Berlin Manuela Schwesig zu 50 Jahren gesetzlicher Regelung des Freiwilligen Sozialen Jahres

Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete des Bundestages,
liebe Frau Ministerin Altpeter,
sehr geehrte Herr Stadler,
sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der Länder,
sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der Kirchen,
sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der Zentralstellen und Träger,
vor allem aber: liebe Freiwillige!

I.

Dass wir heute etwas zu feiern haben, verdanken wir Euch - und den vielen Jugendlichen, in deren Fußstapfen ihr getreten seid. Seit 50 Jahren gibt es eine gesetzliche Grundlage für ein Freiwilliges Soziales Jahr. Es ist ein verlässlicher Rechtsrahmen für Jugendliche, die sich in besonderem Maße engagieren wollen. Es ist aber eben nur ein Rahmen. Der Wunsch, ein Jahr lang etwas für die Gesellschaft zu tun, der muss von den Jugendlichen selbst kommen.

Ihr habt diesen Wunsch gehabt, und Ihr habt Euch für ein Freiwilliges Soziales Jahr entschieden. Ihr seid dort, wo andere Menschen Hilfe brauchen.

Ihr unterstützt Menschen mit Behinderung dabei, ihren Alltag selbstständig zu gestalten. Ihr organsiert Ferienspiele für Kinder und ihr seid bei Menschen, die sonst allein wären. In Sportvereinen und Museen macht ihr neue Angebote möglich. Ihr leistet eine Menge! Herzlichen Dank für dieses Engagement! Ich freue mich sehr, dass so viele von Euch heute hier sind, denn es ist vor allem Euer Tag!

Von Eurem Engagement profitieren nicht nur die Hilfebedürftigen, sondern wir alle. Wer sich für andere engagiert, macht unsere Gesellschaft lebenswerter und stärker. Denn unsere Gesellschaft wird stärker, je mehr wir füreinander einstehen und uns gegenseitig helfen. Dieses Grundprinzip menschlichen Zusammenlebens hat einen Namen, der manchmal etwas in Vergessenheit gerät. Es heißt "Solidarität".

Und weil das FSJ das Füreinander-Einstehen fördert, weil es ein Jahr des Helfens ist, könnte man auch sagen: Das Freiwillige Soziale Jahr ist ein Jahr der Solidarität.

Das Freiwillige Soziale Jahr war die Idee eines evangelischen Pfarrers in der bayrischen Gemeinde Neuendettelsau. Er rief 1954 junge Frauen dazu auf, ein Jahr ihres Lebens für das Dienen in der kirchlichen Gemeinde zu geben. Es gab und gibt in der Kirche andere Begriffe, für das, was ich als Solidarität bezeichnet habe.

Aber die christliche Idee, bewusst "Ja" zum Leben zu sagen und Verantwortung für die Menschen in seinem unmittelbaren Umfeld zu übernehmen, die hängt doch eng mit dem Gedanken der Solidarität zusammen.

Ihr, liebe Freiwillige, lebt Solidarität zwischen Starken und Schwachen und zwischen den Generationen. Ihr alle könnt berichten, was man in so einem Jahr bewegen kann, was man erleben kann - und auch was man in diesem Jahr lernen und mitnehmen kann. Viele von Euch sind dankbar, für die Kontakte und die Erkenntnisse, die Ihr aus Eurem Dienst gezogen habt.

Ihr werdet selbstbewusster und erfahrener aus dem FSJ herausgehen, als ihr hineingegangen seid. Solidarität, das macht das FSJ deutlich, bedeutet eben wechselseitige Verbundenheit und gegenseitige Hilfe.

Ihr habt aus Eurem Dienst viele Eindrücke mitgenommen, für manche hat sich daraus ein Berufswunsch ergeben, andere haben Ihren zukünftigen Arbeitgeber kennen gelernt. Es war von Anfang an der Gedanke des sozialen Jahres, dass der Dienst etwas beiträgt, zur Persönlichkeitsbildung und zur Qualifikation der Freiwilligen.

Schon als der Freiwilligendienst vor 50 Jahren gesetzlich geregelt wurde, sollte ein verlässlicher Rahmen für ein Bildungs- und Orientierungsjahr geschaffen werden. Das ist gelungen und deshalb ist das 50. Jubiläum des FSJ-Gesetzes ein Grund zu feiern.

II.

Das Freiwillige Soziale Jahr war über die vielen Jahre ein Erfolg, weil wir das Gesetz immer wieder an die veränderten Ansprüche der Menschen angepasst haben. Wir sind heute der Überzeugung, dass Engagement etwas für alle Menschen ist und es ist die Aufgabe des Staates, die passenden Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Dieser Rahmen muss in die jeweilige Zeit passen, und deshalb gab es in den 50 Jahren FSJ-Gesetz immer wieder Änderungen, die immer mehr Menschen auf immer mehr Aufgabengebieten die Möglichkeit für ein länger währendes Engagement gegeben haben. Das Freiwillige Soziale Jahr ist der Ausgangspunkt, von dem aus die heutigen Engagementstrukturen entwickelt wurden.

Am Anfang waren es einige hundert Jugendliche, vor allem junge Frauen, die von dem Gesetz profitieren. Heute sind es knapp 50.000 Jugendliche im Freiwilligen Sozialen Jahr.

Wir freuen uns, dass die Zahl der jungen Männer steigt, die im FSJ mitmachen, und wir wollen noch mehr als bisher versuchen, Jugendliche mit Migrationshintergrund oder Jugendliche mit Haupt- und Realschulabschluss für das FSJ zu gewinnen.

Durch einen sozialen Dienst können alle Jugendlichen die wundervolle Erfahrung machen, etwas bewegen zu können und gebraucht zu werden. Ich denke, dass diese Erfahrung vielen Jugendlichen hilft, ihren Platz in unserer Gesellschaft zu finden. Deshalb ist es wichtig, das ganze Bildungs- und Herkunftsspektrum unter den FSJlern zu finden.

Dazu trägt auch die Erweiterung der Einsatzfelder in den Diensten bei. Lange war der soziale Bereich das einzige Einsatzfeld der Freiwilligendienste. Noch heute ist es der größte Bereich. Neben dem sozialen Bereich bietet das FSJ heute die Möglichkeit sich im Sport, in der Kultur, bei Denkmalpflege und im Friedensdienst zu engagieren.

Mit dem Freiwilligen Ökologischen Jahr kam 1993 auch der Umweltbereich hinzu. Im Bundesfreiwilligendienst sind heute zusätzlich Engagements in den Bereichen Bildung, Integration sowie Zivil- und Katastrophenschutz möglich. Der Zuspruch zu den Freiwilligendiensten ist auch deshalb so groß, weil es heute diese breite Vielfalt an Einsatzfeldern gibt.

Der nächste große Schritt in der Entwicklung der Freiwilligendienste war die Aufhebung der Altersgrenzen im Bundesfreiwilligendienst. Der BFD ist der erste gesetzlich geregelte Freiwilligendienst, der Menschen aller Altersgruppen offen steht. Heute kommen 40 Prozent der Freiwilligen im BFD aus diesen neuen Altersgruppen, was auch zeigt, dass Engagement keine Frage des Alters ist.

In den drei Diensten FSJ, FÖJ und BFD engagieren sich heute laufend 100.000 Freiwillige. Das ist ein Rekordwert. Bleibt es dabei, dass sich dauerhaft Menschen in dieser Größenordnung engagieren, wird bald jeder 10. eines Jahrgangs einen Freiwilligendienst geleistet haben. Ursprung dieser großartigen Entwicklung ist das FSJ-Gesetz. Es hat vor 50 Jahren den Boden bereitet. Gewachsen ist daraus eine Engagementlandschaft, die heute die Möglichkeit für Männer und Frauen jeden Alters bietet, vielfältige Freiwilligendienste zu leisten.

III.

Diese Engagementlandschaft ist nicht ohne viel Hege und Pflege entstanden. Ein wichtiger Partner für die Politik und vor allem auch für die engagierten Bürgerinnen und Bürger waren in all den Jahren die Kirchen, die Wohlfahrtsverbände und die anderen Trägerorganisatoren der Freiwilligendienste.

Sie haben die konkreten Einsatzmöglichkeiten geschaffen! Zwischen dem Wunsch der Freiwilligen, eine sinnvolle Aufgabe zu haben und der Regel, dass Freiwilligenarbeit keine Erwerbsarbeit verdrängen darf, ist der Spielraum dafür nicht allzu groß. Doch Freiwillige haben Ideen und bringen Zeit mit.

Die Verbände haben 50 Jahre lang die gute Erfahrung gemacht, dass die Freiwilligen mit ihren Ideen und ihrer Zeit ein Gewinn sind und sie haben daraus 50 Jahre immer wieder neue Stellen für die Freiwilligen gestrickt.

Eine Aufgabe für die Freiwilligen zu finden ist das eine. Das andere ist, die pädagogische Begleitung. Das Freiwillige Jahr soll ein Bildungsjahr sein. Die Träger sorgen dafür, dass dieser Anspruch erfüllt wird. Sie organisieren Seminare, betreuen die Freiwilligen im Dienst und fördern den Austausch unter den Freiwilligen.

Damit machen Sie den Einsatz der Jugendlichen zu einem lebendigen und interessanten Erlebnis. Vielen Dank dafür!

Vielen Dank auch dafür, dass Sie 50 Jahre lang mit der Politik konstruktiv diskutiert haben, welche Rahmenbedingungen die Freiwilligendienste brauchen. Es ging dabei auch im Ihre Interessen. Und auch nicht allen war jede Veränderung recht. Aber: es ist über die letzten 50 Jahre so gewesen, dass Kirchen, Wohlfahrtsverbände und Politik gemeinsam für einen jeweils zeitgemäßen Rahmen für Engagement in Deutschland gesorgt haben. Deshalb können wir heute auf starke Freiwilligendienste in unserem Land schauen und ich hoffe auf eine gute Zusammenarbeit bei der Weiterentwicklung dieses Rahmens in den kommenden Jahren.

IV.

Um für diese Weiterentwicklung der Freiwilligendienste eine Grundlage zu haben, werden FSJ, FÖJ und BFD seit Herbst 2012 evaluiert. Uns interessiert ganz besonders, was die Freiwilligen selbst von den Diensten halten, aber auch die durchführenden Zentralstellen, Träger und Einsatzstellen werden befragt.

Erste Auswertungen haben gezeigt, dass die große Mehrheit der Freiwilligen mit ihrem Freiwilligendienst überaus zufrieden ist: Die sehr hohen Erwartungen der Freiwilligen an ihren Dienst werden oft nicht nur erreicht, sondern in fast allen Punkten sogar übertroffen. Das ist prima und zeigt, dass wir mit den Diensten auf dem richtigen Weg sind.

Zur Stärkung der Engagementstrukturen gibt es aber noch genug zu tun, und ich will hier nur einige Beispiele nennen:

  • Wir wollen die Mehrgenerationenhäuser weiterentwickeln, zu einem übergreifenden Dach des sozialen Miteinanders. Ich möchte gemeinsam mit den Ländern und Kommunen die Zukunft möglichst vieler Mehrgenerationenhäuser dauerhaft sichern. 
  • Wir werden in einem Zweiten Engagementbericht die Rolle des bürgerschaftlichen Engagements im demografischen Wandel untersuchen. Darin wird es auch darum gehen, wie sich die bestehenden Engagementstrukturen auf Bevölkerungsrückgang, Alterung und Vielfalt einstellen können.
  • Wir wollen drittens Engagement besonders dort unterstützen, wo es dazu beiträgt, dass sich das Miteinander von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund weiter verbessert.
  • Und: Wir wollen innerhalb der Freiwilligendienste das grenzüberschreitende Engagement weiter stärken und dabei dafür sorgen, dass mehr ausländische Freiwillige in Deutschland passende Angebote für ihr Engagement finden.

V.

Der Rückblick und der kleine Ausblick zeigen: dem FSJ geht es zu seinem 50-jährigem Geburtstag, wie es vielen zum 50. Geburtstag geht: Ein Dienst in den besten Jahren, etabliert, ohne träge zu sein. Ich denke, der FSJ wird auch weiterhin dynamisch und energiegeladen sein - dafür werden schon die vielen jungen Frauen und Männer sorgen, die ein Freiwilliges Soziales Jahr absolvieren.

Sie stehen damit für eine Jugend, die sich für ihre Mitmenschen einsetzt, die solidarisch ist und die Verantwortung zeigt. Deshalb möchte ich heute nicht nur sagen: "Herzlichen Glückwunsch FSJ", sondern ich möchte auch unserer Gesellschaft sagen: Herzlichen Glückwunsch zu diesen engagierten Jugendlichen!