Forschungsdaten, brauchen wir Veranstaltungen wie diese.

Insofern bin ich gespannt auf Ihre Beiträge und Diskussionen mit wichtigen Impulsen für unsere weitere Arbeit, in der Praxis, in der Wissenschaft und in der Politik.Ich wünsche der Veranstaltung viel Erfolg und danke für Ihre Aufmerksamkeit!